DEATH CAB FOR CUTIE: „Lass dein Leid einen Funken in dir entfachen“

„I don’t know where to begin“, singt Ben Gibbard gleich zu Beginn von „No Room In Frame“, dem Opener des achten Studioalbums von den Death Cab For Cutie. Zwischenzeitlich sah es wirklich danach aus, als würde die ruhmreiche Formation aus Washington nicht wissen, wie und ob sie nach dem Ausstieg von Gründungsmitglied und Soundtüftler Chris Walla weitermachen soll. Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich das Trio dazu entschieden, die Segel nicht zu streichen.

Auf „Kintsugi“, passend benannt nach einer japanischen Reparaturmethode für Keramik, lassen Ben Gibbard, Jason McGerr und Nick Harmer erneut wohl klingenden Indie-Rock mit elektronischen Schraffierungen vom Stapel, die im Hintergrund für das nötige Knistern sorgen – als wäre nichts gewesen. „Kintsugi“ zeigt die Band in bekannter, aber auch alter starker Form.

Ein Interview mit Schlagzeuger Jason McGerr über Perspektivenwechsel, Veränderungen und Paris nach den Terroranschlägen.

subtext.at: Jason, kannst du die größte Inspiration für eurer aktuelles Album „Kintsugi“ benennen?
Jason McGerr: Zwischen „Kintsugi“ und unserem letzten Album „Codes And Keys“ lag eine größere Zeitspanne und diese war für uns geprägt von einigen Veränderungen. Im August 2012 haben wir unsere letzte Tour beendet und im Herbst 2013 haben wir mit der Produktion der neuen Platte begonnen. Persönliche Erfahrungen, das Reisen, Verluste und Gewinne, solche Sachen sind mit eingeflossen. (überlegt kurz) Ben fertigt normalerweise bei uns die Demos an und wir erarbeiten sie dann alle gemeinsam weiter. Ich denke, dass er wohl die richtige Person für diese Frage wäre. Zwischen den Zeilen ist viel passiert, vor allem bei ihm.

subtext.at: Seid ihr ein organisierter Haufen oder läuft bei euch spontan vieles ab?
Jason McGerr: Beides. Ben macht die Entwürfe. Das ist das Tolle an seiner Schreibweise. Sie sind nicht komplett arrangiert, sondern offen für Interpretationen. Es gibt auch keinen Druck, wie etwas zu klingen hat. Die Klangfarbe des jeweiligen Songs durchläuft mehrere Prozesse. Alles ist offen. Jetzt, nachdem wir mit Rich Costey an „Kintsugi“ gearbeitet haben und somit eine Person von außerhalb in unser Gefüge gelassen haben, sollte kein Stein auf dem anderen bleiben. Überall forschte er nach. Es hat uns als Band herausgefordert und wir konnten die Teile nach und nach zusammensetzen. Dann haben wir die Songs rasten lassen, in Quarantäne gesteckt sozusagen. Wir wollten sehen, wie die Songs dann funktionieren. Auf diese Weise haben wir noch nie ein Album fertiggestellt. Es hat Spaß gemacht, die Songs live einzuspielen. Du kannst es dir nicht erlauben, scheiße zu sein und dein Instrument nicht zu beherrschen. Du musst sehr professionell sein.

subtext.at: Ihr habt also für „Kintsugi“ jemanden gebraucht, der eine Perspektive von außen mitbringt und an euch heranträgt?
Jason McGerr: Ich denke schon, ja. Ohne Rich hätten wir es nicht fertiggebracht, ein Album wie „Kintsugi“ fertigzustellen. Chris hat erst angefangen, in seinem Studio in Seattle an der Platte zu arbeiten und sie zu arrangieren – wie bei uns üblich. Nach zwei Wochen teilte er uns mit, dass er doch nicht dazu in der Lage sei, die Platte zu produzieren. Er wollte es jemand anderem überlassen, aus diversen Gründen, wie sich herausstellte. Es ist hart, ein Teil der Band zu sein und deinen Freuden und Bandkollegen mitzuteilen, dass sie sich mehr Mühe geben sollen (lacht).

subtext.at: Verständlich.
Jason McGerr: Wie in jeder Beziehung, wollte er nicht derjenige sein, der den Hammer schwingt. Chris meinte, dass jemand Neues besser dafür geeignet wäre als er. Wir haben zugestimmt. Mit Rich war der Prozess anders, ganz anders. Für ihn war es auch neu, weil wir eben auch eine Band sind, die schon mehrere Alben herausgebracht hat und diese von uns selbst produziert wurden. Chris hat Rich sein Ding machen lassen, Rich hat Chris sein Ding machen lassen. Rich ließ die Aufnahmegeräte immer laufen, egal, was gerade vonstatten ging. Ob wir probten, jemand gerade einen Witz erzählte oder wir zu Mittag gegessen haben. Einige Songs sind so zum Leben erwacht. „The Ghost Of Beverly Drive“ ist beispielsweise so entstanden. Wir haben gelernt, wie wir alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen in dieser Zeit. Nach vier Wochen teilte uns Chris dann mit, dass er eine Veränderung bräuchte und die Band verlassen werde, was dann auch durch die Medien ging und für Gesprächsstoff sorgte. Wir waren mittendrin in den Aufnahmen.

subtext.at: Welches Schluss hast du damals für dich gezogen, als Chris diesen Schritt bekannt machte?
Jason McGerr: Ich persönlich denke nicht, dass sein Ausstieg etwas damit zu tun hatte, weil jemand anderes „Kintsugi“ produzieren sollte. Schließlich war es seine Entscheidung, den Produzentenstuhl frei zu lassen. Ben, Nick und ich wussten also davon, doch wir teilten es Rich zunächst nicht mit, um den Prozess nicht zu verändern. Wir alle einigten uns darauf, die bestmögliche Platte zu machen und fertigzustellen. Erst als die Platte gemixt wurde, kam Rich dahinter. (überlegt) Chris hat es schon immer gefallen, für andere Leute Musik zu produzieren. Es war immer schwierig, das Bandleben und diese Tätigkeit unter einen Hut zu bringen. Chris war auch nicht gerade jemand, der das Touren besonders mochte.

subtext.at: Weil du vorher gemeint hast, Ben würde Entwürfe der Songs mit ins Studio bringen; Heißt es im Endeffekt dann, dass ihr im Vorhinein eine Vorstellung davon habt, wie eine Platte am Ende zu klingen hat und welchen Ton das Album haben soll?
Jason McGerr:
Weißt du, es gibt Songs, die verändern sich nicht. Demo und Endprodukt sind identisch. Das sind meist die dunklen, reduzierten Songs. Manche würden einfach nichts dazugewinnen, wenn die komplette Band den Sound beisteuert. Es reicht manchmal, wenn Ben mit der Gitarre bewaffnet ins Mikro singt. Niemand von uns hat jemals ein Konzeptalbum im Kopf gehabt. „Codes And Keys“ war mehr eine Keyboardplatte, weil Ben zu dieser Zeit viel am Piano geschrieben hat, aber auf „Kintsugi“ sollte wieder die Gitarre dominieren, weil seine Liebe zur Fender Mustang wieder entfacht ist wie zu Beginn von Death Cab. Eine wiederentdecke Liebe (lächelt). Das Konzept und die Idee vervollständigen sich erst, wenn die Platte fertig ist.

subtext.at: Von Zeit zu Zeit forcieren wir etwas, um schnellstmöglich ans Ziel zu gelangen, erreichen es dennoch nicht und manchmal erreichen wir es, ohne uns groß dafür anzustrengen. Kennt ihr das?
Jason McGerr: Oh ja. Des öfteren war das der Fall. Du stehst kurz davor, das Ziel zu erreichen. „No Room In Frame“ haben wir unzählige Male aufgenommen, in drei Versionen und mit unterschiedlichen Details. 100, 200 Entwürfe vor dir… Ab und zu musst du es auch zweimal versuchen, um festzustellen, dass die erste Variante am Ende doch die richtige war. Manchmal verlässt du das Studio, weil du dir innerhalb dieser vielen Aufnahmen total verloren vorkommst (lacht). Es wird nicht besser, sondern schlechter und wirrer. Dabei sitzt du auf dem heißen Stuhl. Wunderbare Dinge passieren, wenn du sie nicht zu Tode denkst. It takes as long as it takes. Eine Deadline zu haben ist manchmal hilfreich, manchmal aber auch nicht. Alles eine Sache der Perspektive.

Kintsugi

subtext.at: Die berühmt-berüchtigte Sache mit dem Künstler, der leidet – gewinnt die Musik dadurch, wenn der Künstler durch Krisen hindurch und diese bewältigen muss? Zählt ihr euch dazu?
Jason McGerr: Nicht gänzlich. Wenn du zu sehr leidest, kannst du dich am Ende nicht mal vom Fleck weg bewegen (lacht). Wer zu sehr leidet, der schafft es nicht, etwas zustande zu bringen. Lass dein Leid einen Funken in dir entfachen. Eine Idee nähren. Dieser Prozess sollte genossen werden, in all seinen Facetten.

subtext.at: In eurer Simplizität gab es auch immer eine Komplexität, die Death Cab für mich über den Durchschnitt der Indiebands gehoben hat. „Kintsugi“ ist für mich wie ein Puzzle, mit großen und kleinen Stücken, die zusammen ein großes Ganzes ergeben. Stimmst du dem zu?
Jason McGerr: Ja und nein. Für mich sorgt die Stimme von Ben und der Grundtenor einfach dafür, dass sich die einzelnen Teile gut zusammenfügen. Klar, es gibt Songs, die im Auswahlprozess draußen bleiben, weil sie sich nicht gut in das Gefüge des Albums eingliedern lassen. Üblich haben wir 25 bis 35 Songs parat. 17 sind dann auf der A-Liste, an denen feilen wir noch herum. Auf dem Album landen dann die 10 bis 12 besten Songs. Es muss nicht alles von Anfang an zusammenpassen, weil sich viele Dinge auch erst im Nachhinein herauskristallisieren.

subtext.at: Habt ihr euch jemals dabei gefragt, ob eure Musik noch eine kulturelle Relevanz besitzt?
Jason McGerr: Ja. Unser Job ist es, kulturelle und gesellschaftliche Dinge zu reflektieren. Klar fragen wir uns, ob es für die Mitdreißiger da draußen noch eine Relevanz besitzt, was wir zu sagen haben. Ich denke, dass wir so gegenwärtig wie nur möglich sein möchten. Es gibt Menschen, die sind Death Cab seit 15 Jahren treu ergeben und natürlich möchten wir auch weiterhin Musik machen, die Menschen berührt.

subtext.at: In eurem Song „Little Wanderer“ gibt es eine Zeile, die Paris erwähnt.
Jason McGerr: Für Ben war es nach den Terroranschlägen besonders schwer, den Song zu singen.

subtext.at: Habt ihr euch nach den Anschlägen Gedanken darüber gemacht, ob ihr eure Tour zu Ende spielt oder nicht? Einige Bands haben ihre Termine in Europa ja anschließend abgesagt.
Jason McGerr: Wir haben auch darüber diskutiert, ob wir die Tour absagen oder weitermachen sollen. Am Ende haben wir uns dagegen entschieden. Auch wir haben in Paris im Bataclan vor einigen Monaten gespielt. Wir möchten für unser Publikum da sein, es ist unser Job, abends auf die Bühne zu gehen. Klar, für unsere Familien in unserer Heimat ist es besonders schwer, weil die Situation nach Paris so angespannt ist. Wir haben uns dennoch dagegen entschieden, die Tour zu canceln. Ein Rückzug ist keine Option.

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