MOTHER TONGUE: „Gerade dann, wenn man die Hoffnung aufgibt, passieren unerwartet schöne Dinge“

Totgesagte leben länger. Eine Phrase, die bei dieser Formation aus den Vereinigten Staaten vollends zutrifft. Mother Tongue haben schon etliche Höhen und Tiefen als Musiker erlebt. Andere hätten schon längst das Handtuch geworfen. Vier Stehaufmännchen aus Los Angeles mit Blues als Bonus und dem gewissen Etwas. Welche Gruppe verfügt in ihren Reihen schon über drei fähige Sänger? Nach acht Jahren Stillstand sind David „Davo“ Gould (Gesang, Bass), Christian Leibfried (Gesang, Gitarre), Bryan Tulao (Gesang, Gitarre) und Sasa Popovic (Schlagzeug) wieder aktiv.

„Follow The Trail“, das letzte Album der Band, ist als Vinyl neu aufgelegt worden. Die Platten „Streetlight“ und „Ghost Note“ gibt es zudem zusammengefasst als 2CD-Fan Edition, mit neuem Artwork, welches beide Alben stimmungsvoll vereint und verbindet. subtext.at im Interview mit Gitarrist Bryan Tulao über die Zukunft der Band, über Los Angeles und das aktuelle Weltgeschehen.

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subtext.at: Bryan, seit eurer letzten Platte „Follow The Trail“, die ihr in Eigenregie herausgebracht habt und nun zum ersten Mal auch auf Vinyl erscheint, sind acht lange Jahre vergangen…
Bryan Tulao: Bei uns ist es immer herausfordernd, alle an einen Tisch zu kriegen. Jeder hat außerhalb der Band noch andere Verpflichtungen. Davo schreibt erfolgreich Drehbücher fürs amerikanische Fernsehen, was am meisten Zeit beansprucht. Er hat daneben eine große Familie mit fünf Kindern. Christian betreibt einen Club und Sash ist als Musiker auch in anderen Bands aktiv, hat auch zwei Töchter. (überlegt kurz) Wir haben uns in den Jahren immer wieder mal getroffen, um Musik zu machen und neue Songs zu schreiben. Es ist schon verrückt, wenn man bedenkt, dass es acht Jahre her ist, seitdem es von Mother Tongue neue Musik gab (lacht). Die diesjährige Tour, die uns auch nach Österreich geführt hat, kam in letzter Minute zustande – wie alles bei uns. Als ich die Einladung bekommen habe, hätte ich nicht im Entferntesten gedacht, dass diese Tour überhaupt klappen würde. Die anderen meinten dann nur: „OK, lass es uns tun.“ Ich war baff (lacht).

subtext.at: Es gab nie den Moment in den acht Jahren, die Band für immer und ewig zu Grabe zu tragen?
Bryan Tulao: Nicht wirklich, nein. Hin und wieder äußern sich manche Bandmitglieder dahingegen, ich nenne jetzt keine Namen, dass sie es sich nicht vorstellen können, es ewig zu machen. Diese Story höre ich schon seit mehr als zwanzig Jahren (lacht). Christian und ich sind diejenigen, die das Feuer weiterhin entfachen wollen, auch für die anderen. Sash ist stets bereit, auf Abruf sozusagen. Alles in allem ist es nur sehr schwer, alle zusammenzutrommeln, um aktiv für Mother Tongue zu werden.

subtext.at: Hat sich die Chemie innerhalb der Band verändert oder sie annähernd gleich geblieben?
Bryan Tulao: Wir haben im Sommer genau einen Auftritt gehabt, bevor wir nach Europa gekommen sind. Ich denke, dass wir alle gedacht haben, es wird ziemlich rau und hastig werden, unser Zusammenspiel. Es war aber überraschend gut, besser als gedacht. Die Bandchemie ist nach wie vor toll. Jede Show ist anders als die letzte, selbst bei den Songs gibt es unterschiedliche Reaktionen.

subtext.at: Der Ruf als fabelhafte Liveband eilt euch ja seit Jahren voraus.
Bryan Tulao: Live zu spielen ist fabelhaft und für uns noch einmal eine ganz andere Kategorie. Wir mögen es, unsere Songs live intensiver zu spielen. Dreckiger und schneller.

subtext.at: Gab es Momente, wo ihr euch die Frage gestellt habt, ob Mother Tongue musikalisch überhaupt noch etwas zu sagen haben?
Bryan Tulao: Wir haben Musik in unterschiedlichen Formationen aufgenommen. Nur David, Sash und ich oder nur Christian und ich, doch es gab keine Texte, keine Konzepte. Das war der schwierigste, ist überhaupt stets der schwierigste Teil. David geht das leicht von der Hand, einen roten Faden vorzugeben. Er sprüht nur so vor Ideen. Christian und ich tun uns da schwer. Es ist wie eine weiße, große Wand, die vor einem steht und die es zu überqueren gilt. Ich denke nicht, dass wir schon alles gesagt haben.

subtext.at: Ist die „Do It Yourself“-Philosophie etwas, was euch weiterhin antreibt?
Bryan Tulao: Klar. (überlegt) Es gab einige Indie-Labels, die angefragt haben wegen einer neuen Platte, wobei es keine Notwendigkeit für Mother Tongue darstellt. Selbst, wenn man Musik auf einem großen Majorlabor veröffentlicht, da haben sich die Zeiten auch geändert. Wir haben zuletzt Leute angeheuert, die uns wegen der Promotion helfen, doch ich wünschte, wir hätten uns früher darum gekümmert und nicht auf den letzten Drücker.

subtext.at: Können Streamingdienste dabei helfen, die „DIY“-Philosophie aufrechtzuerhalten?
Bryan Tulao: Ich weiß gar nicht, ob und welche Alben von uns man dort finden kann. Wie dem auch sei, Geld verdienen werden wir mit Spotify und Co. nicht. Ich selbst wiederum benutze andauernd Spotify, wenn ich in Los Angeles bin. Oder besser gesagt meine Frau. Sicherlich ist es von Vorteil, weil man sich Bands anhören kann, die man sonst eventuell nicht zu hören bekommen würde. Ob junge, aufstrebende Künstler davon leben können? Das bezweifle ich. Jemand wie Beyoncé schon eher. Oder Katy Perry. Wer kauft denn heutzutage überhaupt noch Alben? Du kaufst dir die Songs vielleicht, die dir gefallen, über iTunes, tust sie auf dein Smartphone und fertig. Ich kaufe Vinylplatten und da scheint es noch Leute zu geben, die sich leidenschaftlich eine Musiksammlung zusammenstellen möchten.

subtext.at: Heuer wurden eure Alben „Streetlight“ und „Ghost Note“ noch einmal veröffentlicht, als Special Edition neu aufgelegt. Wie kam das zustande?
Bryan Tulao: Das wurde erst realisiert, nachdem die Tour stand. Das Label Noisolution aus Deutschland kam mit dem Vorschlag, die beiden Alben nach dreizehn Jahren neu aufzulegen. Wir waren von dieser Idee anfangs wenig angetan, um ehrlich zu sein. Ich bin kein großer Freund von Re-Releases und beide Alben hatten ihre Zeit. Es soll sich nicht nur um die Vergangenheit drehen, wobei wir damals mit dem Label im Streit auseinandergegangen sind. Es war wie eine Wiedergutmachung. Zudem gibt es neues Artwork, beide Alben sind in dieser Version enthalten, was uns dann doch zugesagt hat. Geplant war es jedoch nicht.

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subtext.at: Eurer Musikerleben wurde durch zahlreiche Rückschläge geprägt. Wie behält man seine positive Grundstimmung bei? Warum macht man weiter?
Bryan Tulao: David ist eigentlich von Natur aus ein recht positiver Mensch, Christian auch. Sash ist ein lässiger Typ. Ich denke, dass ich von allen am pessimistischen bin. Doch (lächelt). Manchmal unterhalten wir uns mit Leuten und sie erzählen von ihren Eindrücken und kommen mit ganz anderen Themen, die sie aus unseren Songs filtern. Das ist cool. Das treibt einen weiter an.

subtext.at: Euer Material fühlt sich heute aktueller denn je an.
Bryan Tulao: Darüber haben wir intern auch geredet. Wenn wir manche Songs spielen, habe ich das Gefühl, dass sie sich noch dunkler und düsterer anhören, wenn man bedenkt, in welchen Zeiten wir derzeit leben. Jeden Tag eine Horrormeldung. Irgendwo geht eine Bombe hoch, jemand jagt sich in die Luft. „CRMBL“, „Mad World“, „Casper“, unsere Songs handeln genau davon und die wurden vor Jahren geschrieben. Das ist furchtbar. David hat das immer aufgegriffen während der Shows und angesprochen. Die Welt macht einem Angst, wobei es nicht so ist, als hätte sie einem nie Angst gemacht. Es sind die Ausmaße, die einen verrückt machen. Wir waren ehrlich nervös, als wir die Reise heuer angetreten haben. Wobei in den USA auch Sachen passieren, die schrecklich sind. Polizisten werden auf der Straße erschossen und die Zahl der Obdachlosen ist immens angestiegen. Total verrückt. Wenn ich im Hotelzimmer CNN einschalte, dann drehe ich nach einiger Zeit wieder ab, weil nur negative Berichte kommen.

subtext.at: Wie würdest du deine Heimatstadt Los Angeles generell beschreiben?
Bryan Tulao: Wie jede andere Großstadt auch. Wie Wien oder Berlin. Es gibt Ecken, die total trendy, angesagt und lebhaft sind und Orte, die du allein lieber nicht aufsuchst. Mir, meinen Freunden oder meiner Familie ist zum Glück nie etwas geschehen, aber Dinge passieren. Manchmal strahlt L.A. eine dunkle, gewaltsame Energie aus. Ich bin glücklich, dass ich touren kann und bin sehr dankbar dafür, aber ich freue mich trotzdem auf die Stadt. Sie ist nichtsdestotrotz meine Heimat.

subtext.at: Wie sieht die Zukunft von Mother Tongue aus?
Bryan Tulao: Christian hat initiiert, dass wir mindestens zwei Mal im Monat gemeinsam musizieren und uns treffen. Jeder war damit einverstanden. Wir haben es oft versucht und wir werden sehen, wie es weitergeht. Ich möchte nicht negativ klingen, aber ich habe viel Energie in die Band investiert und oft hat es nicht funktioniert. Wenn es klappt, dann klappt es. Es ist wie in einer Beziehung. Du hast eine Freundin oder einen Freund und ihr seid beide total euphorisch. Irgendwann ist die Luft vielleicht raus und dann ist es vielleicht besser, es sein zu lassen. Erwartungen habe ich eigentlich nicht. Gerade dann, wenn man die Hoffnung aufgibt, passieren unerwartet schöne Dinge. Es gibt immer die Chance, dass alles in einer großen Katastrophe endet, doch für Mother Tongue bin ich immer zu haben.

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