WIENER FESTWOCHEN: Kelela
Sie zählt ohne Zweifel zu den ruhmreichsten, interessantesten und wohl auch meist gehyptesten Acts der diesjährigen Wiener Festwochen: Die amerikanische R’n’B-Sensation aus den Staaten, Kelela, gastierte beim dreitätigen Hyperreality-Clubfestival, welches vor allem in Zeiten der digitalen Anonymität auf das Gefühl der Gemeinschaft setzt.
Wer tanzt, sich der Musik hingibt, schlicht Spaß hat, der ist gedanklich grenzenlos. Kelela Mizanekristos würde diese Aussage bestimmt unterschreiben, gehört sie doch ohne Zweifel zu den Hoffnungsträgerinnen einer ganzen Szene. Für alle, denen Beyoncé zu erfolgreich und Janet Jackson zu belanglos geworden ist. 2013 wurde sie bereits für ihr gratis vertriebenes Mixtape-Album „Cut 4 Me“ innerhalb der amerikanischen Electronica- und R’n’B-Szene in höchsten Tönen gelobt. Die amerikanische New York Times zählt seit jeher zu ihren Fans, ebenso wie der britische NME, Pitchfork oder Noisey und das deutsche Musikmagazin SPEX kürte ihr Debütalbum „Take Me Apart“ 2017 zum Album des Jahres. Die 35-Jährige wird seitdem von Größen wie Erykah Badu, Björk oder Solange Knowles hofiert. Ist sie bereit zum großen Sprung?
Dementsprechend groß ist die Spannung und die Neugier in der ehemaligen Wiener Sargfabrik, heute F23, am 26. Mai 2018. Man hat beim Betreten das Gefühl, man würde einem illegal stattfindenden Rave in einer verlassenen Lagerhalle beiwohnen. Hyperreality beherbergt an drei Tagen so unterschiedliche Acts wie Soundtüftler Arca , die enigmatische Elektro-Künstlerin Aïsha Devi oder das Rap-Trio Gaddafi Gals, die an diesem Abend vor Kelela auf die Bühne dürfen und ganz sachgemäß zur Location passen. Die angriffslustigen Beats von walter p99 arke$tra sowie die authentische Darbietung von blaqtea und slimgirl fat, unterstützt von Sängerin FARCE, finden gefallen beim Publikum.
Mit rund 15 minütiger Verspätung legt Kelela dann los. Sie beginnt ihr Set ungewöhnlich mit dem wohl bekanntesten Song ihrer noch jungen Karriere. Ihre Performace zum Hit „LMK“ gerät nuanciert, aber dennoch auf ihre Weise kraftvoll. Ihr Gesang erinnert bereits hier an die 90er R’n’B-Welle um Acts wie TLC, aber auch an Ikonen der 80er wie Sade Adu. Maschinell erzeugte Musik, die warm klingt, sich vertraut anfühlt, einen körperlich wie seelisch einlullt und die Verletzlichkeit per se nicht als Schwäche ansieht. Ganz im Gegenteil. Kelela zu sehen und zu hören, allein auf der Bühne, nur vom Produzenten seitlich begleitet, heißt festzustellen, wie wichtig Reduzierung und Restriktion in diesem Kontext für sie ist. Flächige Beats, eine gehauchtes Falsett, mit den Sinnen erfühlbar, wenn sie in Lieder wie „Frontline“ oder „Rewind“ über amouröse Abhängigkeiten, positive wie negative, erzählt. Kelela thront über alledem mit der Majestät einer Schneekönigin, angezogen im engen Minikleid, dazu der passende weiße Trenchcoat als Überwurf im angesagten Oversize-Look.
Kelelas Herzt hört man mit jedem Beat aus dem Laptop, jedem gehauchten Wort schlagen. Und das eigene schlägt gleich mit. Eine gute Stunde lang befindet sich das Publikum mit ihr in einer Art Schwebezustand. Was Kritiker eventuell mit „ganz nett“ abspeisen würden, wächst und gewinnt an Tiefe und Intensität mit jeder weiteren Nummer. Wenn schon R’n’B, dann eben bitte so. Noch hat sie der Mainstream nicht vereinnahmt, aber er klopft bereits vehement an der Tür.