Foto: Citizen, Fleet Union, Run For Cover Records

CITIZEN: Life In Your Glass World

Citizen sind Freunde der Veränderung. Auf „Life In Your Glass World“ widmen sie sich dieser aber in einer befreit und kompromisslos wirkenden Art und Weise. 8 Jahre nach dem Durchbruchsalbum „Youth“ ist der Band die Pop-Punk/Emo Nische endgültig zu eng geworden.

Die ersten Takte von „Death Dance Approximately“ sind irreführend. Einen härteren Einstieg hat man von der 2009 in Toledo (Ohio) gegründeten Band noch nie gehört. Das Mantra der Platte offenbart sich aber erst einige Sekunden später. Es sind die Beats und Rhythmen, welche auf „Life in Your Glass World“ den Ton abgeben. Klare Kante, schnörkellose Strukturen, gewohnt eingängiger Gesang von Mat Kerekes. Für die Band ist es ein ganz besonderes Album geworden, wie uns der Sänger im Interview erzählte. Seine Garage wurde für die Aufnahmen zum Studio umgeht. Man wollte vollkommene Autonomie erreichen und ohne Zeitdruck arbeiten können.

Große Freunde der Wiederholung und von außen herangetragenen Erwartungshaltungen waren Citizen ohnehin nie. Wahrscheinlich hätte es sich die Band schon nach dem sehr erfolgreichen Debütalbum in ihrer Nische gemütlich machen können, doch stattdessen folgte mit „Everybody Is Going To Heaven“ und „As You Please“ eine sehr konsequente, künstlerische Weiterentwicklung, die relativ schnell klar machte, dass die Pop-Punk/Warped Tour Blase nicht das Ende der Fahnenstange sein kann. Nur nach Arbeit soll es sich nicht anfühlen. Das ist der mittlerweile auf ein Trio geschrumpften Band wichtig. Kerekes und die beiden Brüder Nick (Gitarre) und Eric Hamm (Bass) wollten auf ihrem vierten Album nichts dem Zufall überlassen und keine Kompromisse mehr eingehen.

Das Resultat ist das vielleicht ehrlichste und geradlinigste Album von Citizen. Es treibt zuvor maximal angedeutete Entwicklungen auf die Spitze und wagt einen Schritt nach vorne, ohne dass dabei alles restlos aufgeht. „Call Your Bluff“ überzeugt als realtiv klassischer Citizen Song, der einen tanzbar-flotten Indie Beat verpasst bekommen hat, „Black And Red“ lässt ein mit seiner opulenten Synth-Line fasst ein bisschen an Helden der 00er-Jahre wie The Killers und Franz Ferdinand denken, „Pedestal“ schlägt mit seinem arg verzerrten Bass und laut hallenden Tom-Schlägen die Brücke zu „Everybody Is Going To Heaven“ und „Blue Sunday“ ist einer der detailverliebtesten und zugleich aber auch der poppigste Song den die Jungs aus Ohio je geschrieben haben.

„Fight Beat“ ist da eher mehr eine lustige Spielerei mit minimalistischem Beat und schrägen Effekten, aber nicht unbedingt das kreative Highlight des Albums und das abschließende „Edge Of The World“ holt einen zwar mit seinen kathartischen Lyrics ab, schafft aber in instrumentaler Hinsicht nicht die große Abspannmusik zu werden, als die der Song wohl angedacht war. Dazwischen gibt es noch mehr Gutes wie das Titelstück und „Winter Buds“, welche an Kerekes sehr fleißiges Solo-Schaffen denken lassen, das gnadenlos infektiöse „I Want To Kill You“ und das locker aus dem Ärmel geschüttelte „Thin Air“.

Der Mut zur Autonomie scheint sich ausgezahlt zu haben. Citizen klingen auf „Life In Your Glass World“ mit sich selbst im Reinen und wecken gleichzeitig schon wieder die Vorfreude, in welche Richtung wohl Album Nummer fünf abdriften wird. Davor können und werden sie aber hoffentlich auch wieder irgendwann mal live in unseren Breitengraden zu sehen sein.

 


Tracklist
01. Death Dance Approximately
02. I Want To Kill You
03. Blue Sunday
04. Thin Air
05. Call Your Bluff
06. Pedestal
07. Fight Beat
08. Black And Red
09. Glass World
10. Winter Buds
11. Edge Of The World

VÖ: 26.03.2021 via Run For Cover Records
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Schreibt Albumrezensionen, Konzertberichte und führt gerne Interviews - transkribieren tut er diese aber weniger gern. Immer wieder auch für Blödsinnigkeiten abseits seines Kerngebiets "Musik" zu haben. Hosted einmal monatlich die Sendung "Subtext on Air" auf Radio FRO, ist bei mehreren Kulturinitiativen und in einer Band aktiv.