Home alone: BRANDON BOYD und sein drittes Soloalbum
Fluoreszierend im Patschuli-Traum: Auf seinem aktuellen Album lehnt sich Incubus-Frontmann Brandon Boyd schlaftrunken zurück, nimmt sich Zeit und macht seine Songs weiträumiger. Unvorhergesehen mit elektronischen Elementen ausstaffiert, entpuppt „Echoes & Cocoons“ peu à peu sein Klangbild und spielt damit unabdinglich mit dem eklektischen Baukasten-Sound unserer Zeit. Geplant war das alles nicht.
Noch bevor uns die Coronapandemie unglücklicherweise ereilte, stand der Trend rund um das Thema Cocooning im Raum. Bereits in den 80er Jahren wurde der Begriff von Forschern und Wissenschaftlern ins Leben gerufen. Statt sich ins Nachtleben zu stürzen oder auszugehen, bleibt man lieber daheim und trifft seine Freunde oder die Familie in den eigenen vier Wänden. Die Welt da draußen fühlt sich für manche schon unsicher genug an, wieso sich also nicht wie eine Raupe in ihren Kokon zusammenziehen?
Brandon Boyd, hauptberuflich Sänger der Alternative-Formation Incubus, nebenbei noch freischaffender Künstler, Buchautor und eben Soloartist, kann nun zehn Lieder darüber singen, wie es ist, unfreiwillig diesem gesellschaftlichen Trend ausgesetzt zu sein. In Isolation und aufgrund von Social Distancing ist nun unter der Ägide von Produzent John Congleton (Pheobe Bridgers, Sigur Rós, Warpaint) „Echoes & Cocoons“ entstanden, Boyds dritte Platte, wenn man das Nebenprojekt Sons Of The Sea von 2013 mit einberechnet. Die entspannte Wohnzimmeratmosphäre, von der man unweigerlich ausgeht, ist hier jedenfalls trügerisch, denn der 46-Jährige fügt der dichten Atmosphäre in Songs wie „Dyme In My Dryer“ oder „New Dark Age“ etwas Bedrohliches und Ungemütliches, aber auch Spielerisches hinzu. Diese Echos und Widerklänge sind nicht gewollt, sondern den bescheidenen Umständen entnommen.
„TWO MONTHS AND A DAY IS TOO LONG FOR LOVERS NOT TO PLAY“
Anstatt sich also wie eine Larve vollkommen zurückziehen, hat der Kalifornier zumindest in kreativer Hinsicht Kontrolle und Struktur ad acta gelegt. Durch den Stillstand führen ihn seine Ambition zu neuen Ufern. Mit seinem dritten Soloalbum darf der Beau jetzt mal versuchen, den ein oder anderen neuen Hörer zu gewinnen und den Wunsch nach Veränderung ausleben, den Rock-Manierismen sucht man hier vergebens.
„Echoes & Cocoons“ verhält sich wie ein Husten, der einen nachts aus den düsteren Träumen reißt. Im Spannungsfeld von Dreampop, sind die Rhythmen nicht selten störrisch. Boyd negiert vieles, wofür er bislang stand, begleitet uns in dieser Schwebe zwischen Wach- und Dämmerzustand wie im hypnotischen Slow-Motion-Hit „Pocket Knife“. Experimentierfreudige Phasen mit weit offenen Räumen, eigentümlich schön vernebelt („More Better“) oder von Regentropfen durchnässt wie in „Petrichor“. In sich gekehrt und detailverliebt, werden Machtspiele („A Better Universe“), fehlende Zweisamkeit („Two Months And A Day“) und Verletzungen und Wunden, die niemals heilen („Ad Infinitum“), behandelt.
FAZIT
In der ewigen Übersicht des Alternative Rock belegen Incubus mehrfach die vorderen Reihen. Die Alben der Band aus Calabasas, Kalifornien, haben diese Ewigkeitsgarantie, wohingegen die Soloveröffentlichungen von Brandon Boyd eher als Geheimtipp einzuordnen sind. Mit „Echoes & Cocoons“ wird sich diese Einschätzung, trotz Neuausrichtung, wohl nicht ändern. In geradezu schamanischer Art hat Boyd ein unbequemes, stoisches und nicht auf Eingängigkeit gebürstetes Album aus dem Hut gezaubert, welches für Kurzweil sorgt, auch wenn das Songwriting nicht vollends auf den Punkt kommt („End Of The World“). Boyds Stimme in einem anderen Kontext zu hören, also ohne laute Gitarren und polternde Drums, ist dennoch hören- und begrüßenswert.
TRACKLIST „Echoes & Cocoons“
01 Dyme In My Dryer
02 A Better Universe
03 Pocket Knife
04 Two Months And A Day
05 More Better
06 Ad Infinitum
07 New Dark Age
08 Fly On Your Wall
09 Petrichor
10 End Of The World