Michèl von Wussow,
Foto: © Kerstin Kern

Michèl von Wussow: „Mit dem ersten Ton ist alles abgefallen“

„Angst gegen Vertrauen“ heißt die erste Headliner Tour des Songwriters Michèl von Wussow, der in Hannover Popgesang studiert. Im Interview quatschen der 28-Jährige und seine Band über die Musik als Quelle von Ängsten und Vertrauensgefühlen, Harry Potter und Off Day-Ausflüge.

Timo Kahl (Bass), Jacob Streit (Gitarre), Nicolai Ditsch (Drums) und Songschreiber Michèl von Wussow (Gesang, Gitarre): Vier Mucker, deren Gruppendynamik auch abseits der Bühne unterhält. Ein lockeres Gespräch on Tour über tiefsinnige Texte.

subtext.at: Nach den Supportshows im Sommer spielst du jetzt deine erste eigene Tour. Jetzt ist circa Halbzeit – was ist euer Resümee bisher? Wie war die Resonanz?
Michèl von Wussow: Die Resonanz war überkrass, sodass wir, glaube ich, alle in der Band ganz überwältigt sind und waren, das motiviert natürlich total und wir freuen uns, heute München zu rocken. 

subtext.at: Hattet ihr Erwartungen im Vorhinein? Was war anders als erwartet, gab es irgendwas, dass euch, dass dich überrascht hat?
Nico: Ich finde es überraschend, wie gut alles läuft. Also es gab noch nichts, was wirklich schiefgelaufen ist, außer heute das kleine technische Problem, aber sonst läuft alles geschmeidig, das ist selten.
Michèl von Wussow: Ja, unsere Probewoche war relativ anstrengend, da hatten wir schon so ein paar Widerstände, weil es eben die allererste Tour ist und man in neuem Setup fährt. Gerade Timo und Nico hatten ein paar Nachtschichten, das war voll krass. In Frankfurt ist dann aber mit dem ersten Ton alles abgefallen und es war richtig, richtig toll.

subtext.at: Wie geht es euch damit, das alles zu verarbeiten? Schafft ihr, das zu fassen?
Michèl von Wussow: Ich glaube, so richtig greifen kann man das nicht. Ich stehe dann immer da und denke, okay, die singen jetzt unsere Songs, was ist hier denn los, hallo? (lacht). Das habe ich immer noch nicht so ganz gecheckt. Was total hilft, und das finde ich bei uns auch so schön, ist, dass wir dann immer noch über die Sachen im Nachhinein sprechen und versuchen, auch zusammen zu reflektieren, was da eigentlich gerade passiert. Ohne die Fans könnten wir das alles gar nicht machen und gibt uns allen so einen Push, das alles so schön wie möglich zu machen. Oder? (lacht).
Timo: Ja safe.

Jacob: Safe, auf Lock (alle lachen).

Vom Lockdown auf die Bühne

subtext.atAuf Lock machen wir weiter. Wenn du, beziehungsweise wenn ihr so zurückdenkt, vor drei Jahren war gerade noch Pandemie, Lockdown. Was würdet ihr eurem damaligen Ich erzählen, wenn ihr denen beschreiben müsstet, was heute auf Tour so abgeht?
Michèl von Wussow: Das ist ne geile Frage? Ich habe vor drei Jahren um diese Zeit „Falls ich träum könnt‘s realer nicht sein“ geschrieben. Ich würde meinem damaligen Ich sagen: „Geil, dass du diesen Song in der Ferienwohnung von deinen Eltern geschrieben hast. Den hören jetzt vielleicht noch nicht so viele Menschen, aber in drei Jahren werden das richtig viele Menschen auf den Konzerten mitsingen. Immer weitermachen und nicht zweifeln“. Ich bin dankbar, dass es diese Zeit gab, weil ich viel in dem Projekt entwickeln konnte. Aber man hat natürlich auch phasenweise das Gefühl gehabt, man arbeitet in so einen luftleeren Raum rein und weiß jetzt gar nicht, was passiert. 

subtext.at: Du hast auch vor circa drei Jahren deine ersten Songs veröffentlicht, in der Coronazeit ist für dich alles losgegangen. War es Zufall, dass das genau in diesen Zeitraum gefallen ist?
Michèl von Wussow: Ne, also wir hatten es vorab schon geplant und eigentlich sollte es ohne Corona stattfinden (lacht). Aber es war dann tatsächlich so, dass der erste Song am ersten Lockdownwochenende rausgekommen ist. Das war zu dem Zeitpunkt natürlich blöd, aber ich glaube, dass es total essenziell für uns war, weil wir dann so eine „Jetzt erst recht“-Haltung bekommen haben. 
Michèl: Natürlich haben wir uns dann einfach umso mehr darauf gefreut, als es dann live losging. Und so richtig los ging es für uns dann auch gleich mit einer wirklich tollen Support-Tour für die Seagirls vor einem Jahr. Das war ein „Aha“-Moment, weil man so gemerkt hat, dafür sind die Songs auch einfach gemacht. Die Leute kannten uns nicht, aber sind schon ultra mitgegangen. Das war eine schöne Bestätigung.

subtext.at: Du kommst aus Hannover. Wie habt ihr vier in dieser Konstellation zusammengefunden?
Michèl: Ich wohne gerade in Hannover aber komme eigentlich aus Hamburg. Lustigerweise wohnen jetzt gerade Jacob und Nico in Hamburg, genau. Ich würde jetzt einfach mal so übergreifend sagen, dass der Popkurs da total wichtig war, den haben wir alle gemacht. Außer Timo (lacht). Timo hat ihn im Herzen gemacht. 

subtext.at: Timo, wie bist du dann dazugekommen?
Timo: Das war ganz witzig, ich habe im selben Haus gewohnt wie Michi in Hannover. In in diesem Haus wohnt auch der Produzent, der alles produziert, das ist vielleicht ein bisschen das Haus der musikalischen Begegnung.
Michèl: (Lacht) Das möchte ich gerne als Zitat da reinhaben. 

subtext.at: Jetzt kommen wir zu einem kurzen Teil, den ich Tour Check genannt habe. Ihr verbringt ja jetzt ziemlich viel Zeit miteinander auf dieser Tour. Wer ist der ärgste Langschläfer, wer ist Frühausteher?
Timo: Das ist einfach. Also den größten Langschläfer, ich glaube, die Plakette können wir Jacob anhängen (lacht). 
Michèl: Und Frühaufsteher würde ich den Ditsch sagen.
Jacob: Ich bin Vielschläfer. Ich schlafe einfach tagsüber auch nochmal. Lange und viel. Und gerne.
Timo: Und wir sind so dazwischen. Wenn’s nach Kaffee riecht, sind wir am Start.

subtext.at: Wie läuft so ein Tourtag ab?
Timo: Das ist tatsächlich total tagesabhängig. Gerade in der Größe, wie wir jetzt spielen, gibt’s da noch gar nicht so einen supertypischen Tagesablauf. Das ist nicht wie die großen Bühnen, die wir bei Silbermond den Sommer über hatten, die mehr oder weniger jedes Mal gleich sind, da ist alles minutiös getimed. Da haben wir hier nicht die Möglichkeit, sondern müssen gucken, wie die Situation ist.
Michèl: Professionell Rock’n’Roll würde ich sagen (lacht). Unanstrengend ist es natürlich nicht, das wäre jetzt gelogen, aber man schweißt auch in so einer Extremsituation total zusammen. Gerade bei uns, das empfinde ich auch als sehr besonders, wir haben alle Emotionen dabei – man kann darüber reden und es rauslassen, ich finde das ist superwichtig, dass man die Sachen rauslassen kann und nicht runterschlucken muss. 

Tour: Rutschunfälle und Harry Potter

Michèl: Gestern war ein wilder Tag.

subtext.at: Gestern hattet ihr Off-Day?
Jacob: Ich habe mir beim dritten Mal Rutschen den Hals verrenkt (alle lachen). Aber es war schon toll.
Nico: Wir waren gestern in der Therme, Therme Erding. Das war geil.
Michèl: Von mittags bis abends.
Timo: Wir waren nur rutschen.

subtext.at: Also Team Rutsche, nicht Team Sprungturm?
Alle: Auf jeden Fall Team Rutsche.
Jacob: Safe, auf Lock.
Nico: Ich glaube, so geht das nicht. Du kannst nicht Jugendwörter von vor zwei Jahren mit heute kombinieren. 
Jacob: Safe auf Lockdown (alle lachen).
Michèl: Safe auf Lockdown, Zitat Jacob Streit, 14.11.2023, München (lacht).
Jacob: Der kam mir vor 10 Minuten im Bus, der wird funktionieren (alle lachen).

subtext.at: Aber ich habe das auch nie jemanden sagen hören, bevor das als Jugendwort nominiert wurde. Ich kenne das überhaupt nicht. Hast du das vorher schon verwendet?
Jacob: Ich habe das erfunden (alle lachen)

subtext.at: Dieses Interview nimmt eine komplette Wendung, wir haben hier einen Wortschöpfer.
Jacob: Alles aus meiner Feder. Ich bin kreativ. Die Kreativität brodelt.

subtext.at: Okay, wir driften ein bisschen ab. Wir waren dabei, dass ihr viel Zeit miteinander verbringt. In welchen Momenten geht ihr euch so richtig auf die Nerven?
Jacob: Immer (alle lachen). Also, wir lieben und nerven uns, die ganze Zeit. 
Michèl: So ein Spaß-Generve. Aber das ist eigentlich nur der Ausdruck, wie lieb wir uns haben. 
Nico: Wir haben ja auch an Tourtagen immer die Möglichkeit zu sagen, ich habe gerade keinen Bock auf eine Unterhaltung und geh mal kurz eine Runde um den Block. Die Konstellation unter uns ist auf jeden Fall so, dass jeder sich diese Zeit problemlos nehmen kann.
Timo: Und es gibt ja auch Noise-Cancelling-Kopfhörer. 
Jacob: Und Klebeband. 

subtext.at: Ich merke schon, wer hier für welche Sprüche zuständig ist. Was macht ihr dann, um mal so richtig abzuschalten?
Michèl: Ich höre Harry Potter. 
Nico: Hört er in Dauerschleife.
Michèl: Also auch beim Fertigmachen und so. 

subtext.at: Mit Noise-Cancelling-Kopfhörern, oder…?
Michèl von Wussow: Ne, meistens übers Handy. Ich bin zu faul, mir da Kopfhörer zu holen. Das Gute ist, alle mögen Harry Potter, wir sind eine Harry Potter Crew. 

subtext.at: Welches Harry Potter-Haus seid ihr?
Timo: Ist eigentlich ganz klar. Hufflepuff.
Nico: Gryffindor.
Timo: Auf jeden Fall Gryffindor, Michi.
Michèl: Ja ok.
Nico: Jacob ist so still. 
Timo: Jacob ist Ravenclaw. 
Michèl: Ja, find ich auch.
Jacob: Das mit den Hobbits find ich ganz cool.
Nico: Alter, jetzt hast du einen Run (alle lachen).

Angst Gegen Vertrauen

subtext.at: Die Tour ist die Angst gegen Vertrauen Tour. So heißt auch das Album. Was überwiegt gerade bei euch, Angst oder Vertrauen?
Michèl: Das Vertrauen. Wir haben das Album so genannt, weil es in einer Zeit entstanden ist, wo man viele Ängste hatte, aber auch parallel trotzdem immer diesen Glauben an die Musik und dass das klappt. Das kommt gerade so krass zurück, deswegen überwiegt auf jeden Fall das Vertrauen. 

subtext.at: Also verbindest du beides in erster Linie mit Musik?
Michèl: Ja, auf jeden Fall. Angst oder Unsicherheit manchmal im kreativen Prozess, ob Sachen funktionieren, ob das so ankommt, wie man sich das vorstellt, ob das verstanden wird. Ich glaube, die Zweifel sind meistens eher drum herum, so das Gesamtding. Für Kreativität ist das aber super, weil es für mich dann ein Weg ist, damit umzugehen und Sachen zu verarbeiten.

subtext.at: Was inspiriert dich zum Songwriting?
Michèl: Ich schöpfe vor allem aus Geschichten und Emotionen, die mich betreffen oder mein Umfeld betreffen, wo ich direkt einen emotionalen Zugang dazu habe und nachempfinden kann, dass das etwas mit mir macht. Ich brauche immer so eine Grundlage, um über ein Thema singen zu können, sonst funktioniert das nicht.

subtext.at: Das finde ich auch spannend, weil du sehr lebensnah schreibst und Geschichten aus deinem closesten Umfeld aufgreifst und Songs namentlich auch Personen widmest. Wie waren die Reaktionen darauf? Zum Beispiel bei „Narbenherz“ für deine Mutter, „Berg“ über deinen Vater?
Michèl: Meine Mama war sehr gerührt und sehr supportive. Als wir das Cover für die Single ausgewählt haben – das ist auch ein sehr persönliches Cover, da ist meine Mutter drauf und ich, das ist ein altes Urlaubsfoto, ich bin da irgendwie drei oder so. Und dann ist mir aufgefallen, ich habe sie noch gar nicht gefragt, ob das okay ist für sie. Ich hatte es schon hochgeladen und dann habe ich sie noch gefragt. Fand sie dann auch toll. Mein Vater hat nie auf den Song reagiert, da weiß ich nicht, was zurückkam. Aber das war auch nicht die Intention hinter dem Song, den habe ich für mich geschrieben. 

Michèl von Wussow über Erfolg: Ausdauer und Glück

subtext.at: Wer oder was ist, musikalisch gesehen, dein größter Kritiker in diesem Kreativprozess?
Michèl: Ja, schon ich selbst. Auch in den Writing-Sessions, wenn ich irgendwas nicht gut finde, sage ich das auch ganz offen. Das ist aber auch das spannende daran. Wir schreiben meistens in einer Dreierkonstellation, und wenn man es dann schafft, dass es alle drei richtig gut finden, ist das immer ein gutes Zeichen. Es ist meistens so, dass ich entweder mit einer Skizze von einem Song schon komme, oder mit einem Thema oder einer Textzeile oder einem Bild. Dann ist es meistens so, dass man erstmal drei Stunden über das Thema redet, um das wirklich so ganz klar zu greifen. 

subtext.at: In „Auf dich ist Verlass“ singt dein innerer Kritiker zynisch „Doch woher kommt die Miete nächsten Monat, du hast es wohl nicht drauf?“ Gerade in der heutigen Zeit mache es Spotify und Co. den Künstler:innen nicht gerade leichter. Wie schafft man diesen Sprung, wirklich von der Musik leben zu können?
Michèl: Man muss sich einfach klar sein, dass das am Anfang ein Aufbau ist. Man muss viel investieren, Zeit und Geld. Ich glaube, wichtig ist, dass man sich auch von Rückschlägen nicht unterkriegen lässt, sondern dann auch in diesen Momenten die richtigen Leute um sich hat, um daraus auch die Kraft zu schöpfen, weiterzumachen. Dann braucht man natürlich ein bisschen Glück. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn man einen langen Atem hat, man für sein Glück arbeiten kann, und es kommt dann irgendwann zurück. So ist es jetzt auch gerade bei uns. 

subtext.at: Nächstes Jahr im Herbst spielt ihr wieder eine Tour. Was ist bis dahin so in der Pipeline? Kannst du schon etwas spoilern?
Michèl von Wussow: Also, es wird auf jeden Fall eine Menge passieren nächstes Jahr. Es wird viel neue Musik geben und dann werden wir eine dicke, fette Tour spielen (lacht).