Keine Berührungsängste: Silbermond in der Arena
Nach dem ausverkauften Heimspiel von Silbermond in Dresden geht es am Folgetag „Auf Auf“ nach Wien. Nach 11 Jahren ist die sächsische Band zurück in der Arena und besingt ihre Jugend, ihre Heimat und die Demokratie. Ein Sommerabend.
Wie eine Elfe schwebt OSKA im schwarzen Rüschenkleid durch das orangene Licht. Die Arena ist gut gefüllt, heute ist schließlich Heimspiel für sie und ihre Band. Vor so circa 10 Jahren habe sie selbst Silbermond in der Arena gesehen, heute steht sie hier. Hach. Nach dem doch recht kurzen Support-Set (6 Songs) verlaufen die Zugabe-Rufe leider im Sand. Silbermond übernehmen das eingespielte Publikum. „Hallo Wien!“
20 Jahre „Zeitverschwendung“
Nach einem Doppelwochenende in Dresden (subtext.at berichtete) geht es für die vier sächsischen Musiker:innen direkt weiter nach Wien. Die Emotionalität des Doppelwochenendes in der Heimat steckt ihnen noch in allen Poren: Zweimal ausverkauft, Herbert Grönemeyer und Polarkreis 18 als Special Guests. Kein Wunder, dass die Bandmitglieder noch über’s ganze Gesicht strahlen und ihr Publikum in Rekordgeschwindigkeit anstecken.
Obwohl ein Liebeslied an die Simmeringer Hauptstraße ausbleibt und auch nicht wie in Dresden Herbert Grönemeyer auf einmal mit auf der Bühne steht, finden die vier Sachsen Anklang im Ausland. Ist es doch auch das einzige Österreich-Konzert von Silbermond in diesem Jahr. Berührungsängste zeigen sie dabei genauso wenig wie die Angst, selbst berührt zu sein. Stefanie lässt sich einmal auf Händen über den Platz tragen, es fließen Tränen und literweise Schweiß. Zurück geht’s einmal hautnah durch die hintersten Reihen und über den Balkon.
Es folgt die musikalische Zeitreise ins Jahr 2004. Das Debütalbum „Verschwende deine Zeit“ die vier zwischen 19 und 21 über Nacht zu Stars der Bravo- und MTV-Ära gemacht hat. Die zwei Dekaden Bühnenerfahrung sieht man ihnen optisch kaum an: zerrissene Baggy Jeans, lange Haare, Muskelshirt. Was auf den ersten Blick pseudo-junggeblieben wirken mag, entpuppt sich über den Abend als authentisch jugendlich. Vielleicht sind es die 20 Jahre Leben Berlin, vielleicht der frühe Mega-Erfolg, der die Ausstrahlung der vier irgendwo zwischen Anfang und Mitte 20 eingefroren hat. Fest steht, sie ziehen in den Bann, genauso wie früher schon.
Live-Album „im Theater des Westens“
Die Ansage zur neuesten Single „Zusammen Abschied“ erinnert an eine Zeit mit Facetime-Anrufen und gehaltene Hände zwischen Plastikvorhängen. Stefanie besingt den Second-Hand-Schmerz über den Verlust einer geliebten Person in Zeiten des Abstands. „Vielleicht sucht sich das Leben nicht nur die Sommerabende aus“. Kurz bricht ihr die Stimme weg, bis der Applaus übernimmt. Der Song ist vorab aus dem Album „AUF AUF – Live im Theater des Westens“ veröffentlicht worden. Silbermond performten mit einem 14-köpfigen Ensemble ihre Stücke in intimen Versionen, das Album ist am 30. August erschienen.
Song für Song lösen Silbermond die schüchternen Wiener:innen von den klebrigen Bartresen, bis gegen Schluss auch die letzten ihre Hände mit durch die Nacht schwingen. Musikalisches Highlight: Das Outro von „Ja“. In diesem Gewand ist der sowieso schon emotional verhängnisvolle Song nochmal sehr viel geiler als mit Klavierplayback auf der Hochzeit der Cousine. Deutsche Coldplay, Fragezeichen? Die ein oder anderen Wiener:innen und zumindest OSKA+Band dürften ähnlich episches gewohnt sein.
Weiter geht es mit „Leichtem Gepäck“, in der Kategorie für den perfekten handgemachten Deutschpop-Song eine 10 out of 10. „Mein Osten“ fehlt in Wien auf der Setlist, dieser Moment gehörte nur den Dresdnern. Silbermond scheinen dennoch gewisse politische Parallelen zu ihrem Heimatbundesland zu erkennen. Im Hinblick auf die Wahl appelliert Stefanie, was auch immer in den nächsten Wochen in Österreich passiere:
Ich wünsche mir, dass wir eine freie und offene Gesellschaft bleiben und weiterhin solche Konzerte spielen können.
FAZIT
Wie schon in Dresden: Wer es mag, wird es lieben. Insider verraten, dass die Band nach Ende der zweijährigen AUF AUF-Tour im September eine längere Pause einplant. Dass Silbermond aber wieder nach Dresden kommen, steht fest – ob das für Wien ebenso gilt, in den Sternen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und, was Stefanie sagt: Geht’s wählen.