„Wir / Allein“ – Ein neuer Blick auf Freundschaft
„Wir / Allein“ setzt einen erfrischenden Fokus auf Freundschaften statt romantischer Beziehungen. Die interaktiv-immersive Produktion am Theater der Uni Regensburg von Cora Frank und Isa Fallenbacher, fordert das Publikum aktiv heraus: Es trifft Entscheidungen, die den Verlauf beeinflussen.
Auf Einladung meiner House of Jazz Kollegin, durfte ich mich auf den Weg nach Regensburg machen, um ihr Musical „Wir / Allein“ zu sehen, beziehungsweise zu bejubeln. Was ich am erfrischendsten fand: Endlich ein Plot ohne Liebesgeschichte. Wir begleiten die Protaginistinnnen, wie sie ganz für sich selbst das Thema Freundschaft entdecken und definieren. Wobei für sich selbst nicht ganz stimmt, denn das Publikum darf dabei mitmachen. Die Interaktivität, die endlich wirklich das Versprechen hält, das Publikum mit einzubeziehen, ist mein zweites Highlight des Stücks.
Die Handlung – Ein Mosaik aus Möglichkeiten
„Wir / Allein“ beginnt mit einer flüchtigen Begegnung zweier junger Frauen, die sich langsam zu Freundinnen entwickeln. Die Frage, wie sich diese Freundschaft gestaltet, bleibt dabei offen. Ist sie von Offenheit und Vertrauen geprägt oder eher von Vorsicht und Zurückhaltung? Die Themen des Stücks sind universell und doch persönlich: Freundschaft, Vertrauen, Unsicherheit, mentale Gesundheit und Identität. Jede:r Zuschauer:in kann sich in die Situationen der Protagonistinnen hineinversetzen, denn die Entscheidungen, die sie treffen, wirken vertraut und authentisch. Soll man seine Ängste teilen oder lieber zurückhalten? Zeigt man seine Verletzungen oder nicht? Die Schönheit der Erzählweise liegt in der Vieldeutigkeit. Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Entscheidung, sondern lediglich die Vielzahl an Wegen, die gegangen werden können.
Interaktivität als dramaturgisches Element
Das interaktive Konzept ist das Herzstück von „Wir / Allein“. Immer wieder gibt es Momente, in denen das Publikum über den weiteren Verlauf der Handlung entscheidet. Diese Wahlmöglichkeiten werden geschickt in die Handlung integriert und wirken keineswegs aufgesetzt. Im Gegenteil: Die Entscheidungen sind organisch und beeinflussen die Dynamik der Geschichte auf subtile, aber spürbare Weise. Manchmal führt ein scheinbar unbedeutender Beschluss zu einer überraschenden Wendung, ein anderes Mal bleibt alles beim Alten – genau wie im echten Leben. Diese Einbindung des Publikums ermöglicht eine einzigartige Verbindung zur Handlung. Außerdem lässt es die Zuschauer:innen darüber nachdenken, wie oft im eigenen Leben kleine Entscheidungen einen großen Unterschied machen.
Die Darstellerinnen – Authentisch und nuanciert
Die beiden Hauptdarstellerinnen verkörpern die Entwicklung ihrer Figuren mit so viel Authentizität, die uns Zuschauer:innen merken lässt, wie verbunden sie mit dem Stück sind. Ihre Darstellungen sind nuanciert und schaffen es, die Zerbrechlichkeit und Stärke der Charaktere gleichermaßen darzustellen. Besonders die Momente, in denen die Unsicherheit der Figuren spürbar wird, sind ergreifend. Die Darstellerinnen vermitteln diese ohne übertriebene Dramatik, sondern mit einer zurückhaltenden Intensität, die unter die Haut geht.
Das Drehbuch – Facettenreiche Erzählkunst
Nach dem Stück hatte ich die Möglichkeit Cora zum Drehbuch zu befragen, um spannendes Hintergrundwissen für euch zu sammeln.
Das Drehbuch zu „Wir / Allein“, geschrieben von Cora Frank, fängt die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen auf eine Weise ein, die das Publikum sofort anspricht und berührt. Die Dialoge und Szenen wurden mit dem Ziel verfasst, ein hohes Maß an Identifikationspotenzial zu schaffen. Sie schildern alltägliche Situationen und Momente, die viele aus ihrem eigenen Leben kennen. So finden sich im Stück humorvolle und tiefsinnige Bezüge zu alltäglichen Erlebnissen. Beispiele dafür sind das Kinderspiel „Himmel und Hölle“, die Teezettel-Weisheiten des Yogi Tees, ein spontaner Minigolf-Ausflug oder der Versuch, nach einem langen Arbeitstag etwas zusammen zu kochen, nur um festzustellen, dass der Kühlschrank leer ist.
Frank beleuchtet dabei verschiedene Definitionen von Freundschaft. Enge Vertrautheit bis hin zu einer loseren Verbindung, die in schwierigen Zeiten dennoch Halt bieten, sind nur zwei Beispiele dafür. Die Charaktere befinden sich in unterschiedlichen Lebensphasen, die die Vielfalt moderner Freundschaftsformen widerspiegeln. Das Stück stellt Fragen nach Loyalität, Konfliktlösung und dem Auseinanderdriften von Lebenswegen. Es zeigt, wie komplex und doch bedeutsam Freundschaft aller Art im Alltag ist. Indem es die Ambivalenz dieser Beziehungen nicht scheut, fordert es die Zuschauer heraus, darüber nachzudenken, was es wirklich bedeutet, füreinander da zu sein.
Besonders beeindruckend ist die nicht-lineare Erzählweise des Drehbuchs, die durch Zeitsprünge und Rückblicke ein umfassendes Bild der Figuren und ihrer Beziehungen zeichnet. Dabei werden die Entscheidungen des Publikums organisch in die Handlung eingebunden, sodass die Interaktivität nahtlos in den dramaturgischen Fluss übergeht. Franks Text macht deutlich, dass Freundschaft nicht in starren Kategorien definiert werden kann, sondern sich in verschiedenen Formen und Intensitäten entfaltet – mal leicht und spielerisch, mal schwer und belastend.
Musik und Liedtexte – Eine harmonische Zusammenarbeit
Die musikalische Gestaltung wurde von Isa Fallenbacher (Liedtexte) und Simon Hensel (Komposition) gemeinsam entwickelt. Sie kreierten eine vielseitige Klanglandschaft, die die emotionalen Höhen und Tiefen der Erzählung unterstützt, ohne sie zu überlagern. Die Lieder dienen als Erweiterung der Charaktere, offenbaren innere Gedanken oder treiben die Handlung voran. Fallenbachers Texte fangen die Essenz der Momente gekonnt ein, während Hensels Kompositionen von zarten Melodien bis hin zu intensiven Klangteppichen reichen, um die verschiedenen Stimmungen zu verstärken.
Dank der Zusammenarbeit von Frank, Fallenbacher und Hensel ergibt sich eine Synergie zwischen Text und Musik, die das Publikum nicht nur mitreißt, sondern auch nachdenklich macht.
Fazit – Ein mutiger Schritt in eine neue Richtung
„Wir / Allein“ ist ein gelungenes Experiment, das zeigt, wie vielfältig und vielschichtig Freundschaften sein können. Die interaktive Komponente hebt das Stück aus der Masse heraus und bietet eine seltene Gelegenheit, Theater auf eine neue, persönliche Weise zu erleben. Es ist ein Musical, das zum Nachdenken anregt und lange nach dem Verlassen des Theaters nachhallt. Wer auf der Suche nach einer traditionellen Liebesgeschichte ist, wird hier nicht fündig. Wer jedoch bereit ist, sich auf eine Geschichte einzulassen, die keine klaren Antworten gibt, sondern zum Reflektieren und Mitfühlen einlädt, wird „Wir / Allein“ als ein bereicherndes Erlebnis empfinden.
Die Aufführungen im Theater an der Uni Regensburg haben gezeigt, dass sich das Publikum auf diese neue Form des Erzählens einlassen kann – und will. Ein weiterer Beweis dafür, dass auch jenseits der ausgetretenen Pfade faszinierende Geschichten erzählt werden können.
Warum dieser Artikel jetzt?
Die Veröffentlichung dieses Artikels kommt zu einem besonders spannenden Zeitpunkt: Cora Frank hat kürzlich eine erfolgreiche Laufzeit ihres neuen Stücks in Großbritannien beendet. In ihrer neuesten Arbeit hat sie die Grenzen zwischen Monolog auf der Bühne und Dialog mit dem Publikum auf eine neue Ebene verschoben. Diese künstlerischen Ansätze spiegeln sich auch in „Wir / Allein“ wider, wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion bewusst verschwimmen. So entsteht eine noch tiefere emotionale Verbindung zwischen Publikum und Figuren.
Zudem wird das Stück „Wir / Allein“ noch in diesem Jahr vom Verlag ipipapa verlegt. Ein großer Schritt, um die Produktion und Aufführung an weiteren Theatern zu ermöglichen. Der Verlag ist bereits in Gesprächen über eine englische Übersetzung und Weiterentwicklung des Stücks. So kann auch einem internationalen Publikum Zugang zu dieser besonderen Inszenierung zu verschafft werden. Diese Entwicklungen sind ein bedeutender Schritt für das Werk und die Karriere von Cora Frank. Zudem unterstreicht es die zeitlose Relevanz und universelle Anziehungskraft der Themen, die in „Wir / Allein“ behandelt werden.
Wer nun mehr über Cora erfahren möchte und am laufenden bleiben will, folgt ihr am besten auf Instagram oder wirft einen Blick auf ihre Webseite. Am 9.11. ist sie übrigens in Linz und am 10.11. in Wien! Stay tuned!