crossingEurope Kritik: „10 to 11“

Zeitungen, stapelweise alte Zeitungen, dazwischen etikettierte Zahnbürsten, vergilbte Fotos, Vodka – und vor allem Uhren. „10 to 11“ macht den Anfang der subtext.at Rezensions-Reihe zum Wettbewerbs-Programm von crossingEurope 2010.

Ohne eine Spur von Hast bewegt sich die Kamera durch die surreal wirkende Szenerie, um letztendlich vorm faltigen Gesichts Mithat Beys, Protagonist, Eigenbrötler und Herr der Sammlung, zum Stillstand zu kommen. Alleine und doch umgeben von der kollektiven Erinnerung ganzer Generationen, haust der 83-jährige in seiner Wohnung in Istanbul, welche ihrer beachtlichen Dimensionen zum Trotz kaum noch Platz für eine schnelle Bewegung lässt. Mithats Obsession offenbart sich am treffendsten in einem Dialog mit einer guten Freundin, einem der wenigen verbliebenen Kontakte zum sozialen Leben außerhalb seiner Blase aus Staub und Erinnerung: „War deine Freu denn niemals neidisch?“ „Ja, aber nicht neidisch auf die Mädchen – neidisch auf die Sammlung“.

Von Stapeln und Stößen

Ein Erdbeben bereitet Mithats Einsiedlertum ein Ende. Auch wenn die Erdstöße kaum den Putz von den Wänden locken konnten, die Mietervereinigung beschließt, Sicherheitsbedenken vorangeschoben, das Wohnhaus den Händen von Spekulanten zu überlassen. Nur Mithat, körperlich kaum noch in der Lage einen größeren Stapel Zeitungen zu heben, will von den Bestrebungen seiner Nachbarn nichts wissen. Ali, der sympathische Hausbesorger mit einem erschreckend hohem Maß an Unselbstständigkeit, wird dabei zu seinem Vertrautem im Aufstand gegen die Windmühlen.

Für ihr Regiedebüt „Koleksiyoncu“ (The Collector, 2002) konnte Pelin Esmer, die Regisseurin des Films, beim Independent Film Festival in Rom das Rennen um den Preis für den besten Dokumentarfilm für sich entscheiden. „10 to 11“ stellt die Adaption des Stoffs in Form eines Spielfilms dar, der auch auf technischer Ebene zu überzeugen weiß. Die Bilder sind klar und sauber, die Ausleuchtung natürlich und unaufdringlich, die Atmosphäre authentisch. Formal entspricht die Sprache Mithats Charakter: langsam, langatmig und bis zum Bersten vollgestopft mit liebevollen Details.

Fazit
rating_3_points
Auch wenn sich auf metaphorischer Ebene ein klassischer „alt vs. neu“ Konflikt dezent aufdrängt – zu keinem Zeitpunkt will der Film mehr sein, als ein facettenreiches Portrait zweier verschrobener Charaktere, deren Schicksale sich für kurze Zeit auf parallelen Bahnen bewegen. Der Film ist akribisch, ruhig und schön – andere Worte dafür wären unspektakulär und langweilig.