Integration auf Türkisch

 

Die aktuelle Debatte über den türkischen Botschafter Tezcan zeigt einmal mehr, wie lächerlich österreichisches Verständnis von Integration ist.Es geht wieder einmal ein Raunen durch die österreichische Innenpolitik. Nein, diesmal nicht, weil in Kärnten wieder einmal die Sonne vom Himmel gefallen ist, sondern weil der türkische Botschafter in Wien, Kadri Ecved Tezcan, in einem Interview mit der Presse die Integrationsdebatte neu angeheizt hatte. „Außer im Urlaub interessieren sich die Österreicher nicht für andere Kulturen.“, sagt er in diesem Interview. Und hat damit die Achillesferse des österreichischen Patriotismus durchtrennt.Reaktionen – oder doch nur Realitätsverweigerung?
Die Antwort der österreichischen Parlamentsparteien war übereinstimmend wie selten in der Geschichte. SPÖ-Parteivorsitzender Werner Faymann meinte, Tezcan hätte „keinen Beitrag zum guten Zusammenleben geleistet“. Hat sich derselbe Faymann eigentlich schon mal gefragt, warum in Wien Türken seit mehr als 30 Jahren in dieselbe Wohngegend vermittelt werden? Später regt man sich dann über „Ghettobildung“ und den hohen Ausländeranteil in Schulklassen auf, nur um das eigene Versagen in der Bildungs- und Wohnbaupolitik zu kaschieren. Eigentlich schon Konfliktpotenzial genug. Doch Tezcan geht noch einen Schritt weiter. Er greift die SPÖ noch direkt an. „Wenn wir etwas dazu sagen, bekommt Strache mehr Stimmen.“, so Tezcan über die Rolle der SPÖ, wenn das Thema Integration zur Sprache kommt.

Er hat recht damit. Anstatt selbst mal tätig zu werden, wird hier immer nur versucht, den Populisten von rechts auszuweichen oder sie rechts zu überholen. Wenn dann noch ausgerechnet ein Türke die Probleme anspricht, muss die Reaktion natürlich dementsprechend ausfallen.

Die ÖVP schlägt in die selbe Kerbe und spricht von einem „diplomatischen Affront der Sonderklasse“. Immerhin wurde Tezcan ins Außenministerium zitiert – ein Fortschritt, wurde er eigenen Angaben zufolge doch bislang noch nie dorthin eingeladen.

Skurril wird es bei FPÖ und BZÖ. FPÖ-Tasertester und Generalsekretär Vilimsky will die „diplomatischen Beziehungen zur Türkei einstellen“. Für Vilimsky keine Veränderung – ist die FPÖ nicht unbedingt die prädestinierte Partei für Dialoge mit der Türkei. Und BZÖ-Chef-Bucher will gar den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen. Die Relevanz wird so ausfallen, wie auf Aussagen des BZÖ immer reagiert wird – gar nicht.

Die Entrüstung geht wieder einmal an der Debatte vorbei
Man mag mir an dieser Stelle die Polemik verzeihen. Aber es wird in dieser Debatte leider wieder mehr als deutlich, woran es in der österreichischen Innenpolitik hapert – an der Dialogbereitschaft. Anstatt mal hinzuhören und die Aussage zu akzeptieren, das ständiges Hintreten auf andere Bevölkerungsgruppen und Religionen nicht unbedingt integrationsfördernd wird. Auch kein Wunder, würde man damit doch den Hauptangriffspunkt für jeden Wahlkampf verlieren. Wenn man also an einer echten Integrationsdebatte interessiert wäre, würde man die Idee von Alexander van der Bellen aufgreifen und eine echte, ehrliche Diskussion starten. Nur scheint mir die Chance auf Verwirklichung einer ehrlichen Debatte angesichts der Straches, Vilimskys und Faymanns gering. Leider. Und die Türken werden weiterhin als Sündenbock dastehen. Bis zu einer ehrlichen Debatte wird deswegen noch viel Wasser die Donau hinunterfließen. Ich geh in der Zwischenzeit mal auf einen Döner.

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.