TINA DICO: „Balance im Leben brauche ich wie die Luft zum Atmen“

Trifft man als Musikredakteur einen Künstler zum Interview, weiß man vorher nie, wie das Resultat ausfallen wird. Sind die Fragen in Ordnung? Bin ich gut vorbereitet? Darf über Privates gesprochen werden? Wie redselig ist der- oder diejenige? Gibt es überhaupt Restriktionen? Die dänische Sängerin Tina Dico gehört jedenfalls zu den offensten und sympathischen Leuten, die ich bisher treffen durfte.

Zur Hipster-Fraktion gehört die zerbrechlich wirkende Blondine mit Sicherheit zwar nicht, doch über mangelnden Erfolg kann sie sich nicht beklagen. Sie hat einen dänischen Grammy bei sich im Regal stehen, ihre Tour verläuft äußerst gut, sie hat mit Produzenten wie Chris Potter zusammengearbeitet, der ansonsten für Größen wie Paul McCartney, Blur, The Verve oder Richard Ashcroft die Regler bedient – keine schlechten Voraussetzungen für eine Karriere.

Dico ist eine eloquente Frau, die, wie sie selbst zugibt, ihr Tun und Handeln sehr oft hinterfragt. Ein Gespräch über Glück und die Auf und Abs im Leben, die sich nicht vermeiden lassen.

subtext.at: Tina, wann hast du das erste Mal wirklich realisiert, dass du Musikerin sein möchtest?
Tina Dico: Eigentlich ganz spät. Ich war um die 20, als ich angefangen habe, mir wirklich darüber Gedanken zu machen. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich an der Universität Religionswissenschaften studiert. Songs habe ich schon geschrieben, allein, zuhause, nur für mich. Ich war mir nicht sicher, ob andere Leute damit etwas anfangen könnten. Für mich war es mehr wie ein Tagebuch. Als ich dann später einige Leute aus dem Musikgeschäft getroffen habe, dachte ich mir, dass es vielleicht doch etwas für mich wäre. Da konnte ich mich dann auch nicht mehr auf mein Studium konzentrieren. Ich habe angefangen, Konzerte zu spielen und seitdem habe ich nicht mehr wirklich zurückgeschaut (lächelt).

subtext.at: Hast du von Anfang an Unterstützung in Form von Familie und Freunden bekommen?
Tina Dico: Ja, schon. Es war allerdings ein langsamer Prozess, der da vonstattenging. Es war nicht so, dass ich auf einmal einen Ruck gespürt habe und sich jeder gedacht hat „Na endlich“. Es war schon immer harte Arbeit. Freunde haben mich bei dem Vorhaben immer unterstützt, genau so wie meine Eltern. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass es für Eltern schon etwas nervenaufreibend ist, wenn die Tochter die Uni hinschmeißt, Musikerin werden möchte und nach London ziehen will. Sie haben jedoch schnell verstanden, dass das auch ein Beruf ist und man davon leben kann. Ich habe diesen Schritt jedenfalls sehr genossen. Auf Tour kann es schon mal vorkommen, dass meine Mutter mich begleitet (lacht). Sie genießt es jetzt, meine Karriere zu beobachten.

subtext.at: Muss man gewisse Dinge opfern, wenn man sich auf dieses Geschäft, auf dieses Business einlässt?
Tina Dico: Ich denke schon. (überlegt kurz) Als ich angefangen habe, auf Tour zu gehen, habe ich mir gedacht, dass ich niemals eine Beziehung haben werde. Das war alles zu chaotisch und ich war einfach ständig unterwegs. Wie soll das eine Beziehung aushalten? Für Frauen ist es zudem noch schwerer. Männer werden bestimmt nicht zuhause auf ihre Frauen warten, während sie in der Weltgeschichte umherreisen. Bei Typen, die in Bands spielen, ist das noch mal etwas ganz Anderes. Frauen warten gerne auf ihre Männer. (überlegt) Wie gesagt, für mich was das nicht so einfach und einige Zeit hatte ich gar keine Beziehung, ich konnte die Fäden nicht zusammenbringen, zusammenhalten, die dafür nötig sind. Für mich ist es ein Wunder, dass es dennoch geklappt hat und ich mit einem meiner Kollegen zusammen bin. Wir können zusammen spielen, zusammen touren – ist doch ganz wunderbar, oder?

subtext.at: Deine Songs geben mir immer das Gefühl, dass sie eine Suche thematisieren, es um das Verlassen oder einen Weggang geht oder darum, sich nicht sesshaft fühlen zu können. Siehst du das auch so?
Tina Dico: Das ist eine sehr gute Frage. Wenn du nicht ohnehin eine rastlose Person bist, dann wirst du es spätestens dann, wenn du mit der Musik anfängst. Ich kann dir nicht sagen, ob ich mich ständig so wurzellos gefühlt habe. Jedenfalls wurde ich zu dieser Person, als ich angefangen habe, ein „Traveling Troubadour“ zu sein. Meine Songs spiegeln wahrscheinlich all diese Eindrücke wider, die ich gesammelt habe. Ich habe wohl dieses Verlangen in mir, dieses spezielle Gefühl, sich nicht sesshaft zu fühlen. Woher es genau kommt, weiß ich nicht. (überlegt) Ich hatte stets das Eindruck, Fehl am Platz zu sein.

subtext.at: Kann man daraus etwas Positives für sich ableiten?
Tina Dico: Nein, nicht zwangsläufig. Sicherlich hat es einen Teil zum…

subtext.at: Songwriting beigetragen?
Tina Dico: Genau, weil es auf eine Art und Weise zur Inspiration beiträgt. (überlegt) Als Teenager wurde ich zu einem Beobachter meiner Umgebung und für mich war es schwer, in einen bestehenden Prozess einzugreifen und zu begreifen, dass ich mich beteiligen kann. Das hält bis heute an. Ich bin ein Teil der Party, das musste ich verstehen. Früher stand ich immer etwas abseits und dachte mir „Ohhkayy“ (lacht). Passe ich da überhaupt hinein? Von daher kann ich es mir nur so erklären, wieso du die Songs auf diese Weise interpretierst. Ich halte mich wohl zu lange in meinem Kopf auf (lächelt).

subtext.at: Ich bin eine recht positive Person und versuche, aus allen Dingen, die mir passieren, das Beste zu machen – kannst du mit diesem Satz etwas anfangen? Trifft er auf dich zu?
Tina Dico: (überlegt) Im Prinzip schon, ja. Ich bin sicher eine positiv gestimmte Person und noch lange nicht so melancholisch, wie manche Leute es von mir glauben mögen. Diese Seite von mir lasse ich in die Musik einfließen, obwohl ich hier auch sagen würde, dass meine Songs für mich mehr reflektieren als nur Melancholie ausloten. Ich bin eine glückliche Person und gehe positiv durch den Tag, bin aber auch keine sorgenlose Frohnatur (lacht).

subtext.at: Wir hören ja immer von unseren Großeltern oder älteren Personen bestimmte Weisheiten. Kann man sich auf diese verlassen, wenn sie einem sagen, dass bessere Zeiten kommen werden?
Tina Dico: (überlegt sehr lange) Das ist wirklich eine gute Frage. Bestimmt kann man sich bis zu einem gewissen Grade darauf verlassen, aber es passieren auch Dinge im Leben, die einfach beschissen und nicht toll sind, mit denen sich dann derjenige oder diejenige das ganze Leben herumschlagen muss. (überlegt) Ich denke, dass es immer auf die Situation ankommt, wie man sich verhält, ob man Zuversicht verspürt oder nicht. So spielt sich das Leben nun mal ab.

subtext.at: Du bist also jemand, der das Licht in der Dunkelheit sucht und der sich dessen bewusst ist?
Tina Dico: Definitiv. Balance ist mir sehr wichtig. Balance im Leben brauche ich wie die Luft zum Atmen. Jetzt, wo du das ansprichst, kann ich sagen, dass es mir auch wahnsinnig schwer fällt, Dinge schwarz-weiß zu sehen. Es gibt immer graue Schattierungen und nicht die eine richtige Antwort auf diese eine Frage in – wie jetzt in dieser Interviewsituation (lächelt). Wenn ich Songs schreibe, ergeht es mir auch so: Wenn ich ein Lied mache mit einer gewissen Aussage über etwas, dann möchte ich nachher eines schreiben, mit einer gegenteiligen Ansicht. „Count To Ten“, einer meiner populärsten Songs, enthält die Zeile „Sometimes the fastest way to get there is to go slow“. Manchmal möchte ich aber auch sagen: „Sometimes the fastest way to get there is to go fast.“ So bin ich leider (lacht).

subtext.at: Du machst dir viele Gedanken. Ein interessanter Ansatz, stets beide Seiten beleuchten zu wollen.
Tina Dico: So gehe ich auch durchs Leben. Ich muss die Dinge eine Million mal überdenken, bevor ich mich für sie oder gegen sie entscheide (lächelt).

subtext.at: Weil du vorhin auch etwas über Glück gesagt hast – denkst du, dass man das Glück dann am besten trifft und findet, wenn man direkt daraufhin zusteuert?
Tina Dico: Nein, ich denke eher, dass es dann zu den Leuten kommt, wenn sie es am wenigsten erwarten. Wenn du eine zu genaue Vorstellung davon hast, was Glück ist, dann rutscht es dir durch deine Finger und es ist weg. Ich habe es eine Zeit lang forciert, nach dem Glück zu streben. Wenn ich den Satz höre „Follow your dreams“ – woher weißt du denn, das du wirklich glücklich sein wirst, wenn du deine Ziele erreicht hast? Es gibt keine Garantie darauf. Es ist viel wichtiger, Leute um sich zu haben, mit denen du dein Glück und deine Erfahrungen teilen kannst. Das musste ich für mich erst herausfinden.

subtext.at: Du als Songwriterin hast am Ende die Qual der Wahl, mir dein Lieblingswort zu verraten, was dir vom Klang am besten zusagt.
Tina Dico: (überlegt lange) Das ist auch keine leichte Frage. In der französischen Sprache klingen fast alle Wörter wunderbar. Englisch ist wiederum toll, weil die Wörter, die du benutzt, einen gewissen Abstand zulassen. Du kannst zu jedem „I love you“ sagen, und es trotzdem stets verschieden meinen. In Dänisch klingt alles furchtbar hart. (überlegt) Kann ich dir die Antwort mailen?

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Signe Vilstrup, Finest Gramophone
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