Diagonale 2016 – ALLES NEU ?
Alles Neu bei der Diagonale! Oder eigentlich auch wieder nicht. Die beiden Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber haben in ihrem ersten Jahr dem Festival des Österreichischen Films nur eine sanfte Veränderung verpasst. Logo und Grafik wurden moderner und das Programm bekam neue Schwerpunkte. Aber keine krampfhafte Verjüngung, sondern intelligente Neurientierung stehen im Vordergrund. Das Festival ist politischer, und zeigt pünktlich zum Frauentag eine Frauen-Produktion zur Eröffnung.
Aber nach wie vor steht der Filmstandort Österreich im Mittelpunkt der Diagonale. Nicht heimelig, nicht aus Nationalstolz, sondern widerborstig und kritisch. Da wird schon mal die Waldheim-SS (Surf Nazis must die) ausgepackt und die einzige nie ausgestrahlte Episode von Elisabeth T. Spiras Alltagsgeschichten „Am Stammtisch“ lässt das Volk zu Wort kommen. Österreich: zum Vergessen. In ihrer Eröffnungsrede sind Höglinger und Schernhuber ungewohnt angriffig, sprechen vom Ende der Willkommenskultur und dem europäischen Problem der Wutbürger.
When in doubt, overdress
Der große Diagonale Schauspielpreis geht heuer an die 89-jährige Erni Mangold. Eine Schauspielerin, die seit 1948 vor der Kamera und auf der Bühne steht und sich von Beginn ihre Unangepasstheit, ihren Eigensinn und ihre ganz eigene Art des Spiels erhalten hat. Mit Standing Ovations wird sie auf der Bühne gegrüßt, quittiert diese Geste mit einem trockenen „Danke, ihr könnt’s euch setzen“ und feixt dann, dass sie die Auszeichnung ja nun auch wirklich verdient hätte. Sie freut sich, ehrlich, und das ist zu sehen. Der Preis in Form eines Kunstwerks ist heuer ein mit Handke-Texten bestickter Kimono, den Mangold gleich auf der Bühne anzieht – und damit im Waldviertel die Nachbarn schrecken will.
Maikäfer flieg
Mit Christine Nöstlinger sind wir ja quasi alle aufgewachsen. Ihre aufmüpfigen und unabhängigen Charaktere haben seit den 70ern mehrere Generationen begleitet. Mit „Maikäfer flieg“ hat Miriam Unger den autobiographischen Roman verfilmt, der Nöstlingers Aufwachsen am Ende des zweiten Weltkriegs und in der Besatzungszeit beschreibt. Ob gegen die Eltern oder die russischen Besatzer im Haus, die kleine Christine lehnt sich auf. Sie hat genug. Ehrlich und nett orientiert sich der Film offensichtlich sehr am Kinderbuch. Die Russen sind in permanenter Feierlaune, Gefahren wird mutig entgegengetreten und am Ende wird alles gut. Auch wenn die Geschichte wohl sehr authentisch die Erlebnisse wiedergibt, sie werden mit den Augen eines Kindes gesehen. „Es ist Krieg, es ist schon lange Krieg. Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, dass einmal kein Krieg war.“
Beautiful Girls
Der Tag der Literaturverfilmungen. Ein Buch zu einem Drehbuch umzuschreiben und dieses dann auch noch erfolgreich auf die Leinwand zu bringen ist schwer. Je bekannter das Buch desto komplizierter. Jeder kennt die Vorlage, hat seine eigenen Vorstellungen zum Aussehen der Charaktere und deutet den Stoff anders. Chucks, Beautiful Girl und Hannas schlafende Hunde sind gleich drei Beispiele. Coming of Age, also das Erwachsenwerden wird thematisiert, aber in ganz unterschiedlicher Weise. Die vermeintlich einfachste Geschichte, die Sweet-16-Story in Beautiful Girl war für mich am überzeugendsten. Die Eltern trennen sich, der Vater hat schon eine neue und ein Schulwechsel steht auch an. Charly muss in der neuen Umgebung zurechtkommen und findet sich bald in einer Dreiecksbeziehung zwischen den beiden besten Freunden Sulzer und Carlo wieder. Die drei JungschauspielerInnen überzeugen in ihren großen Rollen und erzählen die Liebesgeschichte authentisch und ohne peinliche Dialoge. Dazu gab’s großartige Filmmusik von den Steaming Satellites.
Hallo NSA
Wo kommt eigentlich die NSA her? Und was macht sie genau? Diese Frage kann der Film „A Good American“ auch nicht beantworten. Die Dokumentation erzählt die Geschichte von Bill Binney, der als Analyst und Mathematiker einen Algorithmus entwickelt hat der die elektronischen Beziehungen aller Menschen weltweit analysiert. Der Big-Ass-Graph, wie er ihn nannte, ist ein beeindruckendes Tool um mittels Metadaten so ziemlich alles über jeden weltweit rauszufinden. Aber er war verschlüsselt, nur mit richterlichem Beschluss soll man darauf zugreifen können. Schon vor 2001 kam Binneys ThinThread Programm innerhalb der NSA ziemlich unter Druck. Niemand hatte ihn damit beauftragt, wenige wussten davon. Kurz vor 9/11 wurde das Programm eingestellt, Binney und seine Kollegen kündigten kurz danach. Später wurden die vorhandenen Daten der NSA mit ihrem Programm analysiert und es wurde klar, die Anschläge auf das Word Trade Center hätten verhindert werden können. Aber dies darf natürlich keiner Wissen.
„Ich habe keinerlei Absicht mich selbst umzubringen“, so Bill gleich am Anfang des Films. Er wurde mit falschen Beweisen angeklagt, bedroht und sollte zum schweigen gebracht werden. Er muss seinen Lebenswillen klarmachen, sollt ihm plötzlich „ein Unfall“ passieren. Teile von Bill Binneys Codes werden von der NSA vermutlich noch immer verwendet. Die Verschlüsselung wurde allerdings entfernt.
Agonie
Ein qualvoller, auswegloser Zustand – In Lampedusa im Winter zeigt Jakob Brossman den täglichen Kampf der BewohnerInnen der südlichsten italienischen Inseln. Nur 110 km vom nordafrikanischen Festland entfernt ist sie seit Jahren Anlaufpunkt vieler überfüllter Flüchtlingsboote. Doch zu dem vielen Leid das sich vor ihren Augen abspielt und der Hilflosigkeit mit der sie selbst hadern hat die Insel noch ganz anderen Probleme. Die Fähre nach Sizilien brennt ab, die frisch gefangenen Fische können nicht verkauft werden, die Müllberge steigen und die Regale im Supermarkt werden immer leerer. Die Internationale Entwicklung bringt Lampedusa seit Jahren in die Schlagzeilen. Schiffbrüchige die von der Küstenwache gerettet werden, Ertrunkene am Strand, dagegen treten die Alltagsprobleme in den Hintergrund. Aber die Bürgermeisterin kämpft dazu auch noch mit streikenden Fischern und streikenden Asylwerbern. 5.000 Menschen, eine Insel, ein permanenter Ausnahmezustand.
Bombenstimmung
Drei JournalistInnen, drei Episoden, eine ein Krieg. Der erste, ein alter Hase, soll noch ein letztes mal nach Kabul geschickt werden. Der ORF braucht seinen besten Mann vor Ort. Doch schon am Flughafen wird er von seiner Vergangenheit eingeholt. Erlebnisse aus dem Balkankrieg verfolgen ihn seit 20 Jahre, aber keiner will seine Geschichte hören. Nicht seine Frau, nicht sein Chef und nicht mal die Polizei.
Jung, blond, hübsch, und Ambitioniert. Aber vom Chef wird sie zum Gesicht vor der Kamera degradiert, eigenständige Arbeit ist nicht erwünscht. Doch dann findet sie die zwei Soldaten, die in Kabul Korane verbrannt haben sollen. Aber wer hat die Bücherverbrennung angeordnet, auf die in Afghanistan die Todesstrafe steht? Sie will die andere Seite der Geschichte hören und begibt sich dabei selbst in die Schusslinie.
Das ist kein Krieg, das ist ein Witz. Mit Zynismus begegnet er der harten Realität, will den Konflikt lieber selbst inszenieren statt über pro-amerikanische PR zu berichten. Vom Chef gefeuert und der Ehefrau verlassen versucht er auf eigen Faust direkt mit den Taliban in Kontakt zu kommen. Die Fahrt in die Wüste überlebt er nur mit Glück. Doch dann explodiert endlich wieder eine Bombe in Kabul. Die erste seit Wochen. Es gibt wieder was zu berichten, die Maschinerie beginnt zu laufen.
Zum Schluss werden die drei Geschichten von Barbara Eder noch etwas verwoben, aber ihre drei Episoden zeigen schonungslos die Arbeit der Medien bei internationalen Konflikten. Viel Recherche, genaue Beobachtungen, der dokumentarische Stil und die Originalschauplätze (gedreht wurde in Kabul) machen Thank Your for Bombing zu einem aufregenden Spielfilm über die Realität hinter den Medien.