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Klaas Heufer-Umlauf: „Jeder hat die Fähigkeit, verschiedene Rollen auszuleben“

Mit feingeistigem Indie-Pop meldeten sich Gloria, die Band um Sänger Klaas Heufer-Umlauf und Musiker Mark Tavassol, Ende 2017 zurück. Das Album, schlicht und einfach „Da“ betitelt, macht keinen Hehl daraus, dass aktuelle gesellschaftliche wie politische Entwicklungen einen deutlichen Einfluss auf die Entstehung hatten.

Noch nie haben der ProSieben-Moderator (Circus Halligalli, Late Night Berlin) und der Wir Sind Helden-Gitarrist ihre Aussagen so pointiert auf den Punkt gebracht wie hier. Ein Interview mit Gloria über die eigenen Ansprüche, Authentizität und Rammstein.

subtext.at: Klaas, es gibt Menschen, die es auch in schwierigen Situationen verstehen, ihr Gegenüber im Inneren zu erreichen und schnell eine Beziehung zu ihm oder ihr aufzubauen. Gehörst du dazu?
Klaas Heufer-Umlauf: (überlegt) Das kommt wohl ganz aufs Gegenüber an. Es gibt verschiedene Arten von Menschen, wir sind ja alle sehr unterschiedlich, aber wenn sich in dieser Hinsicht jemand öffnen kann… Ich glaube nicht, dass es für alle Menschen gilt. Für bestimmte Leute, in Kombination mit der Musik, könnte das zutreffen, ja. Am ehesten mit der Verbindung zur Musik.

subtext.at: Mark, gehört er dazu?
Mark Tavassol: Ich glaube schon, dass Klaas überdurchschnittlich gut Leute erreicht. Man muss nur auch sagen, dass jemand, der nicht exorbitant bekannt ist, diese Fähigkeit noch nicht richtig gut beurteilen kann, weil die Leute sich ja immer in einer speziellen Situation wiederfinden, um darauf zu reagieren. Das verbessert sich natürlich dann nach Jahren oder Jahrzehnten der Bekanntheit und man kann dann die Wirkung eines Menschen auf einen anderen besser beurteilen. (überlegt kurz) Ich kenne Klaas nun privat und auch länger und würde schon sagen, dass er dennoch zu diesen Leuten gehört.

subtext.at: Klaas, bei dir habe ich schon seit einigen Jahren das Gefühl, dass du dich chamäleonartig in das verwandelst, was dein Gegenüber gerade braucht.
Klaas Heufer-Umlauf: Das schwingt ja immer so ein bisschen mit, weil nichts von dem so richtig echt ist. Mal bist du so, dann bist du so. Das ist eine Fähigkeit, die du vielleicht auch oder jeder in seinem eigenen Leben hat. Sie erlaubt dir, mit deiner Mutter anders zu reden als mit deinem besten Freund. Trotzdem bist du immer komplett du selbst. Diese Fähigkeit, verschiedene Rollen auszuleben, hast du und du merkst es nicht mal. Das heißt ja nicht, dass man den Kern dessen, wer man ist, verlassen muss. Gewisse Personen, gewisse Umstände, ein gewisser Rahmen, in dem man sich aufhält, fordern dann etwas stärker eine bestimmte Facette von jemandem ab. Und dann in der Lage zu sein, diese etwas nach vorne zu stellen und die anderen etwas zurücktreten zu lassen, gerade bei den zwei Extremen, die mir da entgegenkommen, finde ich ganz gut. Zu wissen, wann welcher Ton gerade gefragt ist.

subtext.at: Welche Dinge müssen vorhanden und ausschlaggebend sein, dass euer Gegenüber euch emotional mit seiner Kunst erreicht? Könnt ihr das benennen?
Mark Tavassol: Authentizität oder das unfassbare Talent, mir diese Authentizität vorzugaukeln. Wobei ich glaube, ich merke das. (überlegt) Bei Musik ist es so, dass es viel mit einem macht. Ein Song hat natürlich eine eigene Kraft in Kombination mit Inhalt, einem Thema und ob es sich überschneidet mit Themen, die mich interessieren. Wenn du Kunst oder nun Musik von einem Künstler hörst oder einer Band, du weißt, die befassen sich damit, es ist halt ernst gemeint. Dazu würde ich uns auch zählen. Die Frage ist nur, ob die Leute es dann auch so wahrnehmen oder nicht. Das ist ein Kriterium, finde ich. Natürlich kann man trotzdem, bei aller Authentizität, mit einem einzigen Lied, was einen anspricht, das wieder einreißen.
Klaas Heufer-Umlauf: Oder das Gegenteil. Ich kann mich erinnern, als ich das erste Rammstein-Konzert in meinem Leben gesehen habe. Das ist Musik, die mich eigentlich überhaupt nicht anspricht. Ich würde mich zu Hause nie hinsetzen und eine Rammstein-Platte hören.
Mark Tavassol: Vielleicht dann doch eher einen Aufkleber auf die Heckscheibe am Auto kleben (lacht).
Klaas Heufer-Umlauf: Genau (lacht). Und trotzdem hat mich das beeindruckt. Es hat einen Eindruck hinterlassen in irgendeiner Form. Ich kann gar nicht sagen, ob und wieso ich es super und toll finde.
Mark Tavassol: Ist es das Theaterhafte?
Klaas Heufer-Umlauf: Ist es nicht. Es ist eher diese Authentizität, die da mitschwingt. Ich habe auch einzelne Mitglieder von denen privat erlebt und weiß, dass das eine nicht zum anderen passt. Es ist eine ganz klare Rolle, eine Inszenierung, die da stattfindet. Extrem brachial, extrem laut. Ich kann da nicht weggucken. Eine halbe Stunde danach denke ich immer noch darüber nach.

subtext.at: Weil es visuell so stark ist?
Klaas Heufer-Umlauf: Es ist visuell so stark, inszenatorisch so stark. Es ist beeindruckend in irgendeiner Form. Im klassischen Sinne des Wortes. Beeindruckend. Da ist es mir auch völlig egal, ob Till Lindemann meinen Nachbar auf der andere Straße nicht sehen will, wie er seine Blumen gießt. Das passt natürlich wenig zu dem Typen (lacht).
Mark Tavassol: Oder wie er weiße Tennissocken aufhängt.
Klaas Heufer-Umlauf: Oder Moos aus der Regenrinne mit der Leiter entfernt. Dann ist das halt völlig egal in dem Moment. Das ist halt Kunst, die für sich in einer komprimierten, guten Art funktioniert.

subtext.at: Bislang hatte ich eine klare Erwartung, wenn ihr ein neues Album angekündigt habt. So geht es mir auch bei Künstlern wie Robbie Williams oder sagen wir U2 – man hat eine ungefähre Ahnung, wohin die Reise geht. Das hat sich nun geändert. Dass sich Gloria musikalisch in Songs wie „Erste Wahl“ oder „Immer noch da“ mit gesellschaftlichen Tendenzen wie Fremdenhass und Ausgrenzung auseinandersetzen und erkennbare Haltung zeigen, habe ich so nicht erwartet.
Mark Tavassol: Eigentlich ist das tatsächlich nicht neu für unsere Texte. Dieses Mal sind sie vielleicht einen Schritt weit weniger verklausuliert. In „Geister“ von der letzten Platte ging es um junge Leute aus dem Dorf, die nicht merken, wie sie indoktriniert selber zu Nazis werden. In „Schwaches Gift“ geht es darüber, dass mit der Zeit und je älter wir werden, wir uns für Krisengebiete und für die Schicksale anderer nicht mehr interessieren. Da haben wir aber auch Platz für Interpretationen gelassen.

In „Stolpersteine“ geht es um, nun ja, Stolpersteine. Ohne den Titel hätte man das vielleicht gar nicht verstehen können, weil es um Judenverfolgung und Vernichtung, Drittes Reich und so was geht. Schreckensgeschichten aus der Zeit, die so krass sind, dass wir uns bei diesem Lied nicht getraut haben, es die Leute erraten zu lassen, was wir meinen. Wir haben das Lied „Stolpersteine“ genannt, obwohl das Wort darin gar nicht vorkommt. Es war quasi der Schlüssel zu alledem. Es ist ein altes Thema. Auf der ersten Platte, da gab es auch viele ernste Themen. Es gibt es einen Song wie „Warten“, in dem um Depressionen geht und nicht ums Warten. Das ist ein gesellschaftliches, aber kein Pop-Thema, welches ins Radio gehört. Es ist nie anders gewesen. Bei „Da“ haben wir es vielleicht einfach weniger verklausuliert gemacht.

subtext.at: Über „Da“ habe ich Folgendes geschrieben: „Fühlt sich nach Ankommen an. Neun neue Lieder, die einen durch den Alltag begleiten, ohne Penetranz und Holzhammermethoden.“ Anders als bei Rammstein also.
Mark Tavassol: (lacht).
Klaas Heufer-Umlauf: Für vieles, was wir machen, würde ich das unterschreiben. (überlegt kurz) Man selber sieht das wahrscheinlich anders, weil man in dem Prozess drin ist. Man hat es weniger plastisch vor sich. Wenn ich mir jetzt drei Alben in einer Folge von jemand anderem anhöre oder anschaue, dann fällt es mir auch leichter, es einzuordnen als wir es hier aus dem Inneren heraus können. Dieses Ankommen merken wir aber auch bei den Konzerten. Wenn wir die alten Songs mit den neuen mischen, und sich daraus so ein Gesamtwerk ergibt, das komplettiert das schon ganz schön. Merkwürdigerweise saßen bei den Proben die neuen Songs auch besser als die alten (lacht).
Mark Tavassol: Habe ich mit den Helden auch noch nie erlebt. Da hat Klaas recht. Wir spielen auch fast die ganze Platte live. Es ist natürlich ein sehr vermessener Begriff, jetzt als Künstler zu sagen, man sei irgendwo angekommen mit der Platte. Es impliziert ja auch, dass es irgendwo nicht geil weitergehen kann (lacht).

subtext.at: In unserer Redaktion sind die Meinungen zwiegespalten. Die einen mögen die ersten beiden Platten mehr und können jetzt mit der dritten nichts anfangen, die anderen sehen „Da“ als euer bestes Album an.
Mark Tavassol: Würdest du uns verraten, zu welcher Fraktion du gehörst?

subtext.at: Zur zweiten.
Klaas Heufer-Umlauf: So lange es in einer Redaktion diese beiden Meinungen gibt, finde ich das noch OK. Wenn ihr alle drei Alben scheiße finden würdet, dann würde ich mir Sorgen machen. Wenn man sich so damit auseinandersetzt, ist doch schön (lacht). Das ist so ein Punkt, den wir schwer beurteilen können. In unserer Wahrnehmung altern die Songs auch anders. Wir kennen die ja schon länger, bearbeiten die länger, und sind natürlich an einem anderen Punkt angelangt, wenn das Album rauskommt. Wir können es dann erst mal nicht mehr hören. Dieses halbe oder ganze Jahr, was man an Vorsprung hat, ändert die ganze Sicht darauf.

subtext.at: Wir wünschen uns stets, dass das, was wir sehen, hören oder lesen, immer etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, authentisch ist. Trifft es dann ein, löst es trotzdem Unbehagen aus.
Klaas Heufer-Umlauf: Wenn man ein unbehaglicher Typ ist und unbehagliche Themen anspricht, dann aber sehr realitätsnah und sehr echt, dann ist es auch nicht schön. Es gibt Filme, hier euer Michael Haneke, der hat Authentizität mit der Muttermilch aufgesogen. Wenn du einen Film von ihm anschaust und es stirbt darin jemand, dann kriegst du wirklich das Gefühl, es stirbt tatsächlich jemand. Das schafft er. Wir sehen ganz viel designte Gewalt in jedem Film und es macht nichts mehr mit uns. Es sterben zehn Leute und es berührt uns nicht. Dann schauen wir einen Film von Haneke und es stirbt einer, und es nimmt uns so mit, weil er einen mit auf diese Reise nimmt. Das löst Unbehagen aus. Man muss dann überlegen, ob man sich mit dieser Art von Gefühl auseinandersetzen will und ob man sich da hineinbegeben möchte.

Das überschreitet vielleicht auch diesen Punkt von angenehmer Melancholie. Da befindest du dich dann irgendwann in einem richtigen Drama, was genau die Punkte in deiner Seele, deinem Gehirn und in deinem Gefühl antippt, die dafür verantwortlich sind, sich so zu fühlen, wie man sich fühlt, wenn man so was sieht. Das muss man sich halt überlegen.Es hängt schon sehr davon ab, was man da beschreibt. Wenn es um etwas Identitätsstiftendes geht, wo man sich vielleicht wohl fühlt, sich gut aufgehoben fühlt und man merkt, da sind Gedankengänge, die mit meinem eigenen Leben viel zu tun haben. Derjenige meint das so und dadurch entsteht eine Nähe, geht ja auch. Dann ist es ein schönes Gefühl. Das muss dann nicht immer ein fröhliches Thema sein. Manchmal ist es auch Verständnis, was dadurch mitschwingt. Und Zugehörigkeitsgefühl, weil man vielleicht ähnlich über die ein oder andere Sache denkt oder fühlt.

subtext.at: Die Ansprüche an uns selbst machen das Leben vielfach schwerer als es sein müsste, siehe euren Song „Hochhaus“. Haben die zu- oder abgenommen mit der Zeit?
Mark Tavassol: Da muss ich dir zwei Antworten geben, weil in „Hochhaus“ geht es eigentlich um was anderes. Das ist ein Song, der nicht so oft besprochen wird wie „Immer noch da“ zum Beispiel. In „Hochhaus“ geht es um Größenwahn. Eigentlich beschreiben wir, ohne es zu wollen, Donald Trump. Total absurd, aber darum geht es eigentlich. (überlegt) Ich finde, man kann an Ansprüchen scheitern, was sehr quälend sein kann. Es ist eine Kunst und extrem wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, den richtigen Umgang damit zu haben. Das kann zu einer enormen Ruhe, zu einer Ausgeglichenheit führen. Wir haben den Anspruch, dass wenn wir auf der Bühne sind, jemand sagt: „Das, was die machen, können auch nur die machen“.

subtext.at: Welche Grenzen sind schwieriger zu überwinden, die inneren, selbst definierten oder die äußeren, die an euch herangetragen werden?
Klaas Heufer-Umlauf: Ich hoffe doch mal, dass die eigenen Ansprüche das übersteigen, was die Menschen von uns wollen. Das ist das, was man mindestens machen sollte. Es ist vielleicht auch ein bisschen der Trick, man könnte es vorauseilenden Gehorsam nennen, eine gewisse Grunddisziplin oder eine Reflektion über Dinge, die da vielleicht kommen. Die Sachen, die wir uns vor der Veröffentlichung des ersten Albums überlegt haben, zum Beispiel in der Bewertung von außen, die liegen ja auf der Hand: Ich bin der Fernsehheini und Mark war bei Wir sind Helden, wir beide machen jetzt zusammen Musik, das Ganze ist ein bisschen nachdenklicher als das, was man von mir kennt.

Da kannst du bis drei zählen, bis die erste Einschätzung kommt (lacht). Wenn man sich über so etwas bewusst ist, dann hat man eine gewisse Haltung schon entwickelt. Wir waren dann ganz überrascht, weil es gar nicht so wild war. Wir legen vielleicht von vornherein eine andere Disziplin an den Tag oder eine andere Art von Anspruch an die Sache als eine kleine Band, die keiner kennt und die nach und nach ein bisschen größer wird.

subtext.at: Gibt es Themen, bei denen es euch trotz aller Versuche nicht gelang, den richtigen Ton zu treffen?
Klaas Heufer-Umlauf: Was wir weggeschmissen haben (lacht).
Mark Tavassol: Ganz ehrlich, das Thema Liebe, das größte Thema der Pop-Geschichte. Finde ich am schwierigsten. Es ist leichter über eine Trennung zu singen, als Teil der Liebe oder über den Trennungsschmerz, als über den Klimagipfel dessen, was man sich von der Liebe wünscht oder wenn es am schönsten ist.
Klaas Heufer-Umlauf: Mir fällt es leichter über Dinge zu schreiben, die mir auch irgendwie neu sind.
Mark Tavassol: Also Mandarin.
Klaas Heufer-Umlauf: Kantonesisch (lacht). Nee, aber über gesellschaftliche Entwicklungen, die man so nicht hat kommen sehen und die auch uns jetzt als Gesellschaft, als Generation aber vielleicht auch ganz persönlich verändern. Die Welt um einen herum. Dann denkt man: „Ach so, in 20, 30 Jahren könnte das aber auch in die Richtung gehen.“ Ohne, dass es jetzt mit meinem persönlichen Leben viel zu tun hat. Es wirkt trotzdem irgendwie darauf ein. Veränderungen in der Welt erleben wir ja gerade ganz viel, das beschäftigt mich einfach sehr und uns als Freunde auch. Ich denke viel darüber nach, ohne es mir jetzt vorzunehmen.

Es kommt mir so entgegen, es interessiert mich und ich will jetzt dazu viel wissen. Ich habe das Gefühl, unsere Generation ist gerade am Drücker – zwischen der nächsten und der älteren Generation. Mittendrin. Wir sind die, die alt genug sind, da was machen zu müssen und noch nicht zu alt, um nicht mehr die Kraft dafür zu haben. Einem 20-Jährigen würde ich eher nachsehen, wenn der sagt: „Ich check das alles noch nicht so, ich muss mich erst mal um meinen Kram kümmern, ich muss erst wissen, was ich werden will.“ Das würde ich jedem zugestehen, aber mit Mitte 30? Da hat man ja schon etwas erledigt, da ist man ja auch mal dran mit Mitmachen und Weiterverändern und so Zeugs.


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