„Ängste zu haben ist für Künstler unerlässlich“: KT Tunstall über den Kampf mit der Furcht
Quirlig, lebhaft und sehr sympathisch: Trifft man auf KT Tunstall fühlt es sich so an, als würde man sie schon jahrelang kennen. Die gebürtige Schottin, die in den USA lebt, ist putzmunter und quicklebendig. Ihr lautes Gelächter fährt durch Mark und Bein und macht die „Suddenly I See“-Interpretin noch um einiges sympathischer.
Inmitten der Covid 19-Pandemie und vor den Lockdowns trifft subtext.at auf die 45-Jährige Singer/Songwriterin, die immer wieder spannende Alben im Indie-Genre veröffentlicht. Ein Interview mit KT Tunstall über Erfolgsängste, fröhliche vs. traurige Songs und Netflix als Alternative zur Dauerberieselung im TV.
subtext.at: KT, lass uns heute über das Thema Angst sprechen, welches seit diesem Jahr gesellschaftlich besonders präsent ist. Bremsen Ängste die Kreativität?
KT Tunstall: Nein. (überlegt) Viel schlimmer finde ich, wenn man fest überzeugt ist, dass die Angst gar nicht da ist. Wenn man am leugnen und am vortäuschen ist. Das ist definitiv etwas, was deine Kreativität hemmt. Es zu zeigen, darzustellen, ist hingegen extrem kraftvoll für deine Arbeit, für deine kreative Ader. Wenn man Künstler ist, wird es außerdem noch kniffliger, weil unsere Arbeit extrem persönlich ist. Es macht einen noch verletzlicher, etwas mit der Welt zu teilen, weil es eben so persönlich ist. Es macht es auch nahezu unmöglich, nicht von negativen Reaktionen eingenommen zu werden und es ist sowieso komplett bizarr, dass man seine Gefühle überhaupt mit der Welt teilen möchte (lacht)! In meinem Fall ist das toll, ich genieße es, aber ich frage mich manchmal, woher dieses Gefühl kommt, dieser Drang. Ich habe Freunde, deren absoluter Alptraum ist es, auf eine Bühne gehen zu müssen und etwas von sich Preis zu geben. Die Krux ist, dass wir dadurch Magie erfahren. Klar, hier und da lügen wir Künstler auch ein bisschen (lacht)! Ängste zu haben ist für Künstler unerlässlich. Dadurch wird deine Arbeit, dein Werk, für andere erst interessant. Niemand möchte jemanden hören, der mutig und unerschrocken durchs Weltgeschehen geht. Fucking boring!
subtext.at: Die Angst davor, nicht gut genug zu sein, die Angst vor Zurückweisung oder die Angst vorm Erfolg, sind das alles Dinge, die dir demnach bekannt vorkommen?
KT Tunstall: Angst vorm Erfolg! Das war bei mir ein großes Thema! Persönlich war das sehr interessant für mich, weil ich mich da zum Teil selbst sabotiert habe. Mit Sicherheit. Ich kann mich erinnern, als mein Manager zu mir meinte: „Du hast 5 Millionen Platten verkauft, deswegen spielen wir jetzt Arena-Shows!“ Ich sagte zu ihm: „Auf keinen Fall spielen wir große Arena-Shows! No way!“ Jetzt würde ich zu mir sagen: „Idiot! Weshalb hast du damals nein gesagt, als sie dich gefragt haben?“ Man sollte es zumindest versuchen. (überlegt kurz) Ich habe im Madison Square Garden gespielt und es war fantastisch. Es ist unglaublich und unbeschreiblich, vor so vielen Leute auftreten zu können. Es ist auch wirklich, wirklich kraftvoll, weil sich so viele auf einen Einzelnen fokussieren. Ich würde also meinem damaligen Ich gehörig in den Arsch treten für den Entschluss, dieses Angebot nicht anzunehmen und die Angst vorm Kontrollverlust siegen zu lassen.
subtext.at: Bist du ein Kontrollfreak? Hand aufs Herz.
KT Tunstall: So weit würde ich nicht gehen, aber ich habe definitiv eine Tendenz, Dinge so zu belassen und nicht verändern zu wollen, wie sie sind (lacht). Die Veränderung könnte aber das Beste sein, was dir jemals passieren wird. Dieser Typ Frau bin ich (lacht). Man muss offen dafür sein und Veränderungen zulassen, weil diese dann zu neuen Möglichkeiten führen können.
subtext.at: Kann Angst motivieren?
KT Tunstall: Das ist auch so ein zweischneidiges Schwert. Wenn du keine Balance hast, kann dich die Angst fertig machen. Es ist leicht, sich in Selbstkritik zu verlieren und dabei alles zu Tode zu analysieren. Es gibt einen guten Text dazu von Elizabeth Gilbert, die „Eat, Pray, Love“ geschrieben hat. Die Prozentlage in allen Kunstbereichen ist zudem höher, an psychischen Krankheiten zu erkranken oder jünger zu sterben. Im Kunst- und Kulturbereich ist es ja normal, zu leiden, weil es gesellschaftlich akzeptiert ist. Einerseits bringt das Musikbusiness zum Beispiel viele Einnahmen ein, andererseits gibt es kein Netz, welches einen aufhängt, wenn man als Musiker mit mentalen Problemen konfrontiert ist. Ich versuche auch, mehr Frauen in meinem Bereich einzugliedern. (überlegt) Bei meiner letzten Tour waren sieben Frauen und drei Männer involviert und es war die beste Tour, die ich jemals gespielt habe. Backstage roch es einfach besser (lacht lauthals)! Ich möchte einfach, dass alle, die involviert sind, eine gute Zeit haben. Ich habe festgestellt, dass dies besser zu bewerkstelligen ist, wenn mehr Frauen involviert sind. (überlegt) Negative Emotionen wie Furcht, Wut, Ärger sind tolle Treibstoffe für deine Arbeit, um voranzukommen. Es hat bei mir aber 29 Jahre gedauert, um dort hinzukommen, wo ich sein wollte. In meinen Zwanzigern war ich ohne Geld und ohne Erfolg unterwegs. „Fuck you, I’m gonna do it“, habe ich den Leuten entgegengeschrien. Wenn man 45 ist, ist dieses Gefühl jedoch überhaupt nicht mehr nützlich. Es ist eher schädlich, diese Wut mich sich herumzutragen. Heutzutage erfüllt mich meine Arbeit auf eine ganz andere Art und Weise als damals, als ich begonnen habe.
subtext.at: Hattest du in all den Jahren jemals das Gefühl, dass deine Kreativität abgeebbt sei?
KT Tunstall: Nie. Dieses Gefühl hatte ich tatsächlich niemals. Klar, es gab Zeiten, wo ich nicht auf der Spur war, aber ich habe stets kontinuierlich Songs geschrieben in all den Jahren. (überlegt) Ich hatte nie einen Plan B. Wenn du 26 bist, dann denkst du dir: „Ich bin im Arsch, wenn das nicht klappt.“ Du kannst nichts anderes, du hast sonst nichts gelernt. Du musst alles dafür tun, damit es hinhaut – oder du arbeitest dann einfach in einer Bar.
subtext.at: Experten behaupten, dass Kreativität eine Art Fähigkeit ist, die erlern- und trainierbar ist. Mit Arbeit und Einsatz lässt sich diese Fähigkeit weiter steigern.
KT Tunstall: Davon bin ich nicht so überzeugt. Ich habe beispielsweise nie Kinder getroffen, die nicht kreativ sind. Sie sind vielleicht schüchtern und brauchen wen, der sie ermutigt, aber Kinder sind von Natur aus extrem kreativ und phantasievoll. Ich bin eher der Meinung, dass wenn man dieses und jenes nach Bauplan lernt, man aufhört, kreativ zu denken und zu sein. Ich bin in der extrem glücklichen Position, das tun zu können, was ich liebe. Es ist mein Job. Ich verstehe schon, dass man es als Erwachsener im Alltag nicht so leicht hat, kreativ zu sein. Wenn ich jemanden höre, der sagt „Hätte ich bloß gelernt, wie man Klavier spielt“, dann sage ich zu ihm…
subtext.at: Geh und fang damit an.
KT Tunstall: Genau. Such dir einen Lehrer, der es dir beibringt. Es gibt Online-Kurse, die umsonst sind. Mach es. Anstatt vor der Glotze rumzuhängen und sich irgendeinen Bullshit reinzuziehen, tu etwas, was dich weiterbringt und herausfordert.
subtext.at: Der erste Schritt ist wohl der schwerste, was das anbelangt.
KT Tunstall: Definitiv. Die Leute wollen sich zumindest eine Ecke bereithalten, in der sie sich verwirklichen können, wenn es sonst in allen Bereichen ihres Lebens nicht geht.
subtext.at: Wir reagieren oft ängstlich vor Veränderungen. Bei dir habe ich das Gefühl, auch wenn ich deine Karriere betrachte, dass du keine Scheu vor Veränderungen hast.
KT Tunstall: Das stimmt. Ich muss aber auch sagen, dass es keine besonders erfolgreiche und kommerzielle Entscheidung ist, Veränderungen zuzulassen (lacht). Das habe ich festgestellt. Wenn du deine Richtung ändert, wirst du Fans verlieren.
subtext.at: Mit Sicherheit.
KT Tunstall: Du bekommst vielleicht auch neue Fans, aber meist ist es so, dass man mehr Leute verliert als man dazubekommt. (überlegt) Ich habe eine Fanbase, die wirklich sehr flexibel ist, was toll ist. Deswegen finde ich Beck auch so toll, weil seine Alben so unterschiedlich sind und viele Stilrichtung vereint, von „Odelay“ über „Midnite Vultures“ bis hin zu „The Information“, eine meiner absoluten Lieblingsplatten.
subtext.at: „Sea Change“ ist mein Favorit.
KT Tunstall: Genau, „Sea Change“ oder „Mutations“. Alle ganz unterschiedliche Platten, aber immer Beck selbst. Weil es seine Songs sind, seine Texte, seine Stimme. Das war auch immer mein Traum, so etwas selbst bewerkstelligen zu können. Es wäre für mich total irre, dasselbe Album immer und immer wieder zu veröffentlichen. Nicht vorstellbar. Ich hatte immer eine großartige Zeit bei den Produktionen meiner Alben. Das zweite Album war beschwerlich, aber sonst gab es keine großen Schwierigkeiten. Ich fühle aber auch, dass es wie ein Kreis anmutet, der sich langsam schließt. Ich komme irgendwie zu dem zurück, was ich begonnen habe. DIY-Style, Lofi-Gitarrenzeug. Es ergibt irgendwie Sinn (lacht). Es war nie ganz weg, finde ich, aber es kommt zurück.
subtext.at: Wenn es um die Texte geht, können Emotionen unterschiedlich mitgeteilt werden. Manche sind persönlich, andere zeichnen sich durch Metaphern aus. Was liegt dir mehr?
KT Tunstall: Ich bin am glücklichsten, wenn ich eine Metapher benutzen kann, die poetisch anmutet. Wenn ich ein visuelles Bild vor mir habe, welches genau das Gefühl darstellt, was ich beschreiben möchte. (überlegt) Eine meiner liebsten Textzeilen lautet: „Do you know what you’ve done for me? You made my branches grow. Now they can play with the wind, and they can carry the snow.“ Es ist so berührend, weil…
subtext.at: Man es unmittelbar nachempfinden kann.
KT Tunstall: Genau. Und man hat dieses Bild vor Augen von einem Baum, der einen überragt und einem die Lebenszeit auf Erden darzustellen vermag (lacht).
subtext.at: Viele Künstler behaupten, dass ihre Songs förmlich zu ihnen kommen. Kennst du dieses Gefühl?
KT Tunstall: Oh, ja. Ich habe mich immer als „Lightning bolt writer“ bezeichnet. Mit Papier und Stift habe ich mich auch schon mal für eine Woche hingesetzt und die ganze Woche lang über geschrieben. Dann habe ich beschlossen, dass ich den Druck auf meinen Schultern minimieren möchte. Mein Gefühl wird mir sowieso sagen, wann die Zeit reif ist. (überlegt) Ich habe mir nie Sorgen gemacht, dass die Songs nicht zu mir kommen. Manchmal dauert es vielleicht länger und man denkt sich, dass man nie wieder gute Texte hinbekommen wird wie einst, aber es wird klappen. Manchmal dauert es hingegen eineinhalb Stunden und der Song steht von Anfang bis Ende. Beim Song „The Mountain“ waren die Lyrics in zehn Minuten fertig. Unser Engineer spielte im Studio die Drums und Nick McCarthy (von Franz Ferdinand, Anm. d. Red) spielte diesen Ton „Oh oh oh“.
subtext.at: Vorhin habe ich den Song im Auto gehört und ich dachte mir nur, was das für irre Sounds sind.
KT Tunstall: It’s a huge keyboard thing. Ich sagte zu ihnen, sie sollen bloß nicht aufhören und so kam dann der Song letztendlich zustande. Wirklich seltsam, wenn ich mich daran erinnere (lacht).
subtext.at: Als Künstler wird man allerorts mit Einflüssen versorgt. TV, Filme, die Nachrichten, Familie und Freunde, um nur einige zu nennen. Möchte man das alles annehmen oder will man sich eher abschotten, um die Inspiration nicht zu verwässern?
KT Tunstall: TV schaue ich nicht. Bestimmt sind es schon zehn Jahre, seitdem ich den Fernseher meide. Ich schaue schon Netflix oder bestimmte Sendungen ganz gezielt, aber diese Dauerberieselung, auch was Werbung angeht, nervt mich nur noch. Man fühlt sich irgendwie benutzt. Jeder will dir etwas einreden. Man denkt sich, warum nicht mehr Menschen auf die Barrikaden gehen (lacht lauthals)! Oder wenn der Fernseher im Hintergrund mitläuft. Muss das sein? Zeitungen lese ich auch schon lange nicht mehr. Seit Trump die Wahl gewonnen hat, habe ich mich davon abgewandt. Ich konnte es nicht glauben. Online hole ich mir meine Infos. Die Hufftington Post liebe ich. Ich bleibe informiert. Alles andere fühlt sich für mich nur noch wie Junkfood an, welches einem geistig eingedroschen wird.
subtext.at: Für dich als Songwriterin ist es also nebensächlich, was da draußen passiert.
KT Tunstall: Doch, es ist schon wichtig, aber nicht diese Art von Information. Reisen ist toll. Bücher sind toll. Ich schaue liebend gern Filme an. Wir haben letztens in meiner Band über den den letzten „Joker“-Film gesprochen, einer hat ihn noch nicht gesehen und meinte, er steht nicht auf Superheldenkram.
subtext.at: Du hast ihm bestimmt gesagt, dass er falsch liegt mit seiner Annahme.
KT Tunstall: Genau. Der Film funktioniert wie ein Kommentar auf unsere Gesellschaft, auf unsere Kultur. Wenn der Underdog-Typ irgendwann mal ausflippt. Neulich habe ich „Cabaret“ aus den 70ern mit Liza Minnelli gesehen. Ein Geniestreich! Dann habe ich noch „Judy“ gesehen und es fühlte sich so an, als würde Liza Minnelli Reese Witherspoon kopieren, obwohl der andere Film viel älter ist (die Hauptrolle in „Judy“ spielt Renée Zellweger, Anm. d. Red). Es war wild. Ich mag es aber auch, allein zu sein mit meinem Tagebuch oder in der Natur.
subtext.at: Kommt es dir manchmal so vor, als wären deine Songs in einer Art Zeitkapsel konserviert?
KT Tunstall: Ja, manchmal.
subtext.at: Erinnern sie dich dann an den Moment, wo du damals warst und wie du dich gefühlt hast, als du sie geschrieben hast?
KT Tunstall: Das traurige Zeug ist ziemlich festgefahren. Da ist es manchmal schmerzhaft, an gewisse Dinge erinnert zu werden. Bei den anderen Songs versuche ich, sie in einem neuen Licht zu sehen, sie anders zu betrachten. Die traurigen Songs sind ziemlich spezifisch. Es ist witzig, traurige und fröhliche Songs zu schreiben und miteinander zu vergleichen. Es ist seltsam, denn es ist eigentlich ziemlich leicht, einen traurigen Song zu schreiben. Ein richtig gutes, fröhliches Lied zu schreiben, das ist hingegen richtig schwer. Wenn du einen depressiven Song hast, fühlt es sich wahrhaftig an. Schreibst du einen fröhlichen Song, denkst du dir, dass es kompletter Bullshit ist (lacht)! Wer fühlt sich denn so, total glücklich und zufrieden?
subtext.at: Das stimmt. Es ist definitiv viel schwieriger, eine Verbindung zu einem fröhlichen Song aufzubauen.
KT Tunstall: Eben. Was sagt das über uns als Menschen aus? (überlegt) Das ist überhaupt eine tolle Frage von dir, denn die traurigen Lieder sind in Situationen entstanden, die ich ganz spezifisch benennen kann oder die durch spezifische Details gekennzeichnet sind. Bei den fröhlichen Stücken ist das hingegen nicht der Fall. Vielleicht wird man einfach extrem kurzsichtig, wenn man traurig ist (lacht). Ist man fröhlich, erweitert sich der Blick.
subtext.at: Auf Deutsch gibt es die Bezeichnung „Tunnelblick“.
KT Tunstall: Tunnel vision, genau. Das beschreibt es eigentlich ganz gut.
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Titelfoto: Universal Music