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Stella Donnelly: „Ich lernte Dinge auszuprobieren“

„Back to the Roots“ – so könnte man das Album „Flood“ der australischen Singer/Songwriterin Stella Donnelly in einem Satz zusammenfassen. Man würde ihr allerdings nicht Genüge tun – denn hier verbirgt sich ein Werk einer sehr facettenreichen Künstlerinn, das lange nach dem Hören noch nachwirkt.

Selten hat uns eine Künstlerin nach einem Konzert derart sprachlos zurückgelassen, wie es die Australierin als letzter Artist am diesjährigen Maifeld Derby in Mannheim tat. Nun erscheint ihr lang ersehntes Album „Flood“ – ein Album, das die Künstlerin sehr zu beschäftigt haben scheint, wie wir im Interview erfahren durften.

subtext.at: Danke für das wunderschöne Konzert, das letzte am diesjährigen Maifeld Derby – fühlt es sich eigentlich komisch an, als letzte Künstlerin auf der Stage stehen zu müssen?
Stella Donnelly: Das habe ich erstmal gar nicht realisiert (lacht). Klar war es der letzte Tag, aber ich habe nicht primär daran gedacht. Ich war darauf fokussiert, für mich und das Publikum ein schönes Set hinzukriegen. War aber großartig, und hat viel Spaß gemacht. Auch wenn die Leute schon ein paar Drinks an diesem Tag gehabt haben werden (lacht).

subtext.at: Du hast gerade das Wort „Fokus“ angesprochen. Wenn ich richtig gelesen habe, brauchst du einen relativ strukturierten Alltag, um kreativ zu sein und den Fokus zu behalten. Warum brauchst du diese Struktur?
Stella Donnelly: Für mich ist das Wichtigste, was ich über mich selbst gelernt habe, dass ich Aktivität brauche – etwas, das meine Gedanken für eine Weile von der Musik wegnimmt. Wenn das Aktivität, ein Gespräch mit Freunden, oder so etwas ist, dann ist das das, was ich brauche, um Musik genießen zu können. Sonst würde ich den ganzen Tag und Nacht an Musik denken. Das wäre dann auch ein bisschen ermüdend, und ich würde das dann nicht mehr so genießen.

subtext.at: Zum Release deines Albums „Flood“ heißt es, dass du vergessen hast, wer du warst, und es überwältigend war, wieder dein „kleines Selbst“ zu sein. Heißt das auch, dass du dein musikalisches Schaffen wieder quasi von Beginn an neu gedacht hast?
Stella Donnelly: So hat es sich angefühlt, auch deswegen, weil ich nach langer Zeit etwa wieder Klavier gespielt habe. Ich habe es wieder gelernt – das ist auch wichtig für die Kreativität, Dinge auszuprobieren, wo du vielleicht nicht notwendigerweise gut darin bist. Für mich hat das Hören eines Klaviers mich neu inspiriert und mir erlaubt, all diese Songs wieder zu schreiben. In einer Art und Weise habe ich natürlich wegen Covid auch ein bisschen für mich selbst geschrieben – wir wussten ja nicht, ob und wann wieder Shows stattfinden würden.

subtext.at: Du konntest auch nicht reisen und verbrachtest viel mehr Zeit alleine in Plätzen, wo du eingentlich nicht so lange bleiben wolltest. Wie hat dich das beeinflusst, wenn du auf dein Ich von vor zwei Jahren zurückdenkst?
Stella Donnelly:
Es hat viele Leute inklusive mich selbst dazu gebracht, erwachsen zu werden. Sich in den Spiegel zu schauen und gewisse Gedankengänge und Verhaltensweisen zu hinterfragen. Man hatte die Möglichkeit, zu stoppen und auf das bisherige Leben zurückzublicken. Heute fühle ich mich geerdeter, gesünder und bin im Nachhinein auch sehr dankbar für diese Zeit der Reflexion. Auch wenn es natürlich schwierig war.

subtext.at: „Flood“ war natürlich auch von diesen Erfahrungen und der Pandemie beeinflusst – glaubst du, dass das auch deinen Blick auf die Platte selbst beeinflusst hat? Gerade im Vergleich zu deiner ersten Platte?
Stella Donnelly:
„Flood“ handelt von vielen Dingen, die schon relativ bald in meinem Leben passiert sind. Ich gehe viel in die Kindheit zurück und sehe die Welt auch durch die Augen eines Kindes. Für mich hat die Pandemie selbst hier nicht so eine große Rolle gespielt, als ich selbst sogar geglaubt und auch erwartet hätte. Ich wollte aber kein Covid-Lockdown-Album aufnehmen – das hat ja jeder gemacht. Ein paar Kleinigkeiten sind sicher dabei – aber der Großteil handelt von Kindheit und Teenager-Jahren und Dingen, die damals in meinem Leben passiert sind. Und natürlich auch Geschichten erfinden – viele Songs sind ja auch „erfundene“ Geschichten (lacht).

subtext.at: Du hast schon angesprochen, wieder zu Dingen zurückzukehren, wo du vielleicht nicht perfekt bist, wie etwa dem Klavierspielen. Ist der Grundgedanke hinter „Floods“ vielleicht der, genau dieses Nicht-Perfekt-Sein, gerade im Hinblick auch auf selten perfekte Zeiten wie Kindheit oder Teenager-Jahre, musikalisch zu verarbeiten?
Stella Donnelly:
Ja, das ist komplett richtig. Meine Teeanger-Jahre waren alles andere als perfekt (lacht). Für mich sind diese Imperfektionen, egal ob bei Musik oder bei Menschen, so wichtig. Gerade etwa im Rahmen von Live-Shows. Ich freue mich, wenn auf einer Bühne etwa ein Fehler passiert. Das heißt, dass zumindest keine Backing-Tracks verwendet werden, die Leute live spielen, nervös sind – das macht das Ganze humaner. „Beware of the Dogs“ hatte sicher mehr Imperfektionen als es „Flood“ hat, weil ich mehr Zeit bei dieser Platte hatte, um diese kleinen Fehler auszubügeln. Ein paar kleine Dinge sind aber sicher drauf geblieben – etwa eine falsche Klaviernote oder so. Weil die Emotionen dann auch drauf geblieben sind auf der Platte. Das ist auch wichtiger für mich als den „perfekten Take“ zu kriegen.

subtext.at: Stimmt es, dass du für das Album mehr als 40 Songs geschrieben hast?
Stella Donnelly: Ja, stimmt. Es war eine „Flood“ an Songs (lacht).

subtext.at: Wie hast du die Songs für die Platte ausgesucht?
Stella Donnelly:
Die meisten der anderen Songs waren Scheiße (lacht). Also genug für vier oder mehr schlechte Platten (lacht). Aber ich wollte so viel als möglich aus mir rauskriegen. Ich bin mit relativ vielen Klavierballaden rausgegangen, aber auch mit elektronischen Pop-Songs, aber auch gitarrenlastige Songs. Dann habe ich aus dem ganzen Stapel einen diversen Sound kreiert – es ist ja auch alles Teil von mir. Die besten Songs aus diesem Stapel sozusagen.

subtext.at: Wenn wir schon von „auswählen“ sprechen, würdest du jetzt etwas anders machen wollen?
Stella Donnelly:
Ich denke, dass ich viele Dinge, die ich zum Schluss hin gemacht habe, früher gemacht hätte. Ich habe „Lungs“ etwa am Ende geschrieben, hätte es aber gerne früher geschrieben. Ich bin mir aber natürlich auch nicht sicher, ob das möglich gewesen wäre. Aber im Endeffekt bin ich mit dem Produkt schon happy und denke schon an das nächste. Das größte Problem war aber sicher, dass COVID die Aufnahme so gestört hat – logistischerweise. Fürs nächste Album hoffe ich eher, an einen Ort zu gehen, es aufzunehmen und dann wieder wegzukommen.

subtext.at: Durch die Pandemie hat sich auch die Perspektive des Publikums auf die Musik und Konzerte vielleicht verändert. Wie siehst du das im Hinblick auf dein Schaffen? Sieht dich das Publikum anders als bevor?
Stella Donnelly:
Ich weiß es nicht. Ich hatte aber schon Angst vor der ersten Show „nach“ COVID. Eine Show in meiner Heimatstadt Perth. Ich war in den Gedanken versunken, dass ich „old news“ sei und sich sowieso niemand mehr für mich interessiere. Dann kam es aber anders – ausverkauft, die Leute mochten meine neuen Songs. Das hat mich dann schon auch beruhigt – es gibt also noch einen Platz für mich und meine Musik.

subtext.at: Wenn ich dich jemandem empfehlen müsste, der dich noch niemals gehört hätte: welchen Song würdest du dieser Person empfehlen?
Stella Donnelly: Wahrscheinlich „Flood“, also den Song. Das zeigt sehr gut, wer und was ich bin, und ist so etwas wie der zentrale Punkt der Platte. Alles darum baut darum herum.

subtext.at: Zum Abschluss: ein Ding, ohne das du nicht auf Tour gehen kannst?
Stella Donnelly:
Mein Fernglas (lacht).


Stella Donnelly: Flood

VÖ: 9.9.2022, Secretly Canadian
CD / Vinyl / Digital
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Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.