Family Affairs: Kingdom
Die Welt, in der wir leben, fühlt sich manchmal so unsicher und fragil wie nie an. Was eignet sich da besser, als die eigene Familie als emotionale Stütze in den Mittelpunkt zu stellen? Leider wird dieses Bedürfnis nach stabiler Sicherheit in diesem Fall nicht erwidert. Im Dogma-Stil lässt Regisseurin Anne-Cécile Vandalem mit „Kingdom” ein raffiniertes Kollateralschaden-Epos in drei Akten im Wiener Jugendstiltheater am Steinhof aufs Publikum los.
Die Wunden der neunköpfigen Familie, die hier als Produktion für die Wiener Festwochen in der sibirischen Taiga porträtiert wird, scheinen verheilt. Doch im Laufe der Vorstellung wird klar, dass sie wieder neu aufreißen werden. Manche Blessuren sind so tief, dass der Prozess der Selbstheilung nicht komplett vollzogen werden kann. „Kingdom” ist deswegen eine berührende Kloß-im-Hals-Geschichte, die von Anfang an erzählerisch wie visuell mitreißt.
Mit Mockumentary-Einschlag (Handkameras werden von den Schauspielern selbst benutzt und die gefilmten Videos werden unmittelbar auf eine Leinwand übertragen) und der Hilfe von drei Vierbeinern schafft es Vandalem und ihr Ensemble aus Erwachsenen und Kindern, Älteren und Jüngeren, den Saal für sich einzunehmen. Die dargestellte Rauheit der Natur korreliert mit den Geheimnissen der Einsiedler, die sich im Streit mit den Nachbarn befinden, die zudem noch die Verwandten darstellen. Wie ein Lauffeuer werden diese nach und nach, später auch konkret vom Inhalt her, verbreitet und aufgedeckt. Mit Wärme und Geborgenheit haben diese Familienangelegenheiten recht wenig zu tun. Die Gemüter der Protagonisten tosen des Öfteren wie die Birken und Fenster, die vom künstlichen Wind in Bewegung versetzt werden.
Fazit
Verlustängste sind manchmal unbegründet, doch in „Kingdom” absolut berechtigt. Diese auf Französisch eindringlich erzählte Parabel, mit deutschen und englischen Übertiteln, lässt einen darüber nachdenken, was Freiheit bedeutet, welchen Preis man für ein autark geführtes Leben zu zahlen bereit ist und was Konflikte mit einem selbst und der jüngeren Generation anstellen, wenn sie über Jahre hinweg weitervererbt werden. Was nutzt einem also ein Königreich, wenn die Regentschaft tonnenschwer auf einem selbst und auf der Gefolgschaft lastet?
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