Aydo Abay
Foto: Christian Faustus

„Ich zerre von meinem Leid“: Aydo Abay im Interview

Produktiv und äußerst umtriebig. So könnte Aydo Abay wohl am besten bezeichnen werden. Vor allem mit der Band Blackmail schuf der 50-Jährige Anfang der 2000er so etwas wie eine Indie/Alternative-Blaupause für den deutschsprachigen Raum, die durch ihren beispiellosen Sound auch darüber hinaus Anerkennung und Lob einbrachte.

Nach einem unschön vollzogenen Weggang 2008, konzentrierte sich der Sänger und Songwriter in den folgenden Jahren auf gleich mehrere Projekte wie Ken, Abay & Freindz. Der jüngste Handstreich: Musa Dagh. Benannt nach historischen Begebenheiten rund um den armenischen Widerstand gegen die Osmanen im Jahr 1915, frönen Abay, Aren Emirze (Ex-Harmful, Emirsian) an der Gitarre und gegenwärtig Sascha Madsen von Madsen am Schlagzeug, dem hitzigen Noiserock. Nach zwei Alben folgt in diesem Jahr die Tour, die sie auch nach Österreich führt. Vor dem Konzert im Wiener Volkstheater nimmt sich Abay lange Zeit, um im Gespräch aus seiner Sicht Licht in die Angelegenheit mit Blackmail zu bringen, Veränderungen im Musikbusiness unnachahmlich zu kommentieren und Harry Styles zuzujubeln.

Aydo Abay und Musa Dagh
Foto: Christoph Eisenmenger

subtext.at: Aydo, die vergangen Jahre haben uns einiges abverlangt. Pandemie, politische Unruhen und auch global scheint die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten. Es gibt allerlei Gründe, um pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Heißt das aktuelle Musa Dagh-Album deshalb „No Future“?
Aydo Abay: (überlegt) Das passte. Ich hab diesen Sex Pistols-Film gesehen, diese Serie, die ich ziemlich gut fand und ich war beeindruckt von der Maschinerie. Die haben ja ganz früh mit dem „No Future“-Slogan gearbeitet. Als ich dann die Serie gesehen habe, mit deren „No Future“ und meinem Text, hat es so super gepasst. Wir wollten der Platte, wie bei der ersten eigentlich, wieder gar keinen Titel geben. Wir hatten sehr viele Diskussionen, dass man das nicht bringen kann, weil Spotify und so weiter das nicht annimmt. Amazon auch nicht. Willst du stattfinden, musst du es dort platzieren.

Ich frag mich wirklich, wieso man dieses Ding auch noch bedienen muss. Einerseits ist das gut, aber anderseits ist man ja selbst so eine Nutte geworden. Die tun ja auch nix für einen (lacht). Ich hab vor einem Jahr einen von Spotify getroffen und der meinte, wenn du keine Hörer hast, ist es schwierig. Ich meinte dann, dass das eine das andere ja ausschließt. Dann musst du halt gucken. Die wollen, dass du selber aktiv wirst. (überlegt) Ich trauere jetzt nicht der alten Zeiten nach, brauchst du nicht denken, aber ich seh schon Schwierigkeiten auf uns zukommen. Was die Zukunft von Musik angeht und wie die wertgeschätzt wird. Vielleicht ist das auch gut, weil es die Spreu vom Weizen trennt. Die letzten fünf Jahre hatte man das Gefühl, dass jeder ein Star ist. Jeder kann was. Hast du auch eine Platte gemacht?

subtext.at: Nein. Ich überlass das anderen.
Aydo Abay: (lacht).

subtext.at: Im Titeltrack heißt es „The future is bright, the future will shine, the future will come, no future“, was mich zu der Frage führt, ob in deiner Brust zwei Seelen schlagen, eine pessimistische und eine optimistische?
Aydo Abay: Meine Seele… Ich werd den Teufel tun und pessimistisch in die Zukunft schauen, Ich bin eher ein optimistischer Mensch. Obwohl ich echt sagen muss, dass mir in den letzten fünf Jahren karrieretechnisch einiges abverlangt wurde. Ich hab mich auch schon gefragt, wie es wäre, wenn man erfolgreich wäre, so super erfolgreich. In meiner Vorstellung fände ich das geil, aber ich zerre ja von meinem Leid. Macht mich kreativ. Vielleicht will ich das auch gar nicht verlieren. (überlegt kurz) Ich plane eine Werkschau in drei, vier Jahren mit all meinen Songs. Würde ich gerne mit einem Orchester machen, wenn das irgendwie finanzierbar ist. Ich hätte total Bock drauf, hier im Volkstheater mit Orchester zu spielen. Dieses schöne Haus und ich würden verschmelzen.

subtext.at: Das Album verhält sich ja wie ein Schlag in die Magengrube bis zu dem Song „0200 Hours“, was musikalisch zu dem passt, was du jetzt über die letzten Jahre gesagt hast.
Aydo Abay: Ich muss Aren mal loben. Der kommt ja vom Metal und ihm ist Energie wichtig. Der kann auch nicht still stehen. Kenne kaum eine Person wie ihn. Kommt auch immer zu nah, ist mir physisch immer viel zu viel, aber er ist, trotz seiner krassen Art, ein lieber Kerl. (überlegt kurz) Ich bin kein Metaller, ich versteh Metal nicht. Letztens noch Metallica beleidigt und er so: „Metal nimmt auch nicht jeden.“ Danke (lacht). Ist nicht mein Ding. Deins?

Album Cover von Musa Dagh

subtext.at: Als Metalhead würde ich mich jetzt auch nicht bezeichnen, obwohl ich aber einige Sachen aus dem Genre durchaus mag.
Aydo Abay: Ich mag auch ein paar Sachen.

subtext.at: Wir haben noch die Gemeinsamkeit, dass wir beide Ska und Oi-Punk fürchterlich finden.
Aydo Abay: Und Reggae. Fürchterlich. Die Lieder sind ja oft auch sehr politisch. Wir tun ihnen unrecht, aber ich kann einfach mit der Art nicht. Ist mir viel zu dumm. Da kann ich auch einem Betondrescher zuhören, der noch ne‘ Flötte drüberspielt. Ich versuch mich aber musikalisch zu öffnen. Reggae zum Beispiel. Ich geh jetzt über meinen Freund Philipp Janzen von Urlaub in Polen, der jetzt ein Pseudonym hat, nennt sich Dumbo Tracks. Der hat eine Platte gemacht mit verschiedenen Sängern, dem von The Notwist, DJ Koze und so weiter.

Das ist Dub und Dub ist auch so eine kreative Form von Reggae. Durch das Spiel mit den ganzen Filtern beruhigt er mich erst mal und hat nicht diese positive Vibrations. Er ist nur ein bisschen dark (lächelt). Das finde ich gut. Vielleicht sollte ich Ska auf 33 abspielen. Auf Festivals, wenn eine Ska-Band um 14h gespielt hat, hab ich mich gefragt: „Was ist das? Wieso drehen alle durch?“ Ich hab’s nicht verstanden (lacht).

subtext.at: Ich hab es auch nie verstanden.
Aydo Abay: Die Leute hatten aber ihren Spaß, was ja wieder ein Totschlagargument ist. Wenn Leute Spaß haben, halt dein Maul. Dann hast du’s halt nicht verstanden (lacht). Das ist ja das gute an Musik. Man muss es nicht verstehen.

subtext.at: „Life is like a chewing gum“, heißt es in dem Song „Congaah“. Ist das Leben manchmal wie ein Kaugummi? Anfangs süß, bis es sich irgendwann zieht, um anschließend wie eine Seifenblase zu zerplatzen? Ich musste hier an Blackmail denken.
Aydo Abay: Blackmail ist eine harte Nummer letztes Jahr für mich gewesen. Wir sind ja nicht im Guten auseinander gegangen. Irgendwann habe ich meinen Frieden damit gemacht und es war alles OK. Scheiß drauf. Ist halt so. Das Leben geht weiter. Es war dann auch so, dass die auch cool damit waren, glaube ich. Man ist sich einfach aus dem Weg gegangen. Dann kamen aber diese Reissues unserer Alben und diese dämliche Plattenfirma (Unter Schafen Records, Anm. d. Red.) ist mir so arg auf den Sack gegangen, damit ich über ein paar Reunionshows nachdenke. Mein bester Freund, meine Schwester und noch ein Freund von mir meinten alle zusammen, dass sie durchdrehen würden, wenn wir spielen.

Dann hab ich mir das noch mal angehört und dachte dann einfach: „Mach’s doch einfach, ist doch cool.“ Spielen wir halt zehn, zwanzig Shows und wenn sich alle freuen, ist doch gut. Ich hatte auch richtig Bock die Songs zu spielen. Ich hab das mit Abay probiert, die hatten keinen Bock und die können’s auch nicht. Irgendwer hat mal gesagt, dass Blackmail leicht zu ersetzen wären als Musiker, was halt nicht stimmt. Das ist schon eine Dynamik gewesen. Carlos (Carlos Ebelhäuser, Blackmail, Anm. d. Red.) schrieb mir dann, näherte sich an und fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich hab zugestimmt und gesagt, lass treffen und dann gucken wir mal. Ich hab mich dann aber mit dieser Plattenfirma so überworfen, wo die auch sind.

Nachdem ich nach ewig langen Gesprächen gesagt habe, dass wir uns mal treffen sollen, kommen die dann an und wollen nicht mehr, weil ich die Plattenfirma so beschissen behandelt habe. Jetzt bin ich durch damit (lächelt). Da ist echt noch einiges hoch gekommen. Diese ganze Trennung war nicht schön. Es war auch sehr viel Verdrängung mit im Spiel. Ich hab die einfach machen lassen mit dem Wissen, ich hab da keinen Bock mehr drauf. Ich hab auch viele Fehler gemacht in der Situation, aber ich konnte einfach nicht mehr. Wir hätten irgendwann einfach mal eine Pause machen müssen.

subtext.at: Eine Pause, bevor die Dinge eskaliert sind und du nicht mehr Teil der Band warst?
Aydo Abay: Ja. Ich neige dazu, Dinge zu zerstören. Ich behalt auch gern die Kontrolle. Wenn man’s nicht zerstört, kann es wachsen und ich kann’s nicht kontrollieren. Kennste (lächelt)? Irgendwie bescheuert. Auf jeden Fall hat mich das fertig gemacht. Ich hab mir das schön vorgestellt, dass wir nach Corona diese Shows spielen, aber ist eben nicht passiert.

subtext.at: Dass die Plattenfirma hier solch eine große Gewichtung bekommt, erschließt sich mir nicht.
Aydo Abay: Mit Abay waren wir ja selber bei dieser Plattenfirma. Dann kam die Freindz-Platte raus, wenn du’s mitbekommen hast. Da wurde mir vorgeworfen, ich wäre ihnen so viel schuldig, warum ich die nicht bei ihnen gemacht hab. Ich dachte mir: „Hä, ich bin doch nicht dein Musiksklave!?“ Ich mach was ich will und binnen von Sekunden ist das wirklich eskaliert.

subtext.at: Dieses Explosive hat Blackmail als Band damals auch ausgezeichnet.
Aydo Abay: Wir haben heute während der Fahrt die neue Single von Queens Of The Stone Age gehört, die ich echt gut finde. Sascha und ich haben damals diese Show gesehen zur „Songs For The Deaf“-Tour auf dem Hurricane-Festival, mit Nick Oliveri und Dave Grohl am Schlagzeug. Diese Band war nie besser. Sie sind immer noch gut. Das ist immer noch solide, was sie machen. Warst du Fan der Platte damals?

subtext.at: Doch, die mochte ich sehr gerne. Damals standen Queens Of The Stone Age, wie eigentlich auch ihr, für einen ganz bestimmten Sound.
Aydo Abay: Es gab eine Szene für so was. Ich seh das auch bei den Konzerten mit Musa Dagh, dass es die Szene zwar noch gibt, aber sehr auseinander gebröckelt ist und alle sehr alt geworden sind (lacht). Ich hab jetzt eine neue Band aus Köln gehört, Daevar heißen die, kann ich jedem nur empfehlen. Eine iranische Bassistin, die auch singt und Grunge Stoner macht. Ich war total beeindruckt. So ein bisschen wie Hole und Wüste.

Album Cover von Blackmail

subtext.at: Du hast mal gesagt, dass für Blackmail nach der „Friend Or Foe?“ alles auserzählt gewesen sei. Bist du immer noch der Meinung und wie steht es denn um deine anderen Projekte Ken und Abay?
Aydo Abay: Die Ken-Platte ist schon lange fertig, zwei Platten eigentlich, die komplett fertig sind, die nur noch gemischt und ausproduziert werden müssen. (überlegt kurz) Es fällt mir irgendwie schwer, diese Platten fertig zu machen, seit dem Guido (Guido Lucas, Anm. d. Red.) tot ist. Irgendwie, ich nehm die total gerne auf… Guido war immer in der letzten Phase, beim Mix, ganz wichtig. Er hat dann immer seinen Stempel draufgedrückt. Den krieg ich grad ohne ihn nicht hin, deswegen mal abwarten. Bei Abay ist das Problem gewesen, dass Gitarrist Jonas (Jonas Pfetzing, Anm.d. Red.) irgendwie zu Hause Stress hatte mit seiner Familie. Er ist Papa geworden und so weiter, und dann kam die Entscheidung, dass er mit Juli eine neue Platte macht.

Während Corona war das alles off. Dann kam Aren um die Ecke und ich hatte immer Bock, mit Moses Schneider und Thomas Götz zu arbeiten. Auf einmal sind all diese Bands entstanden. Thomas ist ja verrückt. Kennst du den? Er ist Schlagzeuger bei den Beatsteaks. Er macht ja eine Band pro Woche. Da bin ich ja ein Witz. Mit Aren und Musa Dagh ist es so, dass er einfach Gas gibt. Er treibt das Ding voran und deswegen sind Sachen schnell fertig. Während Corona hab ich beschlossen, ich mach einfach noch mehr Projekte und mach die halt dann, wenn es passt und wenn sich etwas ergibt.

subtext.at: Wenn du so produktiv bist, woher weißt du dann, was wo hingehört?
Aydo Abay: Die Überlegung fängt ganz woanders an. Ich überleg das gar nicht, sondern wer spielt mit und mit wem will ich was machen. Oder wenn mich jemand fragt, will ich das machen? Da passieren eigentlich die Dinge. Die Kreativität und das Können der Leute, die dazukommen. Ich setz mich ja eigentlich nur auf die Musik. Ich kann kein Instrument spielen und kann ihnen auch nicht sagen: „Mach mal B-F-B und ich sing dann mal drüber.“ Dadurch sind diese Leute immer so wichtig. Weil es so verschiedene sind. Wenn man es eigentlich runterrechnet, mache ich immer nur dasselbe, aber auf andere Musik (lacht).

subtext.at: Dasselbe, aber immer sehr gut.
Aydo Abay: Danke schön.

subtext.at: Du kommst ja auch gewissermaßen immer damit durch.
Aydo Abay: Bis es einer rafft. Jetzt hab ich es ja verraten (lacht).

subtext.at: Lebst du jetzt mit Musa Dagh eine Facette von dir aus, die du bislang nicht ausleben konntest?
Aydo Abay: Es hat sehr viele Blackmail-Parallelen, finde ich. Ein bisschen metaliger. Aren erinnert mich menschlich total an Kurt (Kurt Ebelhäuser, Blackmail, Anm. d. Red.) und die haben ja auch schon mal zusammengearbeitet, was herrlich mit anzusehen war. Es ging die ganze Zeit darum, wer ist schneller, wer kann noch besser und wer ist noch raffinierter. Schneller, höher, weiter. Die ganze Zeit über wurde konkurriert. (überlegt kurz) Da Blackmail jetzt Geschichte ist, macht mir das irgendwie Spaß. Bei Abay oder Freindz muss ich ja oft hingehen und sagen: „So, können wir mal bitte?“ Hier ist es so, dass Aren nicht locker lässt, bis die Sachen rollen. Auch diese Tour. Da wird so lang gepusht, bis man irgendwann sagt: „Mach ich halt.“ Es wird einem aber auch schmackhaft gemacht (lacht). Man muss es ja auch als Abenteuer sehen.

Wir reisen durch Deutschland und jetzt, mit Österreich, ist es ja Europa. Eine Europa-Tour. Hätten wir nur gestern besser geschlafen, wäre ich besser drauf. Ich bin keine zwanzig mehr. Ich hatte eh keine Lust, zu touren. Für wen? Macht ja gar keinen Sinn. Dann haben sie mich aber überredet und jetzt find ich es auch irgendwie geil. Wir können uns jetzt aber auch nicht beschweren. Die Shows liefen jetzt alle sehr gut jetzt. Heute wird ein bisschen mau, hab ich aber auch eine Erklärung für. Nach Blackmail musste man praktisch wirklich wieder bei Null anfangen. Weil ich ständig Bands wechsle oder neue kreiere, muss ich praktisch immer bei Null anfangen. Für die Leute ist das ja auch Arbeit, sich damit zu beschäftigen. Da haben die keinen Bock drauf. Ich hab aber keinen Bock drauf, immer nur eine Band zu haben. Harmful, Aren’s ehemalige Band, kennst du?

subtext.at: Ja. Harmful kenne ich von den Platten her.
Aydo Abay: Aren hat eigentlich recht, wenn er sagt, dass du dranbleiben musst. Du musst ständig machen und tun. Dieses Social Media-Ding sieht er eher als Geschenk. Man hat Content und generiert Leute, bis man in den Algorithmus reinkommt und so weiter. Allein dieses Wort, Algorithmus, ist so bescheuert, wobei ich dem Algorithmus viele gute Musik zu verdanken habe. Gibt ja auch einen Song bei uns, „Algorithm & Alcohol“. Ich sitz manchmal so da und lass mir von Spotify, Deezer und wie sie alle heißen, ein Lied vorschlagen und bin begeistert. Dann musst du dir die ganze Scheiße auch noch merken (lächelt).

subtext.at: Wann warst du eigentlich zum letzten Mal auf Tour?
Aydo Abay: Das war 2019 mit Abay. Wien haben wir damals übrigens abgesagt.

subtext.at: Und mein angedachtes Interview gleich mit.
Aydo Abay: Es waren irgendwie nur zehn Tickets weg. Heute konnten wir es hier im Volkstheater nicht absagen. Es ist egal, wie viele kommen. Hauptsache, wir spielen hier (lacht).

Aydo Abay und Musa Dagh
Foto: Christoph Eisenmenger

subtext.at: Was hat sich aus deiner Sicht als Musiker noch verändert in den letzten Jahren?
Aydo Abay: Seit 2019 und den folgenden zweieinhalb Jahren Corona, hat sich dieses Social Media-Verhalten komplett verändert. Es ist noch wichtiger geworden. Es muss irgendwie noch hipper und noch anbiedernder sein. Wenn du es nicht anbiedernd machen willst, muss es origineller sein. Immer noch ein bisschen Comedy mit reinpacken. Das reine Musikmachen geht immer mehr weg. Ich hab mich heute gefreut, endlich nach langer Zeit wieder in Österreich zu sein. Auch privat. Ich hab mich total gefreut, als wir im Sendegebiet waren, FM4 anmachen zu können. Ist ja total beschissen mittlerweile.

subtext.at: FM4 soll die hippere Version vom Mainstream-Radio in Österreich werden.
Aydo Abay: Da läuft ja nur Kotze (lacht). Es tut mir leid. Mir hat auch irgendwer erzählt, dass die das einstellen wollen. Ich unterschreib das jetzt (lächelt).

subtext.at: In meiner Jugend war FM4 eine Anlaufstelle für Indie- und Alternative-Fans. Außerdem gab es viele Szenen, die sehr lebhaft waren. Es war aber auch so, dass viele Künstler und Bands nicht in eine bestimmte Genre-Schublade gesteckt werden wollten. Jetzt gibt es alles und nichts.
Aydo Abay: Dazu habe ich drei Sachen zu sagen. (überlegt kurz) Wir haben das ja selbst miterlebt und mitbefeuert. Es war ja auch toll, dass Musik einfach keine Grenzen mehr kannte. Das war auch ein Lebensgefühl, dass man sagt, ich will jetzt Elektro, ich will Hardcore, Punk und Country. Weil’s cool ist. Weil ich mich auskennen will. Musik wurde ja immer mehr. Mit jedem Jahr wurde der Zugang zur Musik größer. (überlegt) Bis auf den Metal und den Gothic… Indie hat ja gar keine Lobby. Da hast du ja nur Leute, wenn du ein Fünkchen Erfolg hast, sagen die dann: „Ich find nur die Demos gut.“ Super behin… Nee, darf man ja nicht mehr sagen. Superberzerker (lacht)!

Beim Metal ist das ganz krass. Wenn der Metal Hammer und wie sie alle heißen, sich auf ein Album einschießen… Du hast aber eigentlich auch recht, weil als es diese Szenen gab, war’s irgendwie gut. Es hat aber auch viel mit der Form zu tun, wie Musik heute konsumiert wird. Es hat sich so vereinfacht für den Konsumenten. Du wirst einfach so super zugeschissen und dieses kuratierte Ding fällt einfach weg. Macht jetzt eben irgendein Algorithmus für dich. Es gibt nicht mehr den Ray Cokes (TV-Moderator aus Großbritannien, Anm. d. Red.) oder was weiß ich wen. gotv! Was habe ich gotv geliebt!

subtext.at: Falls gotv noch existiert, dürfte es in den letzten zehn Jahren wohl niemand mehr angeschaut haben.
Aydo Abay: Wir haben mit Ken 2013 oder 2014 ein Video gedreht und ich hab es dann für Geld bei gotv eingereicht (lacht). Haben die aber nicht angenommen. Die haben zwar das Geld genommen, aber das Video nicht gespielt. Fand ich komisch. (überlegt kurz) Diese Komponenten aus Gazette, der kuratierten TV/Radiolandschaft und dem Word to Word, hatte auf einmal eine Reichweite. Mittlerweile ist es so viel Musik, dass du entweder groß bist und Leute dem Event beiwohnen wollen wie zum Beispiel gestern oder vorgestern bei Harry Styles, den ich großartig finde, oder es gibt eben die kleinen Bands. Da wird ganz kurzfristig abends noch überlegt, ob man aufs Konzert geht oder nicht. Sehen wir jetzt auch auf der Tour. Sascha Madsen spielt ja gerade bei uns. Kennst du?

subtext.at: Klar.
Aydo Abay: Bei dem hol ich mir immer die Infos über Madsen ab. Ist natürlich eine viel größere Band und da greifen die Mechanismen noch ein bisschen. Die wurden grad noch mitgenommen. Musikalisch kann ich nichts Negatives dazu sagen. Die haben wahnsinnig viele Hits. Sascha ist ein Mörder-Musiker, eigentlich alle von der Band. Die sind super eingespielt. Mit den Songs kann ich nicht immer etwas angefangen, ich bin aber auch nicht die Zielgruppe.

Aydo Abay und Musa Dagh
Foto: Christoph Eisenmenger

subtext.at: Wenn ich das herunterbreche heißt das, das Kuratierte fehlt dir, die Hörgewohnheiten haben sich verändert und es es gibt einfach zu viel an Musik?
Aydo Abay: Ja. Mir fehlt’s wirklich.

subtext.at: Sind diese Veränderungen für dich persönlich gut oder schlecht?
Aydo Abay: Für mich ist es schlecht. (überlegt kurz) Wir sind mit Musa Dagh jetzt Platte des Monats bei der Visions gewesen. Früher war das ein Garant, dass mindestens 100 Leute zur Show kommen. Mindestens. Und nur die. Das gilt nicht mehr. Zwei Wochen später wird schon eine neue Platte des Monats announced und dann bist du wieder vergessen. Was du mittlerweile wirklich brauchst ist, dass Leute viral gehen, es untereinander teilen. Ich weiß nicht, wie das geht. Weiß du, wie’s geht (lacht)?

Letztens haben wir noch darüber geredet, welche Gitarrenband sich eigentlich noch wie früher etablieren konnte, wie sagen wir mal Billy Talent. Wie schnell das ging, ne? Da gibt’s ja eigentlich nur Turnstile, wenn die dir was sagen. Das sind Amis, die in Köln im Palladium gespielt haben, ein 4000er Laden. Festivals spielen die auch recht weit. Das sind so die einzigen, wo ich das so mitbekommen hab. Sehr gute Platte. Auf die Fresse. Wenn du’s magst (lächelt).

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