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Foto: Cristina Gottardi

Muss ich das gelesen haben?

Gerade im schulischen Kontext stellt man sich oft die Frage, muss ich XY wirklich lesen. Diese Entscheidung trifft man oft nicht freiwillig, sondern wird meistens vorgegeben. Teresa Reichl hat die gängigen Werke genauer unter die Lupe genommen und bietet uns einen humorvollen Einblick in die Welt der deutschen Literatur.

Teresa Reichl kennen viele eher aus einem anderen Blickwinkel. Die Influencerin und Poetry-Slammerin begeistert on- und offline schon über mehrere Jahre. Sie beschreibt sich selbst als eine Person, die so oft wie möglich und mit aller Begeisterung schreibt, auftritt und Pizza isst. Was unglaublich sympathisch klingt. Wer Teresa schon länger auf Instagram, tiktok oder Youtube verfolgt, kennt ihre Liebe zur Literatur und auch ihre direkte aber humorvolle Weise, wie sie die vorhandenen Missstände in der Weltliteratur anspricht. Diese (Hass-)Liebe für die deutsche Literatur hat die studierte Germanistin in einem Buch zusammengefasst. Mit ihrem Werk gibt sie uns wundervolle literarische Alternativen, welche schon lange überfällig sind.

Weiblich, nicht Katholisch, Marginalisierend, beeinträchtigt, queer, Bi_PoC und ArM

Wer kennt sie nicht, die Klassiker der deutschen Literatur, welche sich ausgiebig mit allen Diversitätsformen beschäftigen? Zugegeben, ich kannte sie nicht. Ein gut bürgerlich aufgewachsener Goethe oder Schiller habe sich in ihren Werken eher anderen Dingen gewidmet und haben weniger den Fokus auf z.B. die Rolle der Frauen gelegt. Wer bereits das Vergnügen hatte „Faust“ oder „Die Räuber“ lesen zu dürfen/müssen wird Teresa recht geben. Ich bin jedenfalls voll bei ihr. Die meisten der durch die Schule bekannten Werke stammen von Männern. Deren Merkmale zum Großteil wie folgt ausfallen: weiß, aus guten Verhältnissen stammend, keine Beeinträchtigung und feierten überwiegend den Katholizismus. Geht man davon aus, dass man im Allgemeinen nur über das schreibt, was man kennt, brauchen wir nicht mehr weiter schauen, welche Themen sie verarbeitet haben.

Klasse Klassiker unter der Literatur

Teresa basht jetzt nicht 230 Seiten lang auf alte weiße Männer, sondern vermittelt in ihrem charmanten Schreibstil auch unheimlich viel Wissen über Literatur. Zum einen mal, was Literatur überhaupt ist, was literarische Kompetenz ist und auch was man unter Klassiker versteht.

Ein Klassiker ist ein Werk, das nicht aufhört, zu sagen, was es zu sagen hat.

Definition Klassiker

Geht man nach dieser Definition, zählen theoretisch auch jüngere Werke, die nicht von toten Männern verfasst wurden, auch zu den Klassikern. Eine Erläuterung, die vielleicht auch hilfreich sein kann, bei der Erstellung der eigenen Leseliste für die Matura. Oder zumindest eine Unterstützung ist bei der Diskussion/Verteidigung dieser Liste bei dem Lehrpersonal. Damit ein Buch ein Klassiker wird und bleibt, muss viel über das Werk gesprochen und geschrieben werden. Persönlich finde ich diesen (für mich) neuen Zugang zu Klassikern sehr erfrischend und dieser eröffnet auch Möglichkeiten, unbekannte Autor:innen mit wichtigen Themen eine Bühne zu bieten.

Es gibt ja nichts – die Personen haben einfach nichts geschrieben

Hier kommt von Teresa ein klares Nein, stimmt nicht. Da hätten wir die Roswitha von Gardersheim, die schon rund um 950 über wagemutige Heldinnen und ihren Abenteuern geschrieben hat. Aber auch Judith Kerr mit ihrem Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, Hengameh Yaghoobifarah „Ministerium der Träume“ oder aber auch Thomas Melle mit „Die Welt im Rücken“. Teresa hat hier genau recherchiert und eine mehrseitige Buchempfehlung erarbeitet, welche im Buch zu finden ist.

Damit diese Personen einen Platz auf der Leseliste bekommen und diese somit vielfältiger wird, ist mit viel Aufwand verbunden. Zum einen benötigt es ein gewisses Bewusstwerden der fehlenden Diversität. Zum anderen ist dies, wie so vieles auch, ein Thema fürs Budget. Wer kann sich nicht daran erinnern, wo die gesamte Klasse gemeinsam (im schlimmsten Fall auch noch reihum) ein Buch gelesen hat? Als Schule muss man es sich auch leisten können, die Bücher in Klassenstärke auf Lager zu haben. Und natürlich ist es günstiger, jene Bücher zu lesen, die auch die Generationen davor gelesen haben. Dabei rede ich noch gar nicht von dem Mehraufwand für die Lehrkräfte per se, die dafür ein passendes Unterrichtsmaterial verfassen müssen. Hier ein kleiner Tipp von der ehemaligen Bibliothekarin: Öffentliche Bibliotheken haben verschiedene, auch neuere Bücher in Klassenstärke zum Ausleihen – wie zum Beispiel die Stadtbibliothek Linz. Es sind auch die Bibliotheken, die immer wieder froh sind über Bücherwünsche abseits der Klassiker.

Fazit

Ich bin Teresa Reichl unheimlich dankbar für das Buch. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen, weil sie auf einer sehr niederschwelligen und funny Art über Literatur spricht, sodass man inspiriert wird, mehr zu Lesen. Sie erklärt die Dinge wie sie sind, ohne Schnörkel und Rüschen und fördert somit das allgemeine Verständnis der Materie. Zum anderen zeigt sie uns Beispiele, wie man hier andere Sichtweisen in seinen literarischen Alltag packen kann.

Aber am dankbarsten bin ich dafür, dass sie im Buch Literatur nicht auf ein Podest hebt. Sie weigert sich auch zu sagen, dass nur Bücher, mit schwerverständlichen Texten, komplexe und dramatische Handlungen oder eine dichte Fremdwörteranzahl es verdienen, den Namen Literatur zu tragen. Danke für deine Aussagen, dass Literatur auch Spaß machen darf, ohne Begleitlektüre verstanden werden darf und vielfältig sein darf.


Muss ich dass gelesen haben?

Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir es ändern können.
von Teresa Reichl

Haymon Verlag
230 Seiten, Deutsch, gebundene Ausgabe

€ 17,90 – jetzt bestellen

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