Filmstill aus The Zone Of Interest
Foto: a24films.com

The Zone of Interest: Ein leiser Kriegsfilm

Mittlerweile ist doch längst alles auserzählt, was es zum zweiten Weltkrieg zu sagen gibt, oder? Irgendwie schon, irgendwie aber auch nicht, wie Jonathan Glazers zurückhaltende Charakterstudie von Rudolf Höß – dem Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz – beweisen soll.

Was braucht man, um in der endlosen Menge an Kriegsfilmen noch einen weiteren über den 2. Weltkrieg zu drehen? Richtig, eine gute Idee. Die hat Jonathan Glazer, denn in seinem neuen Film über den Leiter des KZ Auschwitz sieht er ganz davon ab, das Innere des Lagers zu zeigen. Richtig. In The Zone Of Interest kommt keine einzige der unzähligen Gräueltaten der Nationalsozialisten vor, weder visuell noch direkt verbal. So erweckt der Film viel mehr Gefühle als eine wirkliche Handlung zu entwickeln.

Vor der Mauer

The Zone Of Interest ist Slow Cinema auf seine schönste Art und Weise. „Schön“ ist hier ein bewusst gewählter Ausdruck, denn die von der Kamera eingefangene Szenerie ist geradezu paradiesisch. Die Frau von Rudolf – Hedwig – kümmert sich gemeinsam mit ihren „Gärtnern“ um das wunderschön florierende Areal. Eine deutsche Familie mit Kindern, wie sie damals im Buche stand. Ein Pool mit Rutsche, das Gartenhaus, das Sonnenblumenbeet. Nichts lässt zu wünschen übrig, alle sind glücklich, sofern man die Schreie und den aufsteigenden Rauch hinter der Mauer wegignoriert. So fährt die Kamera zu dieser meist parallel den Garten entlang, um den immer weiter ausgebauten Komfort der Familie Höß einzufangen. Und wenn man als Zuschauer:in nicht wüsste, was ein im Hintergrund vorbeifahrender Zug für dessen Insassen bedeutet, würde man ganz einfach gemeinsam mit ihnen den Luxus genießen.

Dieser Film hat keine inszenierten Schockmomente, keine offensichtlich verwerflichen Handlungen. Nein, Rudolf möchte ein erfolgreicher Ingenieur und Kommandant sein, Hedwig nur das beste Leben für ihre Kinder. Ermordungen spielen keine Rolle. Das ist Ware, die man so „effizient“ als möglich „verarbeiten“ muss. Genau in dieser Ironie, dass sich Glazer der Darstellung und Verschwiegenheit der Nationalsozialisten unterwirft und sie 1:1 aufgreift, liegt die Stärke des Films.

Wir sind doch alle gleich

Sandra Hüller in The Zone Of Interest
Foto: a24films.com

Während andere schreiben, dass es wohl in einigen Szenen schwierig sein soll, auf die Leinwand zu schauen, ist doch das komplette Gegenteil der Fall. Der Film hüllt einen in eine Blase, in der man auch gerne wäre. Die veranstalteten Gräueltaten in Auschwitz sind selbstverständlich zutiefst abscheulich, doch gerade in der Subjektivität der Darstellung von Glazer ertappt er eine der schlimmsten Seiten des Menschen: Jeder könnte das hier sein. Jeder an Stelle der Familie Höß würde es womöglich genauso machen.

Es ist kein Biopic von Höß, das wir da vorgesetzt bekommen, sondern viel eher ein Spiegel, vor den wir auch gerne eine Mauer stellen würden. Eine Mauer, die uns von all den Untaten abschirmt, auf denen unser heutiger Luxus baut. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Film kaum etwas erzählt, sondern einfach draufhält. Das Publikum bekommt Zeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, auf die ein oder andere Art. Egal, ob es eine Interpretation eines in Rot getränkten Bildes oder einer stilistisch überhöhten Nachtsichtkamera ist. Jonathan Glazer gibt einem nur die nötigen Bilder dafür mit. Die Wucht kommt erst viel später. Dann wenn man Zeit hatte, sich länger damit zu befassen.

Ein Hoch auf Hüller

Es ist das Jahr von Sandra Hüller. Zwei Performances in zwei Oscar „Best Picture“ Nominierungen dieses Jahr. Und während sich das Internet noch immer über den Margot Robbie „Snub“ aufregt, hätte man Sandra Hüller lieber auch noch in der Nebendarstellerinnen Kategorie für diesen Film nominieren sollen. Die Freude in ihrer Stimme, die dauerhaft von boshafter Kälte untermalt wird, ist höchste Kunst. Aber auch Christian Friedel soll hier nicht unerwähnt bleiben. Die maschinelle Unmenschlichkeit, die er ein paar fast trockenen Dialogen verpasst, schaffen vor allem im Nachhinein dann doch noch für Schockmomente.

Ein Schöner Film

The Zone Of Interest ist ein „schöner“ Film. Die Kamera ist immer präzise, die bisher noch gar nicht erwähnten Kostüme wirken genau wie der Luxus aus der Zeit und die subtilen Performances bleiben haften. Er wirkt aber aufgrund seiner Zurückhaltung vor allem für sein Genre auch etwas leer, zumindest in Teilen. Wer sich Schockmomente erwartet, wird sie hier kaum finden, aber vielleicht findet man den Schock auch erst ein paar Stunden oder Tage später – in sich selbst.


The Zone Of Interest Poster

The Zone Of INterest

Regie: Jonathan Glazer

USA/UK/Polen, 106 Minuten
Mit Christian Friedel, Sandra Hüller

a24films.com

Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.