Christina Stürmer
© Lisa Tatzber

Christina Stürmer: „Ein halbes Leben“ im MTV-Unplugged-Format

Christina Stürmer ist zurück. Am 13. April nimmt sie das Publikum im ausverkauften Wiener Gasometer mit auf eine Reise durch ihre Karriere. Zwischen Anekdoten übers Jausenboxen herrichten und viel handgemachter Musik ist Christina Stürmer auch als Popstar bodenständig geblieben. 

Bevor „Millionen Lichter“ auf der Bühne erstrahlen, eröffnet der von Christina persönlich gewünschte Support Act den Abend. Längst kein „Nobody“ mehr in der Musiklandschaft, begeistert OSKA ihrer ausdrucksstarken Stimme und ihrem charakteristischen Folk-Pop das Publikum. Mit der himmelblauen E-Gitarre und ihrer einhüllenden Stimme macht die 27-Jährige aktuell vor kaum einem Pop-Konzertbesucher halt. Im August wird sie für Coldplay dreimal das Ernst-Happel-Stadion eröffnen. Daneben steht ihre eigene Österreich- und Europatour und der Release ihres zweiten Albums an. Im Duo mit Clemens (Doppelfinger), der sie an Gitarre und Mundharmonika begleitet, eröffnet sie mit „Too Nobody“ die Show. Noch atmosphärischer geht’s eigentlich nur, wenn sie mit kompletter Bandbesetzung spielt.

Oska ist „Forever Blue“

Die Hookline „Who cares about music anymore?“ wird eine berechtigte Frage, denn der Crowd fällt es schwer, still zu sein. Vielleicht ist die Vorfreude auf Christina zu groß, oder das partywütige Publikum nicht ganz die richtige Zielgruppe für die verträumten Folk-Songs. OSKA ist aber sichtlich glücklich, dabei sein zu dürfen: „Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung“, freut sich die gebürtige Niederösterreicherin. Und der Platz gebührt ihr auch. Sie ist dabei, sich neben Namen wie Stürmer und Ambros als herausragende österreichische Künstlerin einzureihen. 

Bei ihrer zauberhaften Version des U2-Klassikers „Still haven‘t found what I’m looking for“ singen schließlich auch die redseligsten Besucher:innen mit. Der unveröffentlichte Song „Forever Blue“ lässt erahnen, dass der Sound des zweiten Oska-Albums halten wird, was sie seit Tag eins verspricht: melancholische Gefühle und Gänsehaut. Forever Blue halt. 

MTV vergeht, Stürmer besteht

Wofür man die Stürmer-Fans loben muss, ist ihre Euphorie ab der ersten Sekunde. Schon vor Beginn des Konzerts wird laut mitgekreischt, was bei „Take on me“ von a-ha zu sehr dissonanten Chören führt. Schief, aber irgendwie verbindend. Nach der Aufzeichnung des MTV Unplugged Albums im Wiener Volkstheater letzten Sommer war die Tourshow in Wien als erstes ausverkauft. 3.500 Leute tummeln sich im Gasometer. 

Christina strahlt, als sie auf die Bühne kommt. Die 20 Jahre Bühnenerfahrung hört man ihr auf den ersten Ton gar nicht an. Sie klingt noch immer gleich unverkennbar wie von der CD, die man sich 2006 auf den ersten MP3-Player gebrannt hat. Wenn nicht noch besser, der raspy Klang in den tiefen Tönen verleiht gerade den alten Stürmer-Songs noch mehr Vehemenz. Es wird klar: hier steht – oder sitzt – ein Vollprofi auf der „MTV Unplugged“-Bühne. Der Musiksender ist mittlerweile von der Primetime-Bildfläche verschwunden, aber Christina Stürmer ist nach fünf Jahren zurück.

Erschreckenderweise hat vor ihr noch keine einzige Frau im deutschsprachigen Raum das seit 1989 bestehende, legendäre Musikformat aufgenommen. 2023 wurde die 41-Jährige zur zweiten Österreicherin überhaupt, der diese Ehre gebührt. Nach Andreas Gabalier liegt es an ihr, die Ehre unserer Nation auf MTV-Ebene wiederherzustellen. Wie sie selbst proaktiv die Gelegenheit ihres 20. Bühnenjubiläums ergriffen hat, bei MTV anzufragen, erzählt sie im Interview mit Subtext. 

„Wo is mei Cuba Libre?“

Neben viel Musik quer durch die letzten 20 Jahre gibt es auch die ein oder andere Geschichte darüber, wie das Unplugged-Album zustande kam. Die Bühne erinnert an einen Proberaum. Lichterketten zieren das Bühnenbild, in dessen Mitte stehen mit bunten Stickern beklebte Kisten, auf denen die Musiker:innen Platz nehmen. „Ich hab Hummeln im Popsch“, erklärt Stürmer nach den ersten Songs. Bei Songs wie „Millionen Lichter“ kann sie nicht anders, als sich von den Kissen zu erheben. Diese habe übrigens die Oma genäht. 

„Man ist nach 20 Jahren natürlich schon ein bisschen festgefahren. Manche Songs wollten sich nicht gleich in ein neues Gewand stecken lassen, berichtet sie aus dem Entstehungsprozess. Die weiteste Entfernung von den Stürmer-Originalen erfahren „Ich hör auf mein Herz“ und „Nie genug“. In der „Cuba-Libre-Version“ lassen sie karibische Reggae-Töne anklingen und bringen Urlaubsfeeling in die Halle. Ansonsten finden sich Mandoline, Ukulele und lange Soli der Bandmitglieder auf den Tracks. Das Publikum, schreit, weint, lacht und tanzt mit. Zusammengesetzt ist es bunt. Diejenigen, die wohl seit Starmania Fans der Sängerin geblieben sind, stehen neben Anfang 20-Jährigen, die mit Songs wie „Ohne dich“ und „Scherbenmeer“ aufgewachsen sind. Auch einige Kids sind dabei. „Ein halbes Leben“ ist der einzig brandneuen Song im Set, in dem Stürmer auf ihre letzten 20 Jahre zurückblickt.

Austropop und Gänsehaut

Ein erstes Highlight ist die Rückkehr von OSKA, um gemeinsam „Seite an Seite“ zu spielen. Dass diese sich dabei verspätet, amüsiert Christina. „Die is so liab verpeilt, ich mag das“. 

Neben der Stürmer-Songs hat sich die 41-Jährige auch eine Handvoll Songs gepickt, die sie mit anderen Künstler:innen performt. Auf YouTube bereits über eine Million mal geklickt, begeistert „Du bist wia de Wintasun“ mit Wolfgang Ambros Jung und Alt. Christina Stürmer berichtet zuvor, wie nervös sie war, die Austropop-Legende anzurufen. Ambros konnte in Wien leider nicht vor Ort sein. „Die Christl“ beweist aber auch Solo, dass ihr Dialekt auch gesungen sehr charmant klingt. 

Der mit Abstand bewegendste Moment war eine Akustikversion von „Mama (ana ahabak)“, ein Song des ersten Albums. Dieser ist inspiriert vom Irakkrieg entstanden. Es erschrecke sie, wie aktuell das Thema geblieben ist, bedauert Stürmer, die selbst zweifache Mutter ist. Das Lied aus der Sicht eines Kindes sorgt für Gänsehaut und feuchte Augen im Publikum, aber auch auf der Bühne. Selbst der Sängerin bleibt in der zweiten Strophe für einen kurzen Moment die Luft weg. Die Schlagzeilen über den iranischen Raketenangriff auf Israel an jenem Abend unterstreichen das bittersüße Gefühl, mit dem man den Saal wenig später verlassen wird. 

Fazit

Schwermütig und leichtfüßig ist dieser Abend, laut und leise, intensiv wie das Leben selbst. Im überraschend mitreißenden Rap-Debüt erzählte Stürmer „Keine Märchen“ der Hamburger Kinder-Hip-Hop-Gruppe Deine Freunde. Das „Kompliment“ der Sportfreunde Stiller hat ihr anno 2003 Starmania-Silber gebracht und eröffnet die Zugabe. Zum Abschluss darf „Ich lebe“ inklusive Mitsingteil für’s Publikum natürlich nicht fehlen. Sie dankt dem Gasometer, einem „Traum von einem Publikum“ und abschließend ihrer Band. Mit Matthias Simoner und Bern Wagner (Gitarre), Rue Kostron (Bass), Maria Solberger (Klavier) und Klaus Pérez-Salado (Drums) geht es nun weiter nach Deutschland. „Kummts guad ham und bleibts g’sund.“