Camino Real im Volkstheater
Willkommen in Camino Real, einer Stadt am Rande der Realität, wo der Wahnsinn feiert und die Verzweiflung Eintrittskarten verkauft. Man könnte sagen, ein Fiebertraum mit Mariachi-Sound. Tennessee Williams hat mit diesem Stück keine gewöhnliche Bühne geschaffen, sondern eine surreale Kreuzung zwischen Vorhölle, Traumfabrik und absurder Literaturparty.
Regisseurin Anna-Sophie Mahler bringt das selten gespielte Drama mit Wüstensand, Nebelschwaden und der Indie-Band Calexico auf die Bühne des Volkstheaters. Der Abend, wirkt weniger wie Theater, sondern mehr wie ein verrauchtes, musikalisches Delirium. Zwei Stunden ohne Pause läuft die Inszenierung noch bis April im Volkstheater in Wien.
Handlung hier, Handlung da
Das Stück ist schwer zu fassen, und das ist ein Kompliment. Camino Real ist keine Geschichte im klassischen Sinne, sondern ein wilder Trip durch die Köpfe. Da ist Kilroy, ein Boxer mit einem Herz aus Gold (im wahrsten Sinne des Wortes) und den Augen eines verwirrten Welpen. Es gibt eine Wahrsagerin, deren Tochter Esmeralda vom Mond ihre Jungfräulichkeit zurückbekommt. Lord Byron schwärmt mit einem Fuß im Grab von irgendeiner Shelley, während Casanova und Marguerite ein groteskes Liebesspiel aufführen. Es ist ein nicht endender Strudel aus literarischen und popkulturellen Referenzen, die einander vor die Füße stolpern.
Ernste Fragen und Anliegen bitte nur an die Wahrsagerin
Man bleibt, weil diese Inszenierung sich traut, ein Chaos zu sein. Die Bühne (ein von Kakteen gesäumtes Niemandsland) und die permanent verschleierte Szenerie laden zum Eintauchen ein. Nebel, Lichtspiele und projizierte Wüstenszenarien machen klar: Realität hat hier Sendepause. Und dann ist da die Musik. Die Band Calexico liefert einen Sound, der zwischen melancholischer Mariachi-Romantik und Desert-Rock schwankt. Es ist, als würde man sich in einem staubigen Roadtrip-Film verlieren. Joey Burns’ sanfte Stimme und Martin Wenks betörende Trompetenklänge tragen mehr zur emotionalen Tiefe des Abends bei, als so mancher Monolog es könnte. Die Band, komplett mit John Convertino und Paul Wallfisch, ist keine Ergänzung, sondern das goldene Herz der Inszenierung.
Tragisch schön
Das Ensemble bewegt sich durch die groteske Landschaft wie Figuren, die sich ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst sind, aber dennoch weitermachen – eine romantische Reflexion auf das menschliche Dasein.
Das Stück ist eine Zumutung, ein poetischer Fiebertraum, der oft mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Die Inszenierung setzt eher auf Atmosphäre als auf Konsistenz. Wer hier Sinn sucht, könnte enttäuscht werden – aber wer bereit ist, sich einfach darauf einzulassen, wird belohnt von der Brise des Wahnsinns im Haar. Am Ende verlässt man den Saal mit dem Gefühl, Teil eines absurden, hypnotischen Wüsten-Roadtrips gewesen zu sein.
Mehr zum Stück: volkstheater.at