Saturno – Grässliche Männergestalten
Daniel Tornero erzählt in seiner Dokumentation Saturno über seinen Großvater, der wegen sexuellen Missbrauchs und versuchter Entführung verhaftet worden ist. Nun macht er ein filmisches Portrait über ihn und seine Familie, um zu zeigen, wie diese damit umgehen und wie es war, mit diesem aufzuwachsen.
Die ganze erweiterte Familie des Regisseurs kommt zu Beginn des Films im Wochenendhaus zusammen, um gemeinsam über ihren Großvater und deren Vergangenheit zu reflektieren. Drei Generationen, von der Großmutter bis zu den zahlreichen Kindern treffen sich zum ersten Mal seit langem alle wieder, um für den Film gemeinsam die Beziehung zu ihrem Großvater aufzuarbeiten. Dieser ist im Alter von 72 Jahren verhaftet worden, da er Minderjährige missbraucht hat und entführen wollte. Dabei ist er allerdings noch immer nicht in Haft, sondern wartet weiter auf eine seinen Gerichtsprozess.
Verleugnung, Verleugnung, Verleugnung.
Es braucht gar nicht viel, um die verschiedenen Gefüge in der Familie klarzumachen. Tornero muss die Kamera lediglich aufstellen und dabei zusehen, wie Streitigkeiten, Diskussionen und Unsicherheiten in seiner Familie losbrechen. Dabei braucht es sogar ziemlich lange, bis endlich klar wird, welche Straftaten sein Großvater überhaupt begangen hat. Lediglich Aussagen wie „Er verdient es nicht, in Würde zu leben“ lassen die Härte seiner Handlungen vermuten und setzen einen Ton, der zwischen den Gesprächen immer wieder für Schockmomente sorgt.
Immer wieder wechselt das Setting vom Wochenendhaus zum Haus seines Großvaters, den der Regisseur alleine begleitet und befragt. Es ist ein alter, gebrechlich aussehender Mann, der sich durch das Rauchen seiner Zigarren wieder einen gewissen Respekt zurückzuholen versucht. In seinem Blick schlummert ein Hauch von Trauer, der allerdings genauso eine Täuschung des eingefallenen Gesichtes sein kann. Denn von Reue fehlt jede Spur, wie man über den Verlauf des Films immer deutlicher sehen wird. Mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten und ständigem, fast schon konditionierenden Wiederholungen der Nichtigkeit seiner Taten setzt er sich in eine fabrizierte Opferrolle, die nicht ferner der Realität sein könnte. Dass es der Regisseur dabei schafft, alles ohne Wertung darzulegen, zeugt von großer filmischer als auch emotionaler Reife.
Inzwischen wird auch in der restlichen Familie heftig diskutiert – denn es ist nicht nur der Großvater, der seine Fehler hat. Auch sein Sohn – der Vater des Regisseurs und seiner Brüder – hat laut ihnen seine Fehler. Der Narzissmus hört hier nicht auf. Jeder und jede nimmt sofort eine Opferrolle ein und schiebt die Täterschaft ohne Wenn und Aber auf den Großvater. Eine Herangehensweise, die im Film lange unkommentiert bleibt und einen als Zuseher:in zusehends verzweifeln lässt. Das ist allerdings durchaus gewollt, denn so wird der Generationenkonflikt in seiner Härte wunderbar porträtiert.
Eiserne Ruhe
Die Dokumentation ist dabei in ihrer filmischen Qualität eine sehr ruhige und objektive. Tornero lässt alle seine Verwandten ausreden, meist bleibt die Kamera minutenlang ohne Bewegung und Schnitt auf ihren Protagonisten haften. Das führt in der Mitte des Films definitiv zu Längen, durch immer wieder unerwartete Dialogstücke wird man aber wieder zurück ins Geschehen geholt.
Das Wochenendhaus und das Anwesen seines Großvaters nutzt er dabei als Kontrast zu weiten Naturaufnahmen. Die Verschlossenheit der Zimmer mit verwinkelten Türen und Fenstern werden als einengende Rahmen benutzt, die weite Natur beschreibt im Gegenzug die schmerzende Nichtigkeit und das Kleinsein aller. Dazwischen stellt der Film dann auch dem Publikum seine wichtigste Frage: Woher kommt man und wie wird man zu dem, der man ist? Musik braucht es dabei gar keine, lediglich Grillenzirpen bietet eine Art musikalische Untermalung.
Was nun?
Obwohl der größte Teil des Films aufgrund seiner Thematik schwer und deprimierend ist, schafft er es glücklicherweise am Ende doch, mit einer positiven Note zu enden. Das sei hier ohne Spoiler erwähnt, da es so am Schluss zu einigen großen Gänsehautmomenten kommt, die die Hoffnung an die Menschheit wieder etwas gerader rückt. Hier wird dann auch das namensgebende, bezeichnende Gemälde „Saturn devouring his son“ von Francisco de Goya erwähnt. Ein Gemälde, in dem Kronos – den die Römer Saturn nannten – aus Angst vor seinem Sohn ebendiesen verspeist. Aber vielleicht gibt es doch die Möglichkeit, aus diesem Teufelskreis zu entrinnen und die Zukunft selbst zu lenken, ohne dass man andere und sich selbst zerfrisst. Man muss sich nur hin und wieder selbst in den Spiegel schauen und handeln, anstatt immer nur zu reden.
Fazit
Saturno ist ein langsamer Film, der nüchtern und ohne Sentimentalität des Filmemachers seine Familie zeichnet. Auch wenn nicht jede Familie einen Straftäter enthält, zeigt er doch viel allgemein gültige Problematiken auf und prangert sie ohne billige Wertung an. Er hat seine Längen, die er aber durch geschicktes Anordnen seiner Mono- und Dialoge immer wieder schafft, aufzulösen.
Saturno wird noch ein zweites Mal am 02.05. um 13:30 im Moviemento auf dem Crossing Europe gezeigt.
Saturno
Regie: Daniel Tornero
96 Minuten, Spanisch, OmEu
Mit Purificación Almagro, José Alberto Tornero, Noelia Tornero
filmfestival linz
29 april – 04 mai 2025
www.crossingeurope.at
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