Der Wunsch nach dem ewigen Sommer
Ein berührender dänischer Sommerfilm über Abschied, Überforderung und das Erwachsenwerden: Min Evige Sommer erzählt leise, aber eindringlich von einer Familie am Rand des Zerbrechens – und der Suche nach Halt inmitten der Trauer.
Wer uns gut kennt oder uns aufmerksam verfolgt, weiß: Wir haben eine (kleine) Schwäche für nordische Filme und das Coming-of-Age-Genre. Der Film Min Evige Sommer von Sylvia Le Fanu und Mads Lind Knudsen vereint beide Vorlieben perfekt.
Sommer in Dänemark. Die Schule ist abgeschlossen, vor dem Studium liegen große Erwartungen an einen letzten unvergesslichen Sommer mit den (alten) Freund:innen. Ein Sommer voller Abenteuer, lauer Nächte und Partys. Doch für die 15-jährige Fanny hat das Leben andere Pläne. Der Wunsch nach einem „normalen“ Sommer bleibt ihr verwehrt. Statt mit ihren Freund:innen die Jugend zu genießen, verbringt sie die Ferien mit ihren Eltern in einem Sommerhaus. Ihre Mutter ist schwer krank, die Prognosen sind schlecht – es wird ihr letzter gemeinsamer Sommer.
Die Filmemacher:innen zeigen den Alltag der Familie, der zunächst unspektakulär wirkt: Strandbesuche, gemeinsame Kaffeepausen, Entspannen im Garten, Besuche von Freund:innen. Doch das unausweichliche, tragische Ereignis liegt immer wie ein Schatten über allem – mal präsenter, mal unterschwellig. Fanny versucht trotz der Umstände, irgendwie ihr Leben zu leben: Sie lädt Freund:innen und ihren Freund ins Sommerhaus ein, geht feiern, flirtet auf Partys. Die Eltern geben ihr – so gut es geht – die Freiräume, die sie braucht. Doch das ist nicht immer möglich.
Lass mich nicht mit ihr alleine
Mit der Aussicht, ihre Mutter bald für immer zu verlieren, ist Fanny überfordert. Ebenso mit der plötzlichen Verantwortung, sich teilweise um sie zu kümmern. Doch sie wird nicht gefragt – das Leben trifft diese Entscheidung für sie. Krankheiten nehmen keine Rücksicht darauf, ob der Zeitpunkt passt oder ob Angehörige bereit sind. Der Vater (gespielt von Anders Mossling) versucht alles zusammenzuhalten. Wie viel Verantwortung und emotionale Last das bedeutet, wird im Verlauf des Films sehr deutlich. Er wird dabei fast ausschließlich in seiner fürsorglichen Rolle gezeigt – seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse bleiben auf der Strecke. Als Zuschauer:in gerät man in einen inneren Konflikt: Man möchte, dass Fanny Verantwortung übernimmt, um den Vater zu entlasten – aber man will ihr auch nicht die Jugend rauben.
Der triste Alltag und das Warten auf den (erlösenden) Tod zermürben die Familienstruktur. Was einst funktional war, wird Stück für Stück von der Krankheit erodiert. Fanny kompensiert den Druck, indem sie flüchtet – raus, unterwegs sein, nicht da sein. Doch vor der Realität und dem Schmerz kann man nicht fliehen. Der Gedanke an den nahenden Tod ist immer da – besonders in Momenten, in denen sie mit ihrer Mutter alleine ist, während der Vater Besorgungen macht.
Beziehungen verändern sich
Der Film lässt nur erahnen, wie innig die Beziehung der Familie vor der Krankheit war. Wer genau hinschaut, erkennt kleine Funken dieser Nähe – aber sie werden immer wieder von der erdrückenden Last der Situation überlagert. Auch die Beziehung zwischen Fanny und ihrem Freund Jamie wird zunehmend komplizierter und zerbricht. Die Partnerschaft der Eltern verschiebt sich ebenso. Fannys Rückzug bringt Distanz in ein Gefüge, das einst liebevoll war.
Das Thema Krankheit und die damit verbundene Traurigkeit sind im Film allgegenwärtig – die Mutter (gespielt von Maria Rossing) hingegen bleibt lange im Hintergrund. Sie spricht wenig, wirkt oft abwesend. Erst gegen Ende bekommt sie durch ihre Tagebucheinträge eine eigene Stimme.
Liebevoll, lebendig und mitfühlend
In der Pflege spricht man oft von den fünf Phasen der Akzeptanz einer Krankheit bei Angehörigen: Nicht-wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Im Film spiegeln sich alle diese Phasen wider – jedoch nicht linear und je nach Person unterschiedlich. Mit jedem Besuch von Freund:innen scheint eine neue Phase in den Film zu treten. Die Mutter ist die Einzige, die bereits bei der Akzeptanz angekommen ist. Zugleich bleibt die Hoffnung auf ein Wunder bis zuletzt bestehen.
Die Emotionen im Film werden auf vielen Ebenen transportiert. Die Filmemacher:innen haben ein großes Augenmerk auf Details gelegt. Selbst über Kostüme oder markante Einzelstücke wird subtil eine Geschichte erzählt.
Der Film hat autobiografische Wurzeln. Filmemacherin Sylvia Le Fanu verlor selbst in ihrer Jugend eine geliebte Person. Wie Fanny war sie mit der Situation überfordert und konnte den Beistand, den sie gern gegeben hätte, nicht leisten. Der Film basiert auf einem Kurzfilm, der bereits dasselbe Thema behandelte. Er soll all jenen Trost spenden, die sich mit Schuldgefühlen plagen, nicht genug dagewesen zu sein. Die Botschaft ist klar: Solche Lebenssituationen sind überwältigend, und jede:r geht anders damit um. Sich selbst dafür Vorwürfe zu machen, hilft nicht.
Fazit
Min Evige Sommer war für mich eines der absoluten Highlights beim heurigen Crossing Europe. Selten hat mich ein Film auf so vielen Ebenen emotional berührt. Anfangs konnte ich die Tränen noch zurückhalten – irgendwann ging das nicht mehr. Wer schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, erkennt viele der Gefühle wieder: Die Angst vor dem Moment des Abschieds, das Schuldgefühl, nicht genug getan zu haben, und die Trauer, die schon vor dem Tod beginnt. All diese Emotionen finden in den 105 Minuten ihren Platz. Wie schwierig das umzusetzen war, bestätigte auch Autor Mads Lind Knudsen im Q&A: Obwohl das Drehbuch nur rund 80 Seiten hatte, dauerte die erste Schnittfassung knapp vier Stunden. Den Film auf 105 Minuten zu kürzen und dennoch seine emotionale Kraft zu bewahren, war eine große Herausforderung – und in meinen Augen absolut gelungen.
Min Evige Sommer / My Eternal Summer
Regie: Sylvia Le Fanu, Mads Lind Knudsen
105 Minuten
Dänisch / Englisch / Deutsch / Schwedisch OmeU
Mit Kaya Toft Lotholt, Maria Rossing und Anders Mossling Schauspieler:innen
filmfestival linz
29 april – 04 mai 2025
www.crossingeurope.at
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