WOLFGANG PUSCHNIG: „Im Idealfall ist man selbst das Instrument“

Er gehört zu den bedeutendsten Musikern aus Österreich, der auch im internationalen Metier Anerkennung findet: Jazz-Saxophonist Wolfgang Puschnig. Das Wiener Konzerthaus widmet ihm, passend zu seinem anstehenden sechzigsten Geburtstag im nächsten Jahr, eine ganze Konzertreihe mit internationalen Gästen. Vier Abende mit Material aus vierzig Jahren Karriere, beginnend mit dem 6. November 2015, sind fixiert. 

Ein Interview mit Wolfgang Puschnig über den Aspekt des Lernens, runde Geburtstage und Korea.

subtext.at: Wolfgang, Sie sind einer jener Künstler, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich als Mensch viel von Ihnen lernen könnte.
Wolfgang Puschnig: Es kommt drauf an, worüber (lacht).

subtext.at: Profan gesprochen – was könnte ich jetzt von Ihnen, in den nächsten paar Minuten, lernen?
Wolfgang Puschnig: Das ist eine schwierige Frage. (überlegt) Sehr komplex, weil ich beziehe das jetzt nicht nur auf die Musik. Musik ist auch nur ein Teil davon. (überlegt) Ja, so gesehen ein bisschen Demut. Dann eine gewisse Offenheit der Welt gegenüber. Und ein bisschen eine Angstfreiheit.

subtext.at: Glauben Sie, dass Sie in diesem Sinne für manche Menschen tatsächlich eine Art Lehrer sind?
Wolfgang Puschnig: Ja, nicht in dem Sinn, wie man sich einen Lehrer vorstellt, der einem irgendwas vordiktiert. Meine Lehrer waren ganz verschiedene Menschen, die nicht immer etwas mit der Musik zu tun gehabt haben. Wenn wir jetzt von der Musik reden, da hat es viele gegeben. Eigentlich jeder, mit dem ich näher zu tun gehabt habe in der Musik oder über eine längere Zeit, natürlich einen Einfluss darauf gehabt, wie ich Musik empfinde, wie ich es insgesamt sehe. Ich habe das Glück gehabt, mit sehr vielen guten Menschen zusammenzutreffen.

Wolfgang Puschnig

subtext.at: Das hört sich für mich so an, als wäre für Sie die menschliche Ebene wichtig, damit die künstlerische Ebene überhaupt funktionieren kann.
Wolfgang Puschnig: Na ja, grundsätzlich ist es nicht so.Es muss nicht unbedingt auf persönlicher Ebene funktionieren, damit die Musik gut ist. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, Prinzipien, Systeme, wie eine Band zum Beispiel funktioniert. Für mich persönlich hat das immer mit einem gewissen Rhythmusgefühl zu tun. Es sollte auf zwischenmenschlicher Ebene einen Konsens geben, dann kommt man gut miteinander klar, ja. Ich persönlich habe das als sehr hilfreich empfunden.

subtext.at: Stichworte „Fleiß“ und „Disziplin“. Muss man sich damit auseinandersetzen, vor allem als Jazzmusiker?
Wolfgang Puschnig: Ich denke schon, aber es ist wahrscheinlich bei allen Dingen so. Man muss Einsatz bringen, wenn man etwas wirklich gern verfolgt. Egal, ob das jetzt Musik ist, Jazz oder irgendetwas anderes. Wenn man eine Liebe dazu hat, dann geht das noch einmal leichter, weil da denkt man nicht darüber nach, da ist man einfach fleißig und diszipliniert. Ich glaube, es fließt dann automatisch mit ein.

subtext.at: Ist das beim Jazz nicht letztendlich so, dass genauer beäugt wird, wie jemand spielt und ob er Fehler macht?
Wolfgang Puschnig: Es gibt einen Teil von Menschen, die das so handhaben, wo es darum geht, dass man aufzeigt, was jemand falsch macht oder nicht richtig in einem bestimmten Rahmen oder in den Gesetzmäßigkeiten, die irgendjemand aufgestellt hat. Das wird es immer geben. Und dann gibt es noch einen Teil, wo das nicht zutrifft. Es kommt immer darauf an, wie jemand hört oder zuhört. Entweder ich höre analytisch zu oder ich höre als Ganzes zu.

subtext.at: Sie können diese beiden Pole gut voneinander trennen?
Wolfgang Puschnig: Es wird mit der Zeit natürlich schwerer, was das analytische Zuhören angeht, weil man selber immer mehr Erfahrung kriegt. Es geht nicht immer, aber ich versuche es. Einfach die Musik kommen lassen, denn als Musiker ist man immer in der Position, dass man eine Message abgibt – unter Anführungszeichen. Du kannst aber nie bestimmen, wie sie ankommt. Du hast es nicht mehr unter Kontrolle. Was auch gut ist.

subtext.at: Das wäre meine nächste Frage gewesen, ob das nun gut oder schlecht ist.
Wolfgang Puschnig: Ich finde es gut, weil da gibt es dann keine Rezepte. Wenn ich das und das mache, so und so verfahre, dann kommt das und das raus.

subtext.at: Was bedeutet Ihnen Musik an diesem Punkt ihres Lebens?
Wolfgang Puschnig: Wow, ich habe keine Ahnung. Ich mache das schon so lange, für mich gibt es da keine Trennung irgendwie. Ich habe Glück gehabt, weil ich ein gewisses Talent in die Wiege gelegt bekommen habe und damit mein Alltagsleben gestalten hab können.

subtext.at: Ist das Schreiben von Musik, besonders die Spielart des Jazz, ein bewusster Akt oder lässt man sich von der Musik führen und treiben?
Wolfgang Puschnig: Da gibt es verschiedene Zugangsweisen. Den Jazz gibt es ja auch als strengeres Element, wo es mehr auf die Komposition ausgerichtet ist als auf die Improvisation. Ursprünglich kommt es schon von der Improvisation her. Ich persönlich sehe mich nicht als großartigen Komponisten. Für mich ist das so, wenn ich etwas machen will, eine Vorstellung habe oder ein Gefühl, in welche Richtung das gehen könnte, dann möchte ich unterstützendes Material dazu bekommen. Ich sehe mich nicht als Komponisten, der dann fertige Sache sozusagen abgibt, die dann andere ausführen. Mir gefällt es besser, wenn Sachen offen bleiben und es im Prozess noch Veränderungen oder Umwandlungen gibt.

subtext.at: Heutzutage ist man oft gewissen medialen Reizüberflutungen ausgesetzt.
Wolfgang Puschnig: Ja, das stimmt (lacht).

subtext.at: Funktioniert Jazz als Gegenthese dazu? Man muss sich ja darauf einlassen, auf die Musik.
Wolfang Puschnig: Es gibt ja keinen Zwang, Gott sei Dank. Man muss sich ja nicht darauf einlassen, nur wenn man sich nicht einlässt, hat man natürlich nicht viel davon. Es ist eher die Möglichkeit, dass man lernt, sich einzulassen. Heute ist das schon ein bisschen schwieriger. Die Aufmerksamkeitsspanne ist schon sehr geschrumpft, ja.

subtext.at: Die Musik steht für sich und das drumherum ist vielleicht nicht ganz so wichtig wie bei einer Rockgruppe oder Künstlern aus dem Pop-Segment, wenn diese auf der Bühne stehen.
Wolfgang Puschnig: Die visuelle Sache, das drumherum, das Event an sich… (überlegt) Das ist eine andere Ebene, wobei ich nicht sagen will, dass die eine besser ist als die andere. Im Jazz gibt es auch höher, schneller, lauter. Komplexer. Das andere Gebiet ist im Jazz einfach mehr vorhanden als in der Chartsmusik.

subtext.at: Sie sind vor kurzem aus Korea zurückgekommen. Gibt es etwas, was Sie speziell von dort für sich mitgenommen haben?
Wolfgang Puschnig: Da müsste ich länger ausholen, weil es war nicht das erste Mal für mich. Ich arbeite seit 1988 mit Musikern von dort, mit einem Ensemble. Ich habe über die Jahre natürlich viele Erfahrungen gemacht. In der Zwischenzeit ist das Land für mich zur Normalität geworden (lacht). Ich kehre gern dorthin zurück – nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen dem Essen (lacht).

Wolfgang Puschnig

subtext.at: Nein zu sagen, gilt in Korea als sehr unhöflich.
Wolfgang Puschnig: Das stimmt. Im asiatischen Raum überhaupt, ja.

subtext.at: Wenn dort jemand mit einem neuen Projekt an Sie herantritt, dann müssen Sie ja unweigerlich ja sagen.
Wolfgang Puschnig: (winkt ab) Nein, denn da gibt es andere Möglichkeiten. Es war aber nie das Problem.

subtext.at: Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass kein Instrument einen Solisten so sehr verschlingt wie das Saxophon. Stimmt das?
Wolfgang Puschnig: Boah, im besten Fall sollte das nicht sein, dass man verschlungen wird vom Instrument (lacht). Es hat natürlich eine große Palette an Expressivität. So, wie es funktioniert und wie der Klang zu gestalten ist. Im Idealfall ist man selbst das Instrument. Es ist eigentlich nur eine Erweiterung.

subtext.at: Nächstes Jahr erscheint mit „Homegrown“ ein neues Album von Ihnen.
Wolfgang Puschnig: Mit Drogen hat es aber nichts zu tun (lächelt).

subtext.at: Ich dachte auch eher an Selbstversorgung, weil es derzeit auch hip ist und als Trend angesehen ist, selbst etwas anzubauen, Obst, Gemüse…
Wolfgang Puschnig: Ja, ist aber nicht so gemeint. Es hat eher damit zu tun, dass alle Musiker, die auf der Platte mit mir zu hören sind, aus Österreich stammen Eine heimische Band sozusagen.

subtext.at: Ob Bio oder Fairtrade, der bewusste Umgang mit Lebensmitteln wird immer wichtiger. Lässt sich das auf die Musik übertragen, dass man sich bewusst für ein Genre, eine Spielart entscheidet?
Wolfgang Puschnig: Um Genre, Spielart oder Stil geht es mir gar nicht. Mir geht es um eine grundsätzliche Qualität. Und um eine Authentizität. Die Sache mit den Lebensmitteln, die wird ja fast schon zu einer Religion (lacht).

subtext.at: Wolfgang Muthspiel habe ich vor kurzem gefragt, ob er sich mit der Frage nach der eigenen Relevanz beschäftigt als Musiker. Wie ist das bei Ihnen? Passen Sie in den heutigen Zeitgeist?
Wolfgang Puschnig: In meinem Alter kann ich mir den LuxuS leisten, keinen Stress mehr zu haben, ob ich irgendwo reinpasse. Zeitgeist ist etwas sehr Flüchtiges. Wenn du das anstrebst, erreichst du vielleicht mehr Leute, weil es dann auch zu einem Produkt wird, weil die Musik auch so gehandelt wird. Das ist sicher förderlich. Es kann in ein paar Monaten wieder anders sein, denn es geht ja immer schneller in der Zwischenzeit. Ich leiste mir den Luxus, mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.

subtext.at: Nächstes Jahr feiern Sie ihren sechzigsten Geburtstag.
Wolfgang Puschnig: Ja, so ist es.

subtext.at: Nur eine Zahl oder wie sehen Sie dem entgegen?
Wolfgang Puschnig: Natürlich macht man sich Gedanken, aber das fängt ja vorher schon an. Man wird mit der Endlichkeit konfrontiert, sei es aus familiären Gründen oder sonst irgendwie. Wenn du 30 bist, ist das etwas, was noch nicht in deinem Wahrnehmungsbereich stattfindet. Auf der anderen Seite gibt es einen gesunden Ausgleich durch eine gewisse Entspanntheit, wenn man so will. Für mich ist das eine Zahl. Keiner von uns wird daran vorbeikommen (lacht).

Wolfgang Puschnig

Wolfgang Puschnig im Wiener Konzerthaus:
06.11.2015, Großer Saal, „The Philly Connection“
25.01.2016, Mozart-Saal, „Songlines – A vocal world“
27.02.2016, Mozart-Saal, „Homegrown“
21.05.2016, Großer Saal, „The Korean Spirit“

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Foto: dermaurer

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