Diagonale 2014 – Quer durch Österreich

Einmal im Jahr wird Graz zum Zentrum der österreichischen Filmschaffenden. Beim Filmfestival Diagonale wird der Bewerb zur Nabelschau der Branche genutzt und zeitgleich Offenheit und Innovation im Kino bewiesen. Nebenbei wird auch mit dem ORF abgerechnet, der gerade durch Kürzungen 1.500 Jobs im Filmbereich gefährdet.

Dass die Eröffnungsrede der Festivaldirektorin Barbara Pichler nicht um das Thema Geld herumkommen wird, verwunderte keinen. Bereits im zweiten Satz kamen die „ökonomischen Zusammenhänge“ zur Sprache. Später wurde der ORF mit ungewohnt scharfen Worten angegriffen. Dieser droht nämlich, bei ausbleibender Gebührenrefundierung das Budget des Film-/Fernsehabkommens zu kürzen. Johannes Holzhausen, der Regisseur des Eröffnungsfilms „Das große Museum„, wandte sich direkt an den anwesenden Kulturminister Ostermayer, er möge sich doch der Sache endlich annehmen. Der Spot zur Petition, die unter www.filmfernsehfreunde.at läuft, bekam große Zustimmung im Publikum.

Der Schauspielpreis, der immer schon zu Beginn der Diagonale vergeben wird, ging dieses Jahr an Georg Friedrich. Der Wiener Schauspieler mit der einprägsamen Stimme hat seit Anfang der 80er in über 40 Kinoproduktionen und unzähligen Fernsehfilmen und -serien mitgespielt. Er ist aktuell auch in „Über-Ich und Du“ von Benjamin Heisenberg am Festival und in den heimischen Kinos zu sehen.

Als Eröffnungsfilm wurde heuer eine Dokumentation über das Kunsthistorische Museum in Wien gezeigt. Spannendes wurde angerissen, vieles kurz beleuchtet und weniges zu Ende erzählt. In 94 Minuten ist das große Haus auch schwer zu fassen. Ein Jahr Dreharbeit – begleitet wurde auch die Eröffnung der neuen Kunstkammer – zeigt das Haus in vielen Facetten und bringt auch ungewollt Komisches an den Tag.

Everyday Rebellion ©Golden-Girls-Filmproduktion
Vier Filme, vier sehr unterschiedliche Eindrücke. Aber am meisten hat mich heute „Everyday Rebellion“ von den Riahi Brothers beeindruckt. Fünf Jahre lang haben die beiden an ihrer Dokumentation über Protestbewegungen auf der ganzen Welt gearbeitet. Von den spanischen Indignados zum Arabischen Frühling, von Occupy Wallstreet in New York zu den Femen-Aktivistinnen in der Ukraine. Es geht um die unterschiedlichen Formen von gewaltfreiem Protest und die Vernetzung der einzelnen Bewegungen und Initiativen, die für gänzlich unterschiedliche Ziele doch sehr ähnliche Mittel einsetzen. In großartigen 115 Minuten zeigen die beiden Filmemacher beeindruckend, dass nur derjenige verliert, der sich nicht für seine Ziele einsetzt. Protest ist mit den einfachsten und subtilsten Mitteln möglich. Schon ein Ping-Pong-Ball kann dabei eine Rolle spielen.

Ansonsten fühlte ich mich heute bei „Über-Ich und Du“ von Benjamin Heisenberg ganz gut unterhalten. Hier zeigt der Preisträger Georg Friedrich wieder einmal sein Können. Dagegen ist Gerhard Polts „Und Äktschn!“ schon eher ein Liebhaberstück. Bayrischer Humor und Lachen über die Nazis, nicht für jeden verdaulich. Bei Ruth Beckermanns Dokumentarfilm „Those Who Go, Those Who Stay“ hab ich den angeblich vorhandenen Faden gar nicht gefunden. Zu willkürlich waren für mich die Szenen und Bilder montiert.

Omsch - Pauline Schürz ©Stadtkino Filmverleih

Zum Einstieg gab’s am Vormittag eine leichte Komödie. Michael Ostrowsky und Manuel Rubey, mittlerweile die üblichen Verdächtigen, sind in Andreas Schmieds „Die Werkstürmer“ zu sehen. Sehr nett gemacht, nur langsam könnte man meinen, die beiden spielen ohnehin immer dieselben Charaktere.

Am Nachmittag verbrachte ich 220 Minuten in „Der letzte der Ungerechten“ von Claude Lanzmann. Der Interview- und Dokumentarfilm über Benjamin Murmelstein, den überleben Judenältesten des Ghettos Theresienstadt, ist ein beeindruckendes Zeitdokument. Der 1905 geborene Wiener Rabbiner erzählte dem Regisseur 1975 in einem  12-stündigen Interview von seiner Tätigkeit – mal selbstkritisch, mal selbstgerecht, mit Ironie und manchmal bestürzender Emotionslosigkeit.

Beim Screening des ORF-Landkrimis „Die Frau mit einem Schuh“ von Michael Glawogger kam es zu seltsamen Situationen. Zuerst wurde das Protestvideo der FilmFernsehFreunde gezeigt und heftig beklatscht. Dann hatte Kathrin Zechner, die anwesende Fernsehdirekorin des ORF und Mitglied der Geschäftsführung, die Möglichkeit, direkt dazu Stellung zu nehmen. Kurz zusammengefasst, schuld sind in ihren Augen die Anderen, nämlich die Politik. Das überrascht zwar nicht, brachte ihr aber auch nicht viel Applaus ein. Der Krimi selbst ist übrigens.. mhh.. besser als andere ORF-Produktionen. Klischees sind trotzdem wieder haufenweise vorhanden, aber das Umdrehen von stereotypen Geschlechterrollen scheint wohl schon progressiv genug zu sein.

Mit „Omsch“ hat Edgar Honetschläger seiner Nachbarin Pauline Schürz ein Denkmal gesetzt. Er lernte die damals 82-jährige Dame kennen, als er als Student in die Wohnung neben ihr einzog und sich artig bei ihr vorstellte. Daraus wurde eine 20 Jahre andauernde Freundschaft, in der er die rüstige Dame in alltäglichen Situationen mit der Kamera begleitete. 2009 verstarb Omsch im Alter von 102 Jahren und Honetschläger schaffte erst zwei Jahre danach, die Aufnahmen zu sichten und darüber nachzudenken, wie er aus 70 Stunden Material am besten ihren bemerkenswerten Charakter herausarbeiten könnte. In dem Film geht es nicht um Zeitgschichte und Vergangenes, auch nicht wirklich ums Sterben, sondern um das tägliche Genießen des Lebens – es könnte ja jeder Tag der letzte sein.

Alphabet ©Filmladen Filmverleih

Bereits letztes Jahr zeigte Erwin Wagenhofer im Rahmen eines Werkstattgespräches erste Ausschnitte aus seinem Film „Alphabet„, der im Herbst 2013 in die Kinos kam. Die Kritik an unserem Bildungssystem ist richtig und wichtig, allerdings ist Wagenhofer gleich global an die Thematik herangegangen und hat damit ein ziemliches Fass aufgemacht. Der Film beleuchte viele unterschiedliche Herangehensweisen, ohne einem klaren Strang zu folgen oder auf eine klare Botschaft hinzuarbeiten. Das Problem wird dadurch ebenso facettenreich dargestellt wie die Lösungsmöglichkeiten, aber die Conclusio fehlt mir.

Heute hab ich’s auch endlich geschafft, „Home“ von Ursula Meier zu sehen. Der Film, der bereits 2009 und 2013 beim Crossing Europe Filmfestival Linz lief, wurde gezeigt, da die Diagonale 2014 der Kamerafrau Agnès Godard eine eigene Programmschiene widmet. Mehr tragisch als komisch kämpft eine Familie gegen eine Autobahn vor der Haustüre. Irrationale Entscheidungen werden getroffen und ernste Kämpfe ausgefochten. Zermürbend und trotzdem wunderschön.

Der Fotograf vor der Kamera„, das scheint bei Erich Lessing gar nicht so selten vorzukommen. Die Doku zeigt den Wiener Fotografen, der sich mit der Bildagentur Magnum weltweit einen Namen gemacht hat, oftmals vor anderen Kameras und im Interview mit Medien. Ob österreichischer Staatsvertrag oder ungarischer Volksaufstand, seine Fotoreportagen sind Bildikonen geworden. Der 90-Jährige ist mit seiner eigenen Galerie und Buchprojekten noch immer sehr umtriebig und war auch zur Premiere des Films selbst nach Graz gekommen.

Über den Urlaubsfilm „Sitzfleisch“ kann ich mir schwer ein Urteil bilden. Schrullig wirken die Großeltern der Regisseurin Lisa Weber, die mit ihnen und ihrem Bruder eine zweiwöchige Reise zum Nordkapp unternimmt. Schonungslos, aber wie sie zugibt auch eher planlos, hat sie den Urlaub dokumentiert und daraus einen Film geschnitten – „weil man das ja für die Uni braucht“. Wieso dieser nun im Festivalprogramm gelandet ist, kann ich mir nicht ganz beantworten. Schrullig alleine sollte nicht genug sein.

Das finstere Tal (c) Allegro Film, Thomas W. KienastDie Komödie „High Performance“ von Johanna Moder zeigt Manuel Rubey in einer der Hauptrollen.  Der Trailer war vielversprechend, hat aber wie eben so oft schon das ganze Pulver verschossen. Rubey spielt den selben schleimigen, aalglatten Karieretypen wie auch in „Die Werksstürmer“ oder anderen Filmen. Die Geschichte plätschert etwas dahin, hat ein paar Gag-Momente, die für die Story nicht relevant sind und bietet sonst einfach nette Unterhaltung. Kann man sich anschaun, muss man aber nicht.

Da bin ich mit dem österreichischen Genre-Film schon viel eher zufrieden. „Blutgletscher“ von Marvin Kren verwandelt das österreichische Alpen-Idyll ins Tor zur Hölle und beschwört den Untergang der Menschheit herauf. Dabei gibt’s wunderbare Mutanten-Wesen zu sehen, inklusive präziser wissenschaftlicher Erklärungen. Die tragenden Charaktere sind alles andere als einfach und sympathisch. Und ein bisschen Splatter darf in so einem Film auch nicht fehlen.

Vom Horror geht’s gleich weiter zum nächsten Genre: Western meets Heimatfilm. Doch so eine simple Definition wird dem Film „Das finstere Tal“ von Andreas Prochaska nicht gerecht. Ein Fremder wagt sich in ein entlegenes Tal, argwöhnisch nehmen ihn die Bewohner über den Winter auf. Dass hier eigene Regeln herrschen und der Brennerbauer mit seinen Söhnen das Sagen hat, erfährt der Fremde schnell am eigenen Leib. Doch scheint es, als wäre er genau deswegen gekommen: um alte Konflikte zu sühnen. Beim Showdown färbt sich der Schnee rot, mit großartigen Kamereinstellungen (Lensflare!!) und zur Musik der Steaming Satellites wird Rache verübt.

Der letzte Tanz (c) Reinhard Mayr

Was passiert, wenn sich zwischen einem Zivildiener und einer betagten Alzheimerpatientin eine Freundschaft entwickelt – oder gar etwas, das darüber hinausgeht? Mehrere Jahre hat der Wiener Regisseur und Psychiater Houchang Allahyari um die Finanzierung von „Der letzte Tanz“ gekämpft. Zu oft wurde ihm gesagt, dass „so etwas“ keiner sehen will. Formal in zwei Teilen erzählt der Film von einer Gesellschaft, in der nicht sein darf, was keiner sehen will, wo Bedürfnisse ignoriert werden und Menschlichkeit nicht gezeigt werden darf. Zurecht wurde hier der Große Diagonale-Preis Spielfilm und der Diagonale-Schauspielpreis an Erni Mangold verliehen. Auch der Schauspieler Daniel Sträßer aus dem Burgtheater-Enseblem hätte einen Preis für seine wandelbare und vielseitige Darstellung des Zivildieners Karl verdient.

Alle PreisträgerInnen: www.diagonale.at

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