Crossing Europe 2021: Endphase
Ein Massaker an 228 jüdischen Zwangsarbeiter*innen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in der niederösterreichischen Gemeinde Hofamt Priel wird trotz Augenzeugen-Berichten nie aufgeklärt, über die Morde breitet sich ein Mantel des Schweigens und Vergessens. Bis sich die zwei Brüder Hans und Tobias Hochstöger für die Dokumentation „Endphase“ auf Spurensuche begeben – nach Tätern, Opfern und Erklärungen. Der Film, der beim Crossing Europe 2021 Weltpremiere feiert, ist ein bedeutendes Werk für die Erinnerungskultur und gleichzeitig ein sinnbildhaftes Mahnmal für die lückenhafte oder nicht vorhandene Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs und ihrer Gräueltaten.
Die Nacht von 2. auf 3. Mai 1945: Fünf Tage vor Kriegsende werden in Hofamt Priel 228 jüdische Zwangsarbeiter*innen aus Ungarn von einem SS-Kommando erschossen. Im Dorf gibt es Menschen, die beim Massaker helfen. Menschen, die wissen, wer bei den Morden beteiligt war. Und Menschen, die Überlebenden halfen und sie versteckten. Alle schweigen, jahrelang. Die einen aus Selbstschutz, die anderen aus Angst. Es gibt Gerüchte, wer von den Einheimischen beteiligt gewesen sein soll – sie schützen sich gegenseitig. Augenzeug*innen sagen aus Angst nicht aus. Kein Einzelfall in Österreich während des Krieges und in der Nachkriegszeit. Aber in diesem besonderen Fall versagt im weitern Verlauf auch die Justiz. Alle umliegenden Morde an Zwangsarbeiter*innen in den letzten Kriegstagen, um die Spuren der Nationalsozialisten zu verwischen, wurden aufgearbeitet und aufgeklärt – mit Ausnahme jener in Hofamt Priel. Trotz des couragierten Einsatzes des stellvertretenden Inspektors Winkler, der Zeugenaussagen sammelte und sich unter Einsatz seines Lebens gegen den wohl auch involvierten Bürgermeister Mayer stellte, verliefen mehrfache Anzeigen immer wieder im Sand. Das Schweigen macht über die Jahre auch dem Vergessen Platz. Bis Hans Hochstöger, selbst in Hofamt Priel aufgewachsen, beginnt, die Geschichte aufzuarbeiten.
Sechs Jahre lang dokumentiert Hochstöger mühevoll, detailliert, respektvoll und mitfühlend die Geschichte, über die in seinem Dorf nie gesprochen wurde. Als Einheimischer ist ihm das ein Bedürfnis, denn die Gräueltat ist nicht bloß von SS-Männern begangen worden – sie hatten Hilfe von lokalkundigen Personen. Aus Angst und um des sozialen Friedens im Dorf willen sind sie nie zur Rechenschaft gezogen worden, denn Mitwisser gab es genug.
Aus der ursprünglichen Intention, den Fokus auf die Täter zu legen, wird durch die intensive Recherche bald ein Film, der sich den Opfern widmet. In jahrelanger Detailarbeit sichten Hans und Tobias Hochstöger Akten, besuchen Archive, kontextualisieren Fotos und suchen Überlebende, Augenzeug*innen, Helfer*innen und Hinterbliebene. Für „Endphase“ bittet Hochstöger sie zum Interview und arbeitet dabei auch auf berührende Art und Weise die Verbundenheit ihrer individuellen Geschichten hervor.
Hochstögers bedeutende Arbeit stimmt aber mit einem für die österreichische Geschichtsaufarbeitung beispielhaften Paradoxon aber auch nachdenklich bis wütend. Der Gedenkstein am Tatort ist umstritten und nicht gerne gesehen, lange gab es überhaupt keinen Anhaltspunkt für die schrecklichen Geschehnisse. Dafür wird im Nachbarort ein vermuteter Täter, in jedem Fall aber SS-Mitglied, zum Ehrenbürger und Namenspatron des Stadtplatzes ernannt. Die im Film dazu befragte Bürgermeisterin des Ortes weist auf die Beliebtheit des Mannes im Ort hin, von einer SS-Mitgliedschaft oder in welchem Ausmaß es diese gegeben haben soll, wisse sie allerdings nichts. Der Platz ist noch heute nach ihm benannt, fünf Jahre nachdem die Bürgermeisterin auf die Vergangenheit des SS-Mannes im Interview aufmerksam gemacht wurde.
Mit dem Gedenkstein, der den Anstoß zu den Recherchen von Hans und Tobias Hochstöger gegeben hat, schließt der Film. Bei einer Gedenkfeier spricht der Betroffene Leonard Brown mahnende und wichtige Worte: „Wir wollen keinen Sündenbock für das Geschehene, aber wir dürfen es niemals vergessen.“