mine baum
Foto: Bastian Bochinski

Mine: „Die Texte sind direkter geworden“

„Baum“ heißt die fünfte Platte der Stuttgarter Musikerin Mine. Eine Platte, die direkter, komprimierter und ja, auch kürzer geworden ist. Ein Album, das mit so mancher Konvention bricht, aber Mine in neuen Facetten umso entdeckenswerter ist.

Für die Künstlerin selbst ist es eine „perfekte“ Platte geworden. Nach „Klebstoff“ und „Hinüber“, einem Orchesteralbum sowie einer Kollaboration mit Fatoni mit dem Titel „Alles Liebe Nachträglich“ ist Baum ein persönliches Werk geworden. Über Abschied, Emotion und ja, auch Wut zu bestimmten Themen.

subtext.at: Im Begleittext zum neuen Album heißt es, dass „Baum“ ein „kompromissloses Album“ sei. Was ist für dich das Kompromisslose an dieser Platte?
Mine
: Das kompromissloseste für mich war wohl die Entscheidung für mich, dass es egal ist, wenn die Songs nur eine Minute lang sind (lacht). Ich dachte ganz oft darüber nach, ob man das dann auch einfach so rausbringen kann. Ich habe mir aber auch schnell gedacht „warum nicht“, weil ich ja auch die künstlerische Hand drüber halten kann. Und was auch ziemlich kompromisslos ist, ist die Tatsache, dass ich so viel Geld für das Album ausgegeben habe, dass ich das wohl nie und nimmer wieder einspielen werde (lacht). Wenn man alle Menschen ordentlich bezahlen will, dann fließt das Geld raus wie nix. Wir haben auch so viele Recording-Sessions gemacht, die sind arschteuer – ich sag es wie es ist. Aber ich bereue nichts (lacht)!

subtext.at: Bleiben wir mal beim Künstlerischen. Das Album dauert eine knappe halbe Stunde – im Vergleich zu alten Platten um Einges kürzer. Warum das?
Mine
: Mir war es wichtig, dass die Platte länger dauert als eine halbe Stunde. Ich habe sonst auf den Alben immer zehn Tracks gehabt, und ich fand das immer voll schön, diese zehn zu haben. Ich mag das nicht so, wenn Alben „zu voll“ sind. Bei „Baum“ hatte ich nach zehn Tracks ungefähr zwanzig Minuten. Das konnte ich dann mit mir selber auch wieder nicht vereinbaren. Das hat sich dann noch entwickelt. Ich hätte mir selbst tatsächlich noch einen Song gewünscht, der viereinhalb Minuten lang ist – der Abwechslung wegen. Hat sich aber nicht ergeben, und künstlich verlängern wollte ich dann auch keinen Song der Platte. Und dadurch, dass ich in letzter Zeit viele Hyperpop-Tracks und viele Indie-Künstler:innen aus Frankreich gehört habe, haben sich natürlich auch meine Hörgewohnheiten verändert. Dem kann ich mich nicht entziehen. Aber es war nicht beabsichtigt.

subtext.at: Auch bei alten Platten hast du schon sehr viel selbst gemacht – war „Baum“ für dich eine Platte, die du bewusst noch „alleiner“ schreiben musstest?
Mine
: Ja, schon. Aber das ist von Album zu Album mehr geworden. Geschrieben habe ich von Anfang an alleine, nur beim Produzieren hat sich Einiges verändert. Einfach weil ich jetzt natürlich mehr Skills habe und weil ich mich viel damit auseinander gesetzt habe. Das Produzieren beginnt jetzt beim ersten Ton des Songwritings auch mit. Der Unterschied ist, dass die Tracks, die ich jetzt ins Studio mitbringe, schon fast „fertig“ sind. Die könnte man so oft auch schon aufnehmen – das war früher überhaupt nicht so. Das ändert sich aber mit Erfahrung – da mache ich Vieles schon selbst, wofür ich früher Hilfe benötigt hätte.

subtext.at: In einem Interview mit uns im Jahr 2021 zu „Hinüber“ (hier nachlesen) hast du gesagt: „Richtig bewusst spreche ich eigentlich nie etwas an, es ergibt sich immer so, weil ich immer sehr aus einer Emotion heraus schreibe.“ Wenn ich mir die Tracks von „Baum“ anhöre, ist diese Platte dann die logische Fortsetzung von „Hinüber“?
Mine
: Ja, schon ein bisschen. Wobei ich das aktuell noch nicht genau sagen kann, weil ich noch viel zu nahe an der Platte dran bin. Ich habe das Gefühl, warum „Klebstoff“ so klang und „Hinüber“ so klang, wie sie klangen, und welche Themen da drinnen waren. Und wie diese Lebensphase war. Jetzt habe ich auch in der Lebensphase geschrieben, in der ich mich gerade befinde. In der bin ich natürlich noch tief drinnen. Aber was auf jeden Fall passiert ist, ist, dass die Texte weniger metaphorisch und damit direkter und unmissverständlicher geschrieben sind.

subtext.at: „Unmissverständlich“ – würdest du sagen, dass „Staub“ der mit unmissverständlichste ist?
Mine
: Ja, glaube schon. Wobei, auch hier bin ich noch tief drinnen. Manchmal habe ich Songs geschrieben, wo ich gedacht habe, dass der Inhalt sehr klar ist und das jede:r checken wird. War nicht so – da wurde ganz anders interpretiert. Dieses Mal war es so, dass das bisherige Feedback auch aus Promo-Tagen etwa so war, dass das sehr klar sei und früher nicht so klar war. Darum gehe ich schon davon aus, verlasse mich aber gerne auf das Urteil von Hörer:innen.

subtext.at: Beim Durchhören des Albums ist mir aufgefallen, dass es zwei Reprises und zwei Intros auf der halbstündigen Platte gibt. Warum war es dir wichtig, zu „Danke Gut“ und „Schattig“ ein Intro und zu „Nichts ist Umsonst“ und „Baum“ ein Reprise auf dem Album zu haben?
Mine
: Das hat sich ehrlich gesagt so entwickelt. Ich habe nicht vor dem Album gedacht, immer kleine Snippets verwenden zu wollen. Der Kieler Knabenchor (bei „Schattig, Anm. d. Red.) war von Anfang an dabei und mit denen wollte ich unbedingt zusammenarbeiten. Alles andere hat sich mit der Produktion ergeben – viele der kurzen Intros und Stücke waren früher mal längere Songs etwa. Ich habe aber auch eine andere Arbeitsweise – ich bin Mutter geworden und konnte nicht mehr über Wochen „deepdiven“. Ich hatte immer Phasen von fünf bis sechs Tagen am Stück im Studio und musste dann in meinen Alltag zurück. Hat dann dazu geführt, dass ich auch von Außen auf Songs geblickt habe und sehr kritisch war. Was ich aber auch gut finde, das hat dem Album gutgetan.

Ich habe auch rigoros aussortiert und hatte dann etwa nur noch einen Refrain übrig. Dann habe ich noch einen Vers überlegt dazu, aber mir ist nichts eingefallen, was den Song noch besser machen würde. Bei „Danke Gut“ etwa war das so. Da habe ich den Text gehabt, den gut gefunden, und hatte den alten Refrain noch übrig. Genauso, wie ich den Song „Schattig“ nicht mit einer Frauenstimme beenden wollte, die den Hörer:innen erzählt, dass es eh „ok to cry“ ist, damit das auch nicht zu „zeigefingerartig“ klingt. Deswegen auch mit dem Knabenchor, das hat gut gepasst. Außerdem hatte ich am Ende zu „Baum“ noch ein Horn-Stück, das ich gar nicht auf der Platte wollte. Das hat sich dann aber auch noch gut eingefügt, und durch eine Reprise kann man nochmal nach „Fresh“ etwa durchatmen, was auch ganz gut war.

„ich bin eher der Typ album“

subtext.at: Die Features sind sehr divers – verschiedenste Charaktere, verschiedenste Backgrounds, vom angesprochenen Kieler Knabenchor über Mauli, die Französin Leonie Peret oder Madanii. Wie haben diese Unterschiede für dich auf „Baum“ dann doch wieder zusammengepasst?
Mine
: Ich mache mir dazu normal überhaupt keine Gedanken – ich muss ja niemanden „pleasen“. Ich habe keinen Druck, etwas nicht machen zu können. Ich bin selbst auch ein großer Fan von Abwechslung, und bin auch sehr schnell gelangweilt. Etwa bei Alben, wo verschiedene Songs ähnlich instrumentiert sind. Dann passiert es selten, dass ich das Album gut finde. Am Ende kann ich mich immer drauf verlassen, dass ich in meinem Rahmen arbeite und das am Ende auch mit meinem Team funktioniert. Schwieriger wäre es, wenn ich etwa für jeden Song mit einem anderen Produzenten zusammenarbeiten würde. Das würde tatsächlich schwierig werden, aber so kann ich mich einfach gehen lassen und mich am Ende darauf verlassen, dass meine Handschrift alles zusammenhält.

subtext.at: Du hast gerade angesprochen, dass du schnell gelangweilt bei einem Album sein kannst. Provokant gefragt: ist das Format „Album“ noch etwas für dich?
Mine: Oh, doch, ich liebe Alben (lacht). ich höre tatsächlich auch nur Alben – wenn jemand Singles rausbringt, warte ich sogar noch auf das Album. Ich finde das interessanter – und voll schwierig, mit nur einem Song etwas zu sagen. Ich veröffentliche auch selber sehr gerne Alben. Nur Singles zu haben kann ich mir nicht vorstellen. „Baum“ hat für mich im eigentlichen Sinne auch keine Single. Beim Fertigstellen hat mir das Label fast schon leidgetan – bei anderen Alben war es schon so, dass etwa „Elefant“ auf jeden Fall eine Single werden kann. Bei „Baum“ hatte ich nicht das Gefühl, eine „singelige“ Nummer zu entdecken. Aber ich bleibe sicher „Team Album“.

subtext.at: Du hast gerade angesprochen, dass es für dich schwierig ist, mit nur einem Song Vieles ausdrücken zu wollen. „Copycat“ auf der Neuen Platte fällt aber inhaltlich schon etwas raus. War dieser Fingerzeig auf die „Copy Culture“ für dich notwendig?
Mine
: Das war auch nicht beabsichtigt – aber ich war da schon auch sauer. Ich wurde zwar noch nicht beklaut, mein musikalisches Umfeld aber häufiger. Das kriege ich hinter den Kulissen natürlich mit und finde das maximal ekelhaft und schäbig. Das hat mich so wütend gemacht, dass ich mir hier musikalisch mal Luft verschaffen wollte. Und natürlich hoffe ich, dass es ein kleiner Gruß an diejenigen ist, die sich angesprochen fühlen sollen.

subtext.at: Am Schluss des Textes zum Album heißt es: „Ich wollte, dass es perfekt ist.“ Ist es für dich perfekt geworden?
Mine
: Für mich ist es perfekt. Aber was ist perfekt? Das ist natürlich Geschmackssache. Ich kann natürlich nicht sagen, dass es ein perfektes Album ist – aber für mich ist es so. Das ist auch das Einzige, was ich will. Wenn ich was rausbringen würde, wo ich das nicht so sagen würde, dann wäre ich auch angreifbar. Dann würde ich am Handy hängen und Kritik durchlesen, dann wäre mir Zahlen wichtiger und das würde mich massiv unter Druck setzen. Deswegen gibt es für mich da auch keine Kompromisse. Wir hatten auch das Release verschoben, weil es einfach noch nicht fertig war und ich es nicht für perfekt hielt. Das würde ich immer wieder so machen – ich würde fünf Jahre warten, bevor ich etwas veröffentlichen würde, wo ich nicht sagen würde, es ist „perfekt“.

subtext.at: Fünf Alben in zehn Jahren – so viel Zeit hast du dir ja gar nicht gelassen anscheinend…
Mine
: Schon krass, wenn du das so sagst. Aber ich habe mir nie gedacht, ein Album machen zu müssen, um eine zeitliche Linie einzuhalten. Ich hab sogar nach den Alben mir vorgenommen, mir mehr Zeit zwischen den Alben zu lassen. Weil ich das Gefühl hatte, nach einem Album gerade nichts zu sagen zu haben. Ich hatte nie gedacht, dass ich so schnell wieder ein Album mache – aber dieses Mal hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, zu eilen. Verspürt habe ich eher positiven „Druck“, ins Studio zu gehen und zu schreiben, weil ich so hungrig war. Ich hatte ja, als ich Mutter wurde, ausgesetzt und war noch nie so lange nicht im Studio. Das war gar nicht so einfach für mich, aber für mich selber fühlt es sich nicht nach „schnell“ an. Ich bin eher der aktivere Typ und brauche immer was zu tun!

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.