Mimořádná událost: Verloren im Zug
Der Start ins Wochenende in der böhmischen Provinz. Eine Gruppe wild zusammengewürfelter Leute sitzt im Zug auf dem Weg nach Chrášt’any, als plötzlich ihr Bummelzug zum Stillstand kommt und beginnt, langsam rückwärtszufahren. Da sehen sie sich gezwungen, zu fragen, wer und ob denn überhaupt jemand am Steuer sitzt.
In seiner Komödie „Mimořádná událost“ lässt Jiří Havelka die unterschiedlichsten Charaktere aufeinandertreffen. Sei es die Teenager-Mutter, eine Möchtegern-Band oder auch eine mitteilungsbedürftige alte Dame. Alle sind überspitzt und ins Klischee gedrückt, dennoch haben sie alle ein Ziel, das sie alle mit dem Zug zum selben Bahnhof führt: nach Chrášt’any. Nur blöd, als dieser auf einmal ohne offensichtlichen Grund in der Pampa zum Stehen kommt und kurz darauf den Rückwärtsgang einlegt. Läuft überhaupt der Motor? Rollen wir einfach rückwärts? Ist der Schaffner überhaupt noch da? In der nächsten Stunde nimmt einen der Regisseur auf eine wunderbar witzige Reise mit, die voll von unerwartbar wahnwitzigem Dialog und Situationskomik sind.
Die tschechische Gesellschaft
Oder wie sie Havelka im Zug sitzen lässt: Die Teenie-Mama mit Tochter am Handy, die Dame mit der Asche ihres Mannes im Gepäck, ein streitendes Paar, das so gar nicht zusammenpasst, eine Band auf dem Weg zu ihrem ersten Gig (obwohl sie noch nicht mal einen Namen haben), ein konservativ griesgrämiger Jäger, ein stocksteifer Bestatter und unabsichtlich zurückgelassenes Klugscheißer-Kind. Sie sind unsere Protagonisten, die wir am Anfang des Films im Schnelldurchlauf kennenlernen. Das hört sich nach viel an – ist es auch – und kann einen zu Beginn durchaus etwas erschlagen. Havelka schafft es aber, allen genug Raum zu geben. Keine leichte Aufgabe in der Zeit von Cancel Culture, wenn man soviel in einen Film packen will. Zwischen Themen wie Terrorismus und Religion bis hin zu Autismus hantelt sich der Film entlang einer ganz feinen Linie, die gerne grenzwertig provokant wird, aber in den wichtigen Momenten nie völlig über die Stränge schlägt.
Während die Figuren anfangs alle noch sehr flach wirken, bekommen sie über ihre weiteren Dialoge und Handlungen immer mehr Tiefe und Hintergrund, was für solch eine Komödie durchaus bemerkenswert ist. Selten sieht man so ein ausgeklügeltes Drehbuch, dass einem langsam und mit so viel Witz immer mehr Kontext zum Leben der ja doch über zehn Hauptfiguren gibt. Hut ab. Am Ende wird sich hier definitiv ein jeder den ein oder anderen Charakter finden, mit dem er sich auch selbst identifizieren kann, was gerade in einer Provinzsatire so wichtig ist, auch wenn man den später noch hinzukommenden Bürgermeister im Wahlkampf vielleicht hätte streichen können.
Ein Gag nach dem anderen
Die Gag-Dichte ist dabei richtig hoch. Ein Witz nach dem anderen wird einem um die Ohren geschleudert. Auf Getränkepausen sollte man in diesem Film lieber verzichten. Zu groß ist die Gefahr, dass die getrunkene Flüssigkeit prustend auf den/die Vordermann/-frau befördert wird.
Bezeichnend für den Humor sind dabei die vielen Running Gags. Keine einzige gesprochene Zeile hat nicht später noch einen Sinn, einen Callback oder eine erweiternde Auflösung. So erfährt man Stück für Stück, wieso denn das Klo besetzt ist, woher das Gewehr vom Jäger wirklich stammt oder was in den mitgebrachten Thermoskannen transportiert wird. Fast schon spielerisch wird dabei mit gebrochener Erwartungshaltung umgegangen. Immer dann, wenn man glaubt, einen Twist zu erraten, wird man schon wieder vom nächsten Witz völlig aus dem Nichts überrascht. Das macht einfach Spaß und lässt einen auch den einen oder anderen Fehler in der Continuity vergessen.
Spaß für die ganze Familie?
Mit 103 Minuten und vor allem gegen Ende einem Handlungsstrang, der das Kammerspiel im Zug immer weiter verlässt, hat der Film zum Ende hin dann doch seine Längen. Er enttäuscht zwar bis zum Schluss nicht mit seinem Humor, ein paar Figuren und vor allem Situationen wirken dann doch eher wie eine zerquetschte Hüpfburg (war das ein Spoiler?).
Das soll einen aber bloß nicht davon abhalten, auf Play zu drücken, denn mit seiner komödiantischen Blasmusik-Untermalung und den hellen Bildern verspricht der Film einem zurecht einen spaßigen Abend. Während einige Witze wahrscheinlich zu weit unter die Gürtellinie gehen, ist dennoch genug für jede Altersklasse mit dabei, wenngleich sicher eher eine ältere Zielgruppe angesprochen wird. Ein Bier mit Freunden auf der Couch? Ja, bitte.
Fazit
„Mimořádná událost“ ist kein Film, der wichtiger sein will, als er ist. Er kritisiert soviel er möchte, schlägt um sich mit Witz und Gesellschaftssatire und bleibt dabei vor allem immer eins: unglaublich unterhaltsam.
Mimořádná událost
Regie: Jiří Havelka
103min / CZ, 2022
Mit Jenovéfa Boková , Jana Plodková, Igor Chmela, Ctirad Götz, u.a.