Filmstill Vitić Dances
Foto: Crossing Europe

Die Fassade fällt

Boris Bakal hat mit seinem Film Vitić pleše / Vitić dance (2023) das Seilziehen rund um die Sanierung eines Gebäudekomplexes ins Kino gebracht. Die ganze Geschichte, vom Konzept des Architekten über den langsamen Verfall bis zum Versagen der Ämter, hält der kroatischen Gesellschaft den Spiegel vor.

In Zagreb, in der Laginjina-Straße 9, steht ein Haus. Genauer gesagt: ein Komplex aus drei Wohnhausblöcken, mit einem farbenfrohen, zehnstöckigen Hochhaus in der Mitte. Entworfen von Ivan Vitić, einem der bedeutendsten Vertreter der kroatischen Nachkriegsmoderne, wurde das Gebäude in den 1960er-Jahren als soziales Experiment konzipiert – ein Ort, an dem Menschen verschiedener „Gehaltsschichten“ durch gemeinsames Wohnen verbunden werden sollten. „Der Direktor und die Putzkraft sollen sich im Stiegenhaus über den Weg laufen“ so die Idee. Für dieses visionäre Bauwerk erhielt Vitić 1961 den Preis der Stadt Zagreb – ein Zeichen der Anerkennung für seine klare architektonische Haltung und seinen Beitrag zur modernen urbanen Lebensqualität.

Neu und modern

Die bunte, moderne Fassade mit großen, verschiebbaren Jalousien auf der einen Seite und knalligen blauen und roten Elementen auf der anderen Seite begeistert bis heute Passant*innen – und ganz besonders Boris Bakal. Der kroatische Regisseur, Performer und Theaterschaffende beschäftigt sich seit den 1980er-Jahren mit den Spuren von Geschichte im öffentlichen Raum. Sein Interesse gilt dabei weniger der großen Erzählung als den feinen Brüchen im Alltag. In Projekten zwischen Theater, Film und Dokumentation verbindet er künstlerische Recherche mit persönlicher Erinnerung. Auch im Film „Vitić pleše/Vitić dance“ bleibt er seiner Arbeitsweise treu: präzise, nah an den Menschen und mit einem wachen Blick für das, was Räume erzählen, wenn man ihnen zuhört.

Zu- und absagen

Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren dokumentiert Bakal den Verfall und die langsame, oft frustrierende Renovierung des einst gefeierten Wohnkomplexes. Die Schönheit gehört längst der Vergangenheit an. Die Fassaden bröckeln, die Fenster sind undicht, die einst beweglichen Jalousien längst fest gerostet. Bürokratie, Verwaltungswirrwarr und die Meinungen der Bewohner*innen machen den Weg zur Sanierung lang und zäh. Viele Schritte nach vorn, noch mehr zurück. Tatsächlich erleben einige von den älteren Bewohner*innen die Renovierung nicht mehr. Doch Bakal, Bewohner*innen und andere bleiben dran. Und wer im Kinosaal bis dahin Geduld gezeigt hat, wird mit dem lange ersehnten und erkämpften Neuanstrich belohnt. Ein Gefühl der Erleichterung und Freude springt von der Leinwand ins Publikum über. Wer es bis dahin noch nicht getan hat, fängt spätestens bei den letzten Bildern an, schwerstens an der kroatischen Baukultur zu zweifeln. Denn nach einer so hart erkämpften Sanierung, sollte kein Wasser von der Decke tropfen. 

Fazit

Trotz der Langatmigkeit des Films fiebert man mit. Man will das Gebäude in seinem vollen Potenzial erleben. Gerade weil die vielen gezeigten Bewohnerdiskussionen mitunter mühsam wirken, wünscht man sich den Erfolg umso stärker. Ein Herzensprojekt, das Lust auf einen Besuch in Zagreb, in der Laginjina-Straße 9, macht.


Vitić pleše

Vitić pleše / Vitić Dances

Regie: Boris Bakal

90 Minuten, Kroatisch OmeU


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filmfestival linz
29 april – 04 mai 2025
www.crossingeurope.at

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Für den Kopf im Labor, für die Seele am Schreiben. Wenn ich über ein gutes Buch rede, einfach unterbrechen. Das könnte sonst lang dauern.