Crossing Europe: Die Revolution dreht sich im Kreis

„Lice Revolucije“ erzählt die Geschichte von Branko Ilić, der Ende der 90er Jahre zum Wortführer der serbischen Studentenproteste gegen Slobodan Milošević wurde.

Serbien, 1. April  2001: Der im Jahr zuvor vom Volk entmachtete Ex-Staatschef Slobodan Milošević wird festgenommen und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Die Anklage ist eindeutig: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Deportationen, Völkermord. Fünf Jahre später stirbt Milošević an einem Herzinfarkt. Abschließendes Urteil kann keines mehr gefällt werden. Slobodan Milošević wurde zur Symbolfigur für die Gräueltaten, die in den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre begangen wurden.

Forderung nach freien Wahlen
Miloševićs Abdanken war kein geordneter Rückzug eines in die Kritik geratenen Staatschefs. Der Druck kam von unten, von der Straße. Erheblichen Anteil am Sturz des Despoten im Jahr 2000 hatte die außerparlamentarische Studentenbewegung „Otpor!“. Sie wurde zur Sammelbewegung für jene, die der korrumpierten Willkür und Tyrannei in den postkommunistischen Ländern ein Ende setzen wollten. Oberste Forderung: Freie Wahlen. Zu einem Wortführer der Bewegung wurde der begabte Redner Branko Ilić. Der charismatische Student Anfang zwanzig versprühte jenen Hauch der Revolution, der die Massen begeistern konnte und Milošević letztlich in die Knie zwang.

Radikalisierung an den Rändern
Was folgte, war bezeichnend. „Du änderst kein System, nur weil du einen Kopf an dessen Spitze austauschst“, bringt es der Regisseur des Low-Budget-Films „Lice Revolucije“ – was so viel wie „Das Gesicht der Revolution“ bedeutet – auf den Punkt. Der Film zeigt einen desillusionierten Branko Ilić, der zehn Jahre danach nach Belgrad zurückkehrt, um das Jubiläum seiner, ihrer, aller Revolution zu begehen. Viele seiner ehemaligen Mitstreiter haben sich zurückgezogen, haben resigniert, einige sind in die Politik gegangen und nun Teil des Systems, das Ilić den Raubtierkapitalismus nennt – das System der Banken, Spekulationen und der Korruption. Zu allem Überdruss muss der junge Mann mit ansehen, wie sehr sich die serbische Öffentlichkeit unter der Wucht des entfesselten Kapitalismus an beiden Enden des politischen Spektrums wieder zu radikalisieren beginnt. Neben Nationalisten, die sich ein „starkes Serbien“ Marke Milošević zurückwünschen, wehen ihm am Platz, an dem er einst zu Friede, Freiheit und Demokratie aufrief, rote Fahnen mit Hammer und Sichel entgegen.

„Otpor!“ und der Arabische Frühling
Das Filmdebut von Vladimir Milovanović war ihm und seiner ganzen Generation ein besonderes Anliegen, so der Regisseur. Klug und mit der nötigen zeitlichen Distanz zu den Ereignissen hinterfragt der Doku-Spielfilm die Mechanismen von Revolution und Konterrevolution, bemüht aber auch den zutreffenden Vergleich mit den 68ern. Gestartet – freilich unter anderen Vorstellungen – zeigt sich erst im Rückblick, wofür man dieser Generation danken kann, ja muss, und wo sie auf der ganzen Linie daneben lag. Daneben lagen Ilić und die „Otpor!“-Bewegung selten, vielmehr begrub man sie unter den Anforderungen des neuen Systems. Nach dem Sturz Miloševićs löste sich „Otpor!“ auf. Dennoch wurde sie Vorbild für die ägyptische Jugendbewegung 6. April, die den sogennanten „Arabischen Frühling“ einleitete. Was man hier nun erlebt, scheint offensichtlich: Die Revolution frisst ihre Kinder, heute wie anno dazumal.

Die Bewertung der subtext.at Redaktion:
4/5 Punkte