SANTIGOLD: Wenn Takte pluckern
Vier Jahre ist es her, seit Santi White aka Santigold mit ihrem Debüt und dem Song „L.E.S. Artistes“ der anrauschenden Dub-Welle einen eigensinnigen Slogan schenkte. Ehe sie sich versah, galt sie als Impulsgeber für diesen aufkeimenden Trend. Schon bald übernahmen dann andere das Kommando. Die Künstlerin tauchte einige Zeit lang unter, um Kraft zu sammeln und sich Inspiration zu holen. Jetzt folgt die Rückkehr. Politische Ideale im Pop haben eine lange Tradition und bergen viele Widersprüche. Wie man sich nicht verzettelt, zeigt „Master Of My Make-Believe“.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort – 2008 firmierte sie noch unter Santogold (wegen einer gerichtlichen Klage musste der Künstlername geändert werden), als sie dem neuen Electroclash ein Gesicht gab. In dieser kurzlebigen Zeit ist es schon erstaunlich, wie lange auf ein Nachfolgealbum gewartet werden musste. Man kann ruhig behaupten, dass White eine Vorreiterin war, auf einem Feld, dass derzeit wohl bis auf den letzten Platz besetzt scheint. Die ideologische Nachbarschaft zu jemandem wie M.I.A. war und ist noch das Offensichtlichste.
„Master Of My Make-Believe“ ist eine Verwuselung aus Dance, House, Grime, Pop, Indie und Reggae, Hip-Hop, Electro und allerlei anderen Stilen, dabei so homogen wie nur irgendwas. Das Motto, wie könnte es auch anders lauten: Möglichst viele Ideen in nur einen Song quetschen. Hört sich anstrengend an, ist es aber nicht. Es wird mit allerhand Dingen rangiert und jongliert, auch inhaltlich. Und das ist auch das Beste: Hier kommt alles in der richtigen Dosierung zusammen, obwohl sich immer wieder krude Sounds, knackige Beats und Stammesrhythmen einmischen, um sich auszutoben.
Und wieder ist es die Leadsingle, die vorab für Furore sorgt. Der Netzfunkanbieter Vodafone hat sich inzwischen „Disparate Youth“ unter den Nagel gerissen und versorgt seine Werbespots mit der poppigen Version von Santigold. Der Rest geht ebenfalls durch Mark und Bein wie nichts, siehe das flott marschierende „God In The Machine“.
Erfrischende, überfallartige Hektik in „Fame“, Voodoo-Dub in „Pirates In The Water“, großer Pop in „The Keepers“ und hypnotisches Mitgerissenwerden in „Freak Like Me“ – ein Song mit Rhythmen und drängelnden Drums, die man von links & rechts um die Ohren gescheuert bekommt. Die Hüften kreisen wie von selbst. Diese Lebhaftigkeit kriegen selbst manche Punk-Rocker nicht so gut hin. Zum Schluss noch die zweite Single „Big Mouth“ – so tollwütig, wie tanzwütig. Der Name ist Programm. Dass es auch anders geht, zeigt „This Isn’t Our Parade“, eine gelungene, knapp über dem Fußboden schwebende Ballade. So klingen sie zumindest bei Santigold. „The Riots Gone“ ist dann Sommerpop in Perfektion, intelligent und gar nicht stumpf.
„Master Of My Make-Believe“, ein nach Befreiung und Selbstverwirklichung klingender Albumtitel. Subversive Botschaften gibt’s gleich zum Mitnehmen. Wer kreiert hier eigentlich wen? Wir uns selbst? Das Umfeld? Die Gene? Vom Cover blicken gleich mehrere, zurechtgestylte Inkarnationen einen an. Exaltiert dreht Santigold mit Raffinesse den musikalischen Fleischwolf und liefert ein gelungenes Folgewerk ab. Trotz all dem Genre-Mischmasch ist Santi White stets an echten Songs interessiert. Für das Formatradio ist das wohl alles zu viel auf einmal, doch darüber denkt sie gar nicht erst nach und perfektioniert weiter, ist vollends im rhythmischen Fluss ihrer Klangsprache.
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