Joey Goebel: „Vincent“

Wie weit darf man gehen, um Menschen zu ihrer bestmöglichen Leistung zu animieren? Schaffen Zustände des (psychischen) Leidens tatsächlich wahre Kunst? Und was ist überhaupt wahre, gute Kunst? Soll man hier „Pop- Kultur“ außen vor lassen?

Joey Goebels – geboren 1980 in Kentucky, USA; studierte Anglistik und Kreatives Schreiben, war Sänger, Gitarrist und Songwriter, weitere Werke: Freaks, Heartland – im Jahr 2004 erschienener Roman bietet mehr als einen satirisch – zynischen Blick auf die Unterhaltungsindustrie.

Foster Lipowitz ist Vorstand des größten globalen Unterhaltungskonzerns. Frustriert von der Oberflächlichkeit und sich ständig ähnelnder moderner Kunst, startet er ein neues Projekt mit dem Namen „New Renaissance“. Die Zielsetzung: anspruchsvolle, kritische Kunst schaffen und diese dem Mainstream zugänglich machen. Die Umsetzung: Gründung einer Schule für künstlerisch begabte Kinder, gelehrt werden Schreiben, Geschichte der Musik, des Films und des Fernsehens und anderes. Hier kommt Vincent zum Zug, welcher nach Meinung von New Renaissance die besten Chancen hat, ein großer Künstler zu werden. Vincent ist das zweite von vorerst 4 Kindern, er wächst auf dem Land auf, ist etwas kränklich und sensibel veranlagt. Die Antwort, die er beim Aufnahmeverfahren auf die zu vervollständigende Aussage gibt, lautet „Ich schreibe, weil ich bleibe“. Bereits als Junge wird ihm ein Manager namens Harlan zur Seite gestellt. Harlan hatte mit seiner Musik nur wenig Erfolg, hat schließlich das College abgebrochen und wurde wegen seiner gnadenlosen Kritiken von einem Musikmagazin gefeuert. Damit Vincent gute Kunst schafft, wird alles Mögliche unternommen: Man vergiftet seinen Hund, brennt das Haus nieder oder zerstört seine ersten Liebesbeziehungen, um eine Auswahl zu nennen. Der Plan scheint aufzugehen: Vincents Songtexte und Fernsehserien etwa landen große Erfolge. In seinem Privatleben scheint hingegen so einiges schief zu laufen: Vincent begeht einen Selbstmordversuch, hat Probleme mit Alkohol oder Schwierigkeiten, Freundschaften einzugehen und aufrechtzuerhalten.

Trotz größter Sorgfalt gerät die Wahrheit eines Tages ans Licht. Harlan, seine Frau Monica und Vincent gehen fortan getrennte Wege. Vincent hört auf zu schreiben. Bei einem Treffen 16 Jahre danach erzählt man sich das jeweils Ereignete.

„Vincent“ beginnt als unterhaltsame Satire, spitzt sich in ein Drama, um dann doch wieder halbwegs gut zu enden. Manche Situationen wie etwa der Selbstmordversuch werden drastisch beschrieben, entfalten aber möglicherweise nur so ihre kritische und zum Nachdenken animierende Wirkung.

Der Roman weist eine klare und verständliche Sprache auf, eingestreut sind Textproben Vincents und Briefe. Wert gelegt wurde vor allem auf das Seelenleben der handelnden Personen, auffällig ist, dass stets ihre Kleidung beschrieben wird. Immer wieder werden Lieblingsfilm, Lieblingsserie sowie bevorzugte Band der vorkommenden Personen genannt. Weniger Wert gelegt hat Goebel auf Landschaftsbeschreibungen oder die Frage nach Schuld. Moralische  Bedenken- speziell von Seiten Monicas- werden dennoch nicht unter den Tisch gekehrt.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht Harlans, zu dem man als LeserIn auf eine skurrile Art und Weise Vertrauen und Sympathie fassen kann. Für mich war die nicht mehr zustande kommende Freundschaft (Eine Versöhnung hat es auf eine gewisse Art und Weise noch gegeben.) zwischen Harlan und Vincent bedauernswert. Andere LeserInnen würden sich vermutlich ein Happy End für die Beziehung zwischen Harlan und Monica wünschen. Der Roman endet damit, dass Harlan seinen Glauben an die Liebe zwar wiedergewinnt, aber mit Monica abschließt. Ich war an dieser Stelle etwas entsetzt von Vincent, wie weit man aus Rache gehen kann, was ich unter anderem auf den Schreibstil Goebels zurückführe. Eigentlich sollte man Vincents seelische Verletzungen und Enttäuschungen als Grund hierfür verstehen.

„Vincent“ kann auch als Gesellschaftskritik gelesen werden. Neue Werte wie Glück, Leistung und Alkohol gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Unterhaltungsindustrie greift diese auf. Das Publikum möchte leicht bekömmliche Kost, man möchte nicht lange nachdenken müssen, um etwas zu verstehen, wird in den eigenen Handlungen und im Denken bequemer.

Hier möchte ich anmerken, dass ich Goebel insofern zustimme, dass ein gewisser Trend zu „leichter Unterhaltung“ bereits vorhanden ist, Action und Sex in Werken immer mehr Bestand haben. Dennoch finde ich seine Sichtweise etwas zu überspitzt. Es lässt sich nicht leugnen, dass es genauso Popsongs mit ernsten, lyrischen Texten gibt oder manche Filme abseits des Mainstreams große Erfolge landen können. Man denke hier beispielsweise an die Regisseure Pedro Almodóvar oder Woody Allen.

Negative Kritik gibt es für den nicht ganz so gut verständlichen Teil, wenn es um das Geschäftliche geht. Des Weiteren treten Personen oft einmal kurz auf, um dann einige Zeit später plötzlich wieder zu erscheinen. Das anfangs, teils nur nebenbei Erwähnte, wird dann als Wissen vorausgesetzt. Hier hätte Joey Goebel ruhig ein paar Erklärungen mehr anfügen können.

Ich würde behaupten, dass gewisse Elemente im Roman „Vincent“ eher Geschmackssache sind, als großer Optimist wird man wahrscheinlich Probleme mit seiner Weltanschauung haben.

Ich persönlich finde den Roman ein bisschen ungewohnt und eigen, aber lesenswert und denke, dass sich Joey Goebel in seinen weiteren Werken noch verbessern wird. Mit seiner Weltanschauung stimme ich nicht immer überein, aber sie ist definitiv interessant. Man könnte sagen, dass einem beim Lesen dieses Werkes oft zum Lachen zumute ist, obwohl man wahrscheinlich eher weinen müsste.

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/