Einsteins Hirn
Foto: Robina Weermeijer

Einsteins Hirn – Franzobel

Thomas Harvey ist ein Mann, den niemand kennt und den unter normalen Umständen auch nie jemand kennen würde. Als Pathologe untersucht er Leichen, mehr passiert in seinem Leben nicht. Als plötzlich Einstein stirbt, sieht er die große Chance. Wie oft bekommt man schon die Chance, ein solches Genie aus nächster Nähe zu untersuchen?

Um Einsteins Leiche zu untersuchen, schiebt Thomas Harvey sogar seinen Hochzeitstag beiseite. Sein sonst eher eintöniger Job bot ihm doch tatsächlich eine spannende Abwechslung. Dabei hat es Harvey bei der prominenten Leiche besonders auf eine Sache abgesehen, nämlich das Hirn des Physikers. War es größer als das eines normalklugen Menschen? Würde er darin vielleicht sogar den Ursprung Einsteins unglaublicher Theorien finden? Er, der 0815 Pathologe aus der Vorstadt, den niemand kennt. Thomas Harvey trifft eine ernste Entscheidung und entnimmt Einstein das Hirn, obwohl der Verstorbene nach dem Tod eigentlich verbrannt werden wollte.

Doch dabei bleibt es nicht. Der Pathologe entscheidet sich dazu, das Hirn mit nach Hause zu nehmen, wo es zu seinem ewigen Begleiter wird. Seiner Frau gefällt das gar nicht, denn Thomas Harveys Leben beginnt sich fortan nur noch um das Hirn zu drehen. Seine Kollegen feiern ihn für diesen Schritt. Alle erhoffen sich eine bahnbrechende Erkenntnis. Doch irgendwie hat ihm das Hirn, das in einem Einweckglas steckt, nicht viel zu sagen, bis es eines Tages plötzlich zu reden beginnt. In Schweizerdeutsch, was zu Beginn zu einer schwer überwindbaren Kommunikationsbarriere führt. Spinnt Harvey jetzt völlig? Kann ein Hirn reden? Er denkt sich anfänglich, das Hirn würde vielleicht Kluges von sich geben, doch es stellt sich heraus, dass das verstorbene Genie nur eines will. Eine Frau.

Als das geschieht, während Harvey gleichzeitig von einem FBI-Agenten namens Sam Shepherd überwacht wird. Dieser hält Harvey zunächst für einen potenziellen Kommunisten, einen Feind Amerikas, dabei ist Harvey eigentlich Quäker. Ein gläubiger Mann, der nichts Böses im Schilde führt, sondern einfach nur neugierig ist und hofft etwas Bahnbrechendes über das menschliche Hirn zu erfahren.

Thomas Harvey gab es wirklich

Der oberösterreichische Autor Franzobel überzeugt mit seinem Roman „Einsteins Hirn“ wieder mit unglaublicher Recherchearbeit und Humor. Der Amerikaner und unfreiwillig witzige Thomas Harvey ist nämlich tatsächlich nicht nur irgendeine Romanfigur, sondern den Pathologen gab es wirklich. Wie auch im Roman hat er 1955 Albert Einsteins Leiche untersucht und gegen den Willen des Wissenschaftlers dessen Hirn und Augen entnommen.

Ganze vierzig Jahre lief Thomas Harvey mit dem Gehirn im Einweckglas herum und zog damit mehrfach quer durch Amerika, verlor sogar seine Zulassung als Pathologe. Ob er in der Realität ein ebenso eigenartiger Typ war, wie von Franzobel beschrieben, bleibt offen. Ebenso die Frage, ob der Pathologe tatsächlich mit dem Hirn Gespräche führte. Einsteins Hirn wird jedenfalls in der Realität nichts auf Schweizerdeutsch von sich gegeben, vermutlich auch nicht auf Englisch. Das humorvolle Buch wird von Harveys Eigenschaft und diesen absurden Momenten jedenfalls bereichert und Harvey bringt einen dabei mit seiner skurrilen Art mehrmals zum Lachen.

Humorvolle Geschichtsstunde

Franzobels Werk überzeugt nicht nur durch seine witzige Sprache, spezielle Charaktere und absurde Momente, sondern besonders wegen seiner Liebe zur Recherche. Man erkennt, dass sich der Autor die Zeit genommen hat, über Thomas Harveys Leben möglichst viel herauszufinden und ihn lebendig wirken zu lassen. Dabei ist der Oberösterreicher sogar nach Amerika gereist und hat sich einige Schauplätze vor Ort angesehen. Thomas Harvey, den eigenartigen Pathologen, wird er nicht mehr getroffen haben, denn dieser starb 2007, doch bei Franzobels genauer Recherche könnte man meinen, die beiden wären sich tatsächlich begegnet. Eine Eigenschaft, die schon andere Romane des Autors aufweisen, wie zum Beispiel „Die Eroberung Amerikas“.

Allgemein sind Franzobels Bücher durch ihre witzige Schreibweise nicht nur für Geschichtsfanatiker, sondern auch für geschichtsfaule Menschen geeignet. Seine humorvolle Art, Charaktere in absurde und tragische Gestalten zu verwandeln, macht aus einer vermeintlich langweilen Story plötzlich eine humorvolle Geschichtsstunde. Nachträglich findet man sich sogar dabei, den ein oder anderen Fakt selbst zu recherchieren. Ob es sich dabei um brauchbares Wissen handelt, ist eine andere Frage, unterhaltsam ist es jedenfalls.

Fazit

Unnützes Wissen bringt zwar nichts, aber kann Spaß machen und manchmal einfach für Gesprächsstoff sorgen. „Einsteins Hirn“ von Franzobel empfehle ich daher allen, die humorvollen Stoff mit einem ganz besonderen Schreibstil mögen und gleichzeitig über Geschehnisse aus der Vergangenheit erfahren möchten, auf die sie sonst wahrscheinlich nie gekommen wären.


Einsteins Hirn

von Franzobel

Paul Zsolnay Verlag
554 Seiten, Deutsch, gebundene Ausgabe

€ 28,80 – jetzt bestellen

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