Filmstil Elaha
Foto: Crossing Europe

Elaha – Geschichten können Traditionen verbinden

Welche Optionen gibt es, wenn die Hochzeit vor der Tür steht und man sich dem Konzept der Jungfräulichkeit und der Traditionen nicht beugen kann bzw. möchte? Milena Aboyan arbeitet in ihrem Erstlingswerk die Komplexität der kurdischen Heiratspolitik auf.

Als Abschlussarbeit von Milena Aboyan und Constantin Hatz präsentiert sich das Erstlingswerk Elaha am Crossing Europe in der Kategorie YAAAS!. An 34 Drehtagen wurde von den Filmemacher*innen eine Fiktion geschaffen, die in ihrer Komplexität nicht näher an der Realität sein kann. Der Spielfilm nimmt sich dem Thema der kurdischen Heiratskultur und der Selbstbestimmung über deinen eigenen Körper an. Die Geschichte rund um Elaha erzählt von einer jungen Kurdin, welche kurz vor der Hochzeit steht, jedoch nicht mehr jungfräulich ist.

Der Hirte ist verantwortlich für die Schafe

Filmstil Elaha
Foto: Crossing Europe

Die 22-Jährige ist eingebettet in ein sehr auf Traditionen beharrendes Familienkonstrukt. Ihr Vater ist aktuell arbeitssuchend und muss trotz guter Ausbildung im Heimatland um jedes Stellenangebot kämpfen. Die Mutter versorgt mit ihrem Einkommen die gesamte Familie. Elaha hat noch eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder, welcher an einer Behinderung leidet. Gemeinsam leben sie in einer kleinen Wohnung in einer deutschen Kleinstadt. Umgeben von ihrer Community und ihren kurdischen Freundinnen bestreitet Elaha ihren Alltag. Aktuell besucht sie einen Berufsfindungskurs und verdient in einer Wäscherei von einer Familienfreundin nebenbei noch etwas dazu.

In knapp 2 Monaten soll die junge Frau an der Seite ihres Verlobten Nasim den ewigen Bund des Lebens eingehen. Für Nasim, seine Eltern und auch ihre Eltern ist die Jungfräulichkeit vor der Hochzeit ein unumstößliches Gesetz – wo die Problematik für Elaha beginnt. Da sie keine Schande über die Familie bringen möchte, ist der chirurgische Eingriff einer Hymen-Rekonstruktion der einzige Ausweg aus ihrem Dilemma. Diese OP übersteig jedoch den finanziellen Rahmen und eine Ratenzahlung ist wegen ihrer Anstellung in einem Minijob ohne Bürgen nicht möglich.

ICh würde mir wünschen, dass du tot bist

Im Film kann man Elaha, gespielt von Bayan Layla, dabei beobachten, wie sie an dem durch die Traditionen vorgegebenen Erwartungsdruck nach und nach zu zerbrechen droht. Nach außen wirkt die junge Frau wie ein Musterkind, es wird auch erwähnt, dass man sich mit solch einer Tochter nur glücklich schätzen kann. Sie kocht für die Familie, unterstützt ihren Bruder, besucht regelmäßig den Kurs, hilft dem Vater beim Bewerbungsprozess und entlastet die Familie mit ihrem Einkommen. Innerlich schaut die Welt aber weniger perfekt aus. Die Scham vor ihrer eigenen sexuellen Aktivität und dem Willen zur Emanzipation vom Elternhaus und manchen altertümlichen Regeln bringt die Schauspielerin sehr gut auf die Leinwand. Die Ernsthaftigkeit der Verzweiflung der Hauptfigur wird vor allem durch die Suizidversuche klar verbildlicht. Als es zu weiteren unerwarteten Problemen und Übergriffen kommt, wird auch das außerfamiliäre Sozialnetz stark unter einer Feuerprobe gestellt.

BIST DU DIE FRAU, DIE DU SEIN MÖCHTEST?

Filmstil Elaha
Foto: Crossing Europe

Eine Vielzahl an Themen wie Interkulturalität, Selbstbestimmung, Emanzipation und die Reinheit der Frau bringt die junge Filmemacherin Milena Aboyan in ihrem Erstlingswerk in den 110 Minuten unter. Die Wut und ihrer eigenen Erfahrungen waren treibende Kräfte solch einen authentischen Film mit Parallelen zu ihrem eigenen Leben zu gestalten. Im Q&A erzählt sie, dass ihrer Meinung nach Frauen konstant unter einer kritischen Beobachtung stehen und sich ständig/regelmäßig für ihr Aussehen oder für Äußerungen rechtfertigen müssen – unabhängig von ihrer Kultur.

Was besonders auffällig in diesem Film ist, ist die Komplexität rund um das Thema Tradition, es gibt kein Schwarz und Weiß. Mann kann die Eltern aufgrund der alten Werte nicht komplett abschreiben. Denn diese sind nur ein Teil von ihnen und neben der Auslebung der Religion/Tradition haben sie auch noch andere Facetten. Gleichzeitig kann auch ein Verstoß gegen diese auferlegten Regeln nicht als endgültiger Bruch gesehen werden, so gibt es ja doch neben der Jungfräulichkeit noch andere Eigenschaften, die eine Tochter ausmachen.

Die Farben der Pfaue

Auffällig sind die im Film verwendete Farben. Es gibt kaum Szenen wo man die Farben Blau, Grün und Gelb nicht wiederfindet. Ob im Color Grading, in den Kostümen oder bei den Kulissen. Die Regisseurin hat mit den Farben die Farben der kurdischen Kultur wieder aufgegriffen. Denn trotz der schweren Thematik möchte sie auch die Schönheit der Kultur zeigen. Generell ist auch die Kameraführung, die Szenengestaltung und der Schnitt noch lobend zu erwähnen. Vor allem das Anwenden des Stilmittels der direkten Interaktion mit der Kamera bringt einen tiefer ins Geschehen rein.

Fazit

Auch wenn die Schaupielerin das Schauen des Filmes ihren Eltern verboten hat, kann ich den Film nur sehr stark weiterempfehlen. Für ein Erstlingswerk überrascht er mit einem guten Einsatz von Stilmitteln und Metaphern. Die schauspielerische Leistung von Bayan Layla lässt einen staunen, vor allem wie natürlich sie sich vor der Kamera bewegt. Besonders beeindruckt bin ich von der Komplexität und von der Realtreue. Kurz – sehr empfehlenswert.


Elaha

Regie: Milena Aboyan

Deutschland, 2023, 110 Minuten, Deutsch / Kurdisch
mit Bayan Layla, Armin Wahedi, Derya Dilber, Derya Durmaz


Crossing Europe 2023

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filmfestival linz
26 april – 01 mai 2023
www.crossingeurope.at

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