Filmstill aus "Safe Place"
Foto: Crossing Europe

Sigurno mjesto / Safe Place

Bruno ahnt nach einem Telefonat mit seinem Bruder das Schlimmste. Er stürmt zu ihm in die Wohnung und findet ihn mit Schnittverletzungen auf dem Boden wieder. Doch der Suizidversuch ist erst der Anfang einer beschwerlichen Reise aus Hoffnung und Rückschlag, um einen „Safe Place“ zu finden.

Der Regisseur Juraj Lerotić beginnt sein Erstlingswerk, in dem er auch gleich die Hauptrolle bekleidet, mit einem lang gehaltenen Weitwinkel. Das wirkt so schön ruhig. So unbeschwert, so friedlich. Aber genau diese Diskrepanz möchte er zeigen. Von der Friedlichkeit zum Unaussprechlichen und wie fein die Linie dazwischen werden kann. Denn Damir, der Bruder unseres Hauptdarstellers, möchte sich das Leben nehmen. Zum Glück seiner Familie gelingt ihm das nicht – er landet im Krankenhaus. Das ist aber nicht der Abschluss, sondern erst der Beginn eines beschwerlichen, aufwühlenden Weges, den das Dreiergespann aus Mutter und den beiden Söhnen auf sich nehmen muss, um mit den Erlebnissen und weiteren Gefahren umzugehen.

Alle laufen weg.

Die Figuren wirken ständig überfordert. Genau wie das Publikum. Was würde ich in so einer Situation machen? Helfen sie gerade oder machen sie es schlimmer? Das sind Fragen, die man sich stellt. Kein einziges mal – das hebt auch der Regisseur im anschließenden Q&A noch einmal hervor – findet eine Szene an einem Ort statt, an dem man zuvor schon einmal war. Es geht immer weiter. Denn am Ende laufen sie doch alle weg. Sei es davor, Verantwortung an professionelle Hilfe abzugeben, sich Probleme einzugestehen oder einfach mal ehrlich miteinander zu sein. Da passieren dumme Fehler, aber auch zutiefst menschliche. Besonders das Schauspiel von Goran Marković, der Damir verkörpert, hebt den empfundenen Schmerz nochmal auf ein höheres Level. Es wäre nur zu schön gewesen, wenn auch die Mutter und der Regisseur mit dieser Performance mithalten hätten können. Denn vor allem beim Protagonisten zeigt sich, wieso eine Aufteilung zwischen Regisseur und Darsteller durchaus Sinn ergibt. Juraj meinte zwar, bessere Kontrolle über die Szenen zu haben, wenn er selbst darin vorkommt, aber das passiert auf Kosten der Authentizität. Denn es ist ein Unterschied, ob man schauspielt, um die Szene zu gestalten, oder schauspielt, um Gefühle auszudrücken. Das kann zwar auch gelingen, tut es hier aber leider immer wieder nicht.

Einkesselung als Sicherheit?

Die Einengung beginnt dabei bereits mit dem Seitenverhältnis. Kein 21:9, auch kein normales Full-HD. 4:5 und mehr gibt’s zu den Seiten hin nicht. Der Regisseur schränkt aber noch weiter ein. Mit sehr präzise gewählten Frame-in-Frame Kompositionen setzt er Türrahmen, Wandkanten und andere Mittel ein, um die Verlorenheit und Enge seiner Figuren zu verdeutlichen. Darüberhinaus wird dann aber auf Close-Ups verzichtet. Vielleicht hätte es diese zwar für etwas mehr emotionale Verbundenheit gebraucht, es bewahrt aber auch eine Neutralität, die dem Regisseur offenbar wichtig war. Denn er erzählt hier von seinem persönlichen Trauma, als er seinen eigenen Bruder verloren hat. Dafür setzt er wenig Schnitte und ändert erstaunlich wenig im Abstand von Kamera zu Gezeigtem. So entsteht unweigerlich ein schweres Gefühl in der Brust, das einen nicht gleich wieder loslässt.

Manches nutzt einem nichts.

Personen werden kontextlos gehalten, um die universelle Anwendbarkeit zu verstärken. Das wird nicht für jeden aufgehen, aber der Regisseur bleibt sich hier sehr treu. Genauso tut er das mit seiner befremdlich grünen Farbpalette und der kontrastierenden Mischung aus deprimierender Handlung und dem Hoffnungsschimmer des im Film draußen stattfindenden Frühlings.

Auf Musik wird verzichtet, dafür treffen die Sounds an den richtigen Stellen völlig ins Schwarze. Der Regisseur hat es perfekt am Ende beschrieben: „Out of some events you don’t get out braver, smarter or wiser“. Es ist eine tiefe, aber auch hilflose Auseinandersetzung mit der Machtlosigkeit, die uns als Menschen immer wieder heimsucht. Ob es nun wie hier ein Suchen nach einem Safe Place im Gesundheitssystem, bei der Polizei oder Freunden ist, oder etwas völlig anderes. Finden kann man sich hierin auf jeden Fall.

Der Safe place für einen selbst?

Der Film hätte emotionaler sein können. Ein schnellerer Schnitt oder auch ein Close-Up hie und da hätten der Handlung gut tun können, wurden aber bewusst vermieden. Wer aber über das an einigen Stellen doch holprige Schauspiel hinweg sehen kann, findet hier eine vielleicht gar therapeutische Erfahrung, ob nun negativ oder positiv.


Filmstill aus "Safe Place"

Sigurno mjesto / Safe Place

Regie: Juraj Lerotić

Kroatien / Slowenien 2022
color, 102 Minuten, Kroatisch OmeU
mit Snježana Sinovčić Šiškov, Goran Marković, Juraj Lerotić


Crossing Europe 2023

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filmfestival linz
26 april – 01 mai 2023
www.crossingeurope.at

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Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.