Filmstill aus "Go, Friend, Go"
Foto: Crossing Europe

Go, Friend, Go: Der Weg über den Balkan

Flüchtlinge, die über den Balkan nach Zentraleuropa gelangen möchten, riskieren täglich, wieder zurück an den Anfang ihrer Reise geschickt zu werden. Genannt wird das ganze auch „The Game“. Diese Doku widmet sich dabei diesem Thema und zeigt verschiedenste Persönlichkeiten beim Versuch, das „Spiel“ hinter sich zu bringen.

Die Balkanroute. Viele verschiedene Wege führen zum Ziel, aber alle sind beschwerlich. Ob man die Route zu Fuß über Berge versucht oder es wagt, sich auf ein Schiff zu schleichen. Überall riskieren die Fliehenden Ausraubung und eine Rücksendung. Die Dokumentation etabliert dabei viele Persönlichkeiten und zeigt sie vor allem neutral in ihrem Umfeld. So hört man Gesprächen, Diskussionen und auch Ängsten zu. Die Welt und alle Möglichkeiten stehen ihnen dabei völlig offen. Das merkt man vor allem durch die atemberaubende Platzierung der Kamera. Mit extrem weiten und zum Himmel hin geneigten Bildern bekommt man den Wunsch zu reisen. Das mag in Bezug auf die Flüchtlingsthematik pervers wirken, man muss aber nicht lange nachdenken, um die Verbindung zu erkennen. Denn das Ende der Reise soll ein besseres Leben bedeuten. Und so werden die Menschen zu Ameisen in den Bildern. Zu klitzekleinen, unscheinbaren Lebewesen in den weiten Bildern.

Bezeichnende Silhouetten

Besonders herausgestochen ist die Anonymisierung der gezeigten Personen. Anstelle sehr persönliche Bindungen zu ein paar einzelnen Leuten aufzubauen, wählt die Dokumentation häufig die Silhouette als ein Stilmittel, um universelle Anwendbarkeit der Situationen zu erzeugen. Mit Gegenlicht werden so die Umrisse von vernarbten und doch hoffnungsvollen Menschen gezeichnet. In den heruntergekommensten Unterkünften findet die Kamera die unglaubliche Schönheit der Umgebung, oft in der goldenen oder blauen Stunde. Das gibt Hoffnung, das schafft Emotion.

Gleichzeitig zeigt es deren Ausgrenzung. Ihnen wird es fast schon nicht erlaubt, am Tag zu existieren. Da müssen sie sich verstecken, sie dürfen sich nicht zeigen. Erst in der Nacht, wenn sie selbst zu Schatten werden, dürfen sie leben.

Da möchte man nicht mitspielen

Schöne Bilder hin oder her – mit selbst gefilmten Handyvideos der Protagonist:innen wird einem die harte Realität noch näher gebracht. So sieht man eine ganz andere Darstellung von waghalsigen Kletteraktionen, beschwerlich erklemmbaren Hügeln und genereller Verlorenheit.

Man wird auch durchaus herausgefordert, mitzufühlen. Man findet keine Kitschmusik, keine Personen, die in Tränen ausbrechen und all ihr Leid ausschütten. Es ist alles viel neutraler und gleichzeitig auch abstrakter. Denn ganze illustrierte Abschnitten veranschaulichen dann das, was man bei solch einer Reise einfach nicht anders als völlig gestellt zeigen könnte. So entstehen erstaunlich echt-wirkende Szenen, alleine durch grobe Zeichnungen und Narration.

Fazit

Die unbeschwert wirkenden Bilder, gemischt mit animierten Illustrationen und keinen reißerisch emotionalen Momenten zeigen die Flüchtlingsthematik einmal durch ganz andere Augen. In Teilen möchte man zwar vielleicht gerne etwas mehr Emotionen präsentiert bekommen oder persönlichere Geschichten hören, aber da bleibt sich diese Dokumentation lieber selbst treu, bevor sie sich verliert. Gerne anschauen.


Go, Friend, Go

Regie: Gabriele Licchelli, Francesco Lorusso, Andrea Settembrini

Italien / Großbritannien / Deutschland 2022
color, 68 Minuten Englisch / Paschtu / Dari / Arabisch, OmeU
mit Khalil Al Jazairi, Jumha Khan, Parwana Amiri, Abdullah Jabor Khel


Crossing Europe 2023

Crossing Europe Logo

filmfestival linz
26 april – 01 mai 2023
www.crossingeurope.at

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Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.