Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn
Foto: Thomas Ledl (CC BY-SA)

Wer hat Angst vor Braunau?

Eine Weltpremiere beim Filmfestival in Freistadt: Kann ein Haus alleine böse sein? Und hat es einen eigenen Film verdient? In seiner Dokumentation spürte Günter Schwaiger fünf Jahre lang dem Mythos um Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn nach.

Herzlich willkommen im falschen Film! Mit diesem Spruch auf dem T-Shirt begrüßt uns Wolfgang Steininger zur Eröffnung des 36. Festival Der Neue Heimatfilm in Freistadt. Ob sich im ausverkauften Outdoor-Kino in der Salzgasse wirklich alle in der Filmwahl geirrt haben? Der achte Film des Regisseurs Günter Schwaiger geistert auf jeden Fall schon seit Tagen durch die Medien.

Die Vorgeschichte

Das bekannteste Haus der Stadt am Inn ist wieder in aller Munde. Seit Jahrzehnten wird darum gestritten, was damit gemacht werden soll. Auch ein Abriss wurde schon mehrfach vorgeschlagen, unter andrem vom damaligen Innenminister Sobotka. Aber der Denkmalschutz des biedermeierlichen Bürgerhauses reduziert die Nutzungsmöglichkeit erheblich. Auch ein russischer Duma-Abgeordneter wollte es schon kaufen. Nachdem der Staat das Haus Jahrzehnte lang gemietet hatte, wurde 2016 die Besitzerin schließlich enteignet. Sie klagt und bekam nach mehreren Instanzen auch mehr Geld zugesprochen. Nun sollte die Lebenshilfe als soziale Einrichtung nach einem Umbau wieder einziehen.

Ist das jetzt fix? Nein. Während der Übergangsregierung Bierlein verkündete das Innenministerium, dass eine Polizeidienstelle in das Haus in der Braunauer Vorstadt einziehen soll. Braunau war wieder international in den Medien. Aber ob eine Institution, der oft vorgeworfen wird, gerade auf jenem Auge blind zu sein, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist? Gerade im Innviertel?

Mit dieser komplexen Ausgangslage schafft der Film, schon im Vorfeld zu provozieren. Historiker richten sich via Medien Nettigkeiten aus, der Boulevard ist vorab bestens informiert. Die PR-Arbeit funktioniert. Aufmerksamkeit bekommt man mit Hitler ohnehin immer. Da rauscht der Blätterwald bis nach New York, schon vor der Weltpremiere. Diesem Umstand ist wohl auch der englische Titel geschuldet. „Who is afraid of Hitler’s town?

Weltpremiere 

Ein Haus und die Vergangenheit in uns. Das ist der Untertitel des Films, der sich viel mit Fassaden beschäftigt. Wörtlich und im übertragenen Sinn. Es scheint, als hätten viele Angst vor einem Gebäude. Aber was kann die Stadt Braunau dafür, und die Menschen, die jetzt dort wohnen?

Eigentlich wollte Schwaiger einen Film über die Lebenshilfe drehen, die in das Haus einziehen sollte. Bis 2011 waren sie schon dort, aber es scheiterte an einem barrierefreien Umbau. Doch während die Dreharbeiten schon liefen, entscheidet sich die Republik als neue Eigentümerin anders. Man hat Angst, dass die offen zugänglichen Räume Neonazis ins Gebäude locken könnten. Lieber soll die Geschichte verschwiegen und hinter einer neuen Fassade versteckt werden. Den Ort „neutralisieren“, davon spricht ein Mitarbeiter des Ministeriums. Auch der Gedenkstein vor dem Haus hätte entfernt werden sollen. Dagegen gab es massiven und erfolgreichen Protest in Braunau. Der Stein steht auch auf Gemeindegrund. Wie beliebt die Idee der Polizeidienstelle ist, zeigt eine Umfrage aus 2023. Nur 6% würden sich hier für diese Nutzung aussprechen, erzählt der Filmemacher im Gespräch nach der Premiere.

Braun und Braunau 

Was ist der Grund für die Dämonisierung eines Ortes, an dem eigentlich nie etwas passiert ist? Ein Baby hat drei Jahre dort gelebt. Irgendwo in dem Haus, genau weiß man es nicht, es wurde seither mehrfach umgebaut. Doch jetzt soll sogar der Bauschutt geheim entsorgt werden, damit ja niemand auf die Idee käme, diesen zu „nutzen“. Jedes Staubkorn könnte wohl ansteckend sein. 

Dass immer noch Ewiggestrige den Ort aufsuchen, würde sich wohl auch durch einen Umbau nicht ändern. Am 20. April, Hitlers Geburtstag, wird ein Kranz niedergelegt. RIP UsA steht auf der Schleife. Unser seliger Adolf. Dann kommen zwei Männer, stellen Kerzen auf und lassen sich interviewen. Sie machen die Tour von Deutschland hierher jedes Jahr. Eine Polizeidienststelle würde sie davon auch nicht abhalten, sagen sie. Später fahren sie noch nach München, dort ist noch ein Aufmarsch. Eigentlich sollte die Polizei an diesem Tag ja das Gebäude bewachen, aber sie waren vorerst nicht zu sehen. Später kamen Beamte in Zivil dazu, erzählt der Regisseur nach dem Film. Mittlerweile sitzen die Kerzenaufsteller für drei Jahre wegen Wiederbetätigung im Gefängnis. Das Publikum applaudiert.

Was hätte der Führer gewollt?

Im Epilog des Films lässt sich Schwaiger vom Historiker Florian Kotanko noch ein Stück aus dem Braunauer Stadtarchiv zeigen. Eine Zeitungsmeldung aus der „Braunauer Warte am Inn“ vom 10. Mai 1939. Dort wird berichtet, „der Führer hat sein Geburtshaus der Kreisleitung zur Verfügung gestellt. Über seinen Wunsch ist es zu Kanzleien der Kreisleitung umzubauen.“ Adolf Hitler wünschte sich also eine administrative Nutzung des Hauses an der Adresse Salzburger Vorstadt 15. „Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich die Intention eines Diktators und die Intention der Vertreter der Republik Österreich fast deckungsgleich anhören“, meint der Historiker dazu. Nicht nur deswegen bleibt es fraglich, ob die Polizei dort jemals einzieht. Denn auch nach Jahren an Verzögerung ebbt die Kritik an der Entscheidung aus Wien nicht ab. Die Braunauer:innen wollen selbst entscheiden.

Fazit

Irgendwas mit Nazis, das zieht immer. Und so wurde dieser Film Reportage und Nabelschau zugleich. Die 150 Stunden Material sind so unterschiedlich in Stil, Qualität und Erzählweise, dass sie in dieser Zusammenstellung oft nur schwer zusammenpassen. Gespräche mit dem Bruder, schwülstige Montage mit epischer Musik und Erzählerstimme aus dem Off folgen auf Straßenszenen und Interviews, die auch aus einer ORF „Am Schauplatz“-Reportage stammen könnten.

Auch Spiras’ Alltagsgeschichten kommen einem bei manchen der Gespräche in den Sinn. Altes Filmmaterial zeigt seine eigenen Eltern, die mit etwas verklärtem Blick von ihrer Kindheit in der NS-Zeit erzählen, fast schwärmen, und wenig Reflexion erkennen lassen. Dem stellt er die Sozialdemokratin Lea Olczak gegenüber, die mit ihren 100 Jahren, mit wachem Geist und mahnenden Worten erzählt, was sie als Kind in Braunau erlebt hat. Alleine die 1922 geborene ehemalige Vizebürgermeisterin von Braunau (die damals erste Österreichs) hätte ihren eigenen Film verdient gehabt.

Für mich wäre eine klare Linie und eine Reduktion auf weniger Storylines besser gewesen. Aber so wurden es fünf Filme in einem, mit redaktionellen Schwächen. Nicht weil die Inhalte nicht gut oder interessant wären, aber weil der Film nicht weiß, wo er hin will. Im Gespräch nach der Weltpremiere gab es trotzdem viel Applaus und auch eine Besucherin, die noch extra erwähnen wollte, dass sie genau diese unkonventionelle Form bewundere.


Wer hat Angst vor Braunau

Wer hat Angst vor Braunau?

Ein Haus und die Vergangenheit in uns

Regie, Kamera: Günter Schwaiger
Österreich,2023
99 Minuten

dimdimfilm.com

Kinostart: 1. September 2023


Festival Der neue Heimatfilm

23. – 27. August 2023

www.filmfestivalfreistadt.at

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Festival Der neue Heimatfilm 2023

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