Care & Queer – Diagonale 2024
30 Grad, 195 Filme, 4 Kinos, 30.000 Besucher*innen und ein Festival. Die Diagonale 2024 fand Anfang April erneut in der wunderschönen Hauptstadt Graz statt. Mit Sonne und einem ausgezeichnetet Programm begrüßt uns das Festival und begeistert uns mit einer Vielzahl an guten Filmen.
Mindestens einmal im Jahr sollte man die steirische Hauptstadt durchaus besuchen. Einer der besten Gründe dies zu tun, neben dem allgemeinen Flair der Stadt, ist das seit Jahren in Graz stattfindende Filmfestival des österreichischen Films – die Diagonale. Dies ist zumindest für uns einer der Hauptgründe. Seit heuer hat das Festival eine neue Leitung. Sorgfältig haben Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar ein Festivalprogramm erstellt, welches für großen Ansturm sorgt.
Am Donnerstag eröffnete der Film Favoriten, eine Dokumentation von Ruth Beckermann, das Filmfestival. Wir sind seit Freitag im Getümmel anzutreffen. Ganz nach dem Motto Diagonale denkt weiter, gestalteten wie die Anreise mit dem (unklimatisierten) Zug und Graz begrüßte uns mit sonnigen 26 Grad.
What a Feeling
Für die Physische aber nicht psychische Abkühlung sorgte der erste Film des Abends. Die Idee zu der Geschichte von „What a Feeling“ kam während der Pandemie. Mit dem Ziel, dass die Menschen danach was zum Lachen haben. Müsste man der Komödie einen Stempel aufdrücken, so könnte dieser leichtfüßig und locker aussagen. Die Schauspielerin Proschat Madani und Drehbuchautorin/Regisseurin Kat Rohrer haben sich vor 20 Jahren an der Uni kennengelernt und sind seit dem eng befreundet. Bei diesem Film wurde abseits der Uni-Projekte zum ersten Mal zusammengearbeitet, wo es durch die freundschaftliche Beziehung durchaus notwendig war, neue Regeln für das neue Setting der Collaboration zu finden. Diese herzliche, humorvolle und auf Augenhöhe basierende Freundschaft konnte man nicht nur im Gespräch danach fühlen, sondern ist auch im Film wiederzuerkennen.
70 Prozent der Personen am Set waren bei diesem innovativen Film weiblich und Kat Rohrer berichtete im Gespräch, dass vor allem die Chemie unter den agierenden Personen besonders wichtig war. Ob bei den intimen oder bei den alltäglichen Szenen.
Aber worum gehts ihn dem Film eigentlich? Eine Ärztin, Marie Theres, Mitte 50 (gespielt von Caroline Peters) wird von ihrem in der Midlifecrisis steckenden Mann verlassen. Sie betrinkt sich und landet in einer lesbischen Bar, wo sie Fa (gespielt von Proschat Madani) trifft. Die Bar ist zum einen ein sicherer Hafen für viele Frauen und zum anderen der Meet-Cute einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Als die Mutter von Fa krank wird, kreuzen sich die Wege der beiden häufiger und lernen sich immer besser kennen. Diverse Faktoren wie Unsicherheit der eigenen Sexualität, Erwartungen von Familienmitgliedern, ethnische Konflikte und Angst vor Reaktionen der Gesellschaft begleiten die beiden Frauen auf der Suche nach Liebe.
Der Film ist seit 19.4 in den Kinos und wir empfehlen ihn sehr. Wie es der Filmtitel schon verrät, geht es um Gefühle. Man lacht, weint, ärgert sich und verliebt sich ein bisschen in die Darstellerinnen. Fun Fact: der Song bzw. Titel wurde nach der Kategorie „Was bringt eine Hetero-Frau Mitte 50 zum Tanzen“ ausgewählt – ich würde sagen es gibt kaum jemanden, der bei dem Song von Irene Cara still sitzen kann.
Traditionellerweise bot die Diagonale auch eine Aftershow-Party im PPC oder Volksgarten an. Dank dem inkompetenten Hotel und den Unannehmlichkeiten ausgesperrt zu werden, war die Partylaune etwas im Keller. Was aber die Vorfreude auf den Film am nächsten Morgen nicht schmälerte.
Bosnischer Topf
Die Anweisungen vom Regisseur Pavo Marinković zu Beginn des Films waren klar: Bitte nicht denken, sondern den Gefühlen freien Lauf lassen, der Film funktioniert nur auf einer emotionalen Basis.
Im Film Bosnische Topf handelt von der Geschichte von Faruk Šego, der in seiner Jugend ein gefeierter Schriftsteller in Bosnien war. Während des Jugoslawienkriegs flüchtete er nach Österreich und jobbt seit dem mehr oder weniger enthusiastisch bei einem lokalen Fernsehsender. Aufgrund von Kürzungen und seiner mangelnder Motivation kündigt man ihn. Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein, da sein Aufenthalt gefährdet ist und der ersehnte dauerhafte und unbefristete Aufenthalt in Österreich abgelehnt wurde. Dazu müsse Faruk einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Kultur nachweisen. In seiner Verzweiflung wendet er sich an eine Theatergruppe, welche ein Jugendwerk von ihm aufführen sollte. Das Projekt stand unter keinen guten Stern. Konflikte beim Theater, fehlenden finanzielle Ressourcen und das chaotische Leben von Faruk bringen das Vorhaben fast zum Scheitern.
Senad Bašić ist ein bosnischer Schauspieler, welcher kein Deutsch spricht, somit spielte er alle deutschen Sequenzen. In Graz, wo der Film spielte, hieß man das Team von Anfang an willkommen. Der provinzielle Charakter der Stadt und die Überschaubarkeit passen sehr gut zur Story. Für den Regisseur und Drehbuchautor war es wichtig, dass die Story kulturell authentisch erzählt wird und das Leben im Milieu der Emigration echt dargestellt wird. Der Film zeigt die Schönheit des Scheiterns im täglichen Leben. Er besinnt einem wieder auf die einfachen Dinge im Leben. Für das, was auch das namengebende Gericht „Bosnischer Topf“ steht.
Natürlich passiert es auch den besten gemütlich in der Sonne vor dem Kino ein Getränk zu genießen. Nur um kurz vor Filmstart zu merken, dass man vor dem falschen Kino sitzt. Aber mittels Straßenbahn schafft man es auch innerhalb von nur wenigen Minuten und (fast) rechtzeitig zum Filmstart. Gerade noch rechtzeitig, um den Film „Andrea lässt sich scheiden“ genießen zu können. Der Film von Josef Hader läuft schon seit mehreren Wochen in den Kinos. Eine detaillierte Review ist somit nebensächlich. So widmen unsere Aufmerksamkeit den Film Veni. Vidi. Vici. von Daniel Hoesl und Julia Niemann.
Veni. Vidi. Vici.
„Ich könnte mich auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen und würde keinen Wähler verlieren, das ist unglaublich.“
Donald Trump (2016)
Aktuell beschäftigen sich viele Medien (Filme, Romane, Spiele) mit der politischen Botschaft „Eat the rich“ um auf den Klassenkampf und der damit einhergehenden Missstände hinzuweisen. Daniel Hoesl und Julia Niemann nehmen mit ihrem Film eine andere extreme Position ein. Sie zeigen mit ihrem Film sehr plakativ, wie die Reichen uns killen werden bzw. wie sie es könnten. Gerade in Zeiten, wo die Politik eine Herabsetzung von der Strafmündigkeit plant und die Medien, Erziehung und Sanktionen stark diskutieren, gibt es keinen passenderen Zeitpunkt für den Film.
Inhaltlich handelt der Film von einer superreichen Patchwork-Familie. Der Vater hat ein ausgezeichnetes Gespür für Inventionen und innovative Projekte und vermehrt so sein Vermögen stündlich. Seine Tochter hat das Ziel zu schauen, wie weit sie gehen kann und wo die Grenzen von ihrem delinquenten Verhalten liegen. Auch der Vater ist auf der Suche nach einer Grenze und testet mit vielzähligen Morden die Justiz. Sein Geld, seine Kontakte und seine Macht unterstützen dabei, die Konsequenzen in weite Ferne zu rücken. Die Frage stellt sich: Was muss noch geschehen, damit die Justiz hier tätig wird?
Eine sehr bildliche Story über die Ignoranz von Super-Reichen und deren Einfluss. Es empfiehlt sich, sich auf das Gedankenexperiment einzulassen und am 13.09.2024 das Kino zu besuchen. Voll mit vielen neuen Eindrücken gehts ins Bett. Mit dem Ziel, am nächsten Tag fit für weitere Kinoerlebnisse zu sein, unter anderem für den Film Asche.
Asche
Elena Wolffs zweiter Spielfilm spielt in Linz und beschäftigt sich mit der Linzer Kunst und Kulturszene. Das erste Werk Paradies war unter anderem auch auf dem Crossing Europe Film Festival zu sehen. Der Film Asche machte sich über die Kulturschickeria in Linz lustig. Er zeigt dabei überzogene Darstellungen von Kunstschaffenden und Museen, sowie deren Lebenseinstellungen. Der Film bearbeitet neben dem Kunstpart auch Themen wie Feminismus und bewusste Wohlstandsverwahrlosung (Reich sein, aber arm tun).
Das Drehbuch hat Elena Wolff als Theater geschrieben und der Film wurde unabhängig produziert. Mit 18 Drehtagen und knapp 48.000 Euro ging sich leider kein Fair Pay aus. Kritisch könnte man auch den Fakt sehen, dass Elena Wolff sich nicht wirklich mit der Linzer Kulturszene auseinandergesetzt hat. Dies ist im Film erkenntlich bzw. hat sie dies beim Gespräch auch ganz offen und ehrlich zugegeben. Einen etwas bitteren Beigeschmack hatte es auch, dass die Regisseurin verkatert zum Q&A kam.
Wer sich selbst ein Bild machen möchte von dem Film, hat beim kommenden Crossing Europe die Möglichkeit. Die Bildgestaltung von Nora Einwaller wurde auf jeden fall bei der Diagonale mit dem Diagonale-Preis Bildgestaltung des Verbandes Österreichischer Kameraleute AAC ausgezeichnet.
Corpus Homini
Bekanntlich kommt das Beste zum Schluss. Besonders begeistert hat uns ein Werk ebenso mit einem Linzer-Background. Seit einem Besuch in einem ehemaligen Badhaus /Hotel beschäftigt Anatol Bogendorfer sich mit den menschlichen Körper. Hier wurde auch die Idee geboren. Anatol zeigt in seiner Dokumentation vier Berufe, welche sich der Arbeit am fremden Körper widmen. Hierfür wurden folgende Professionen ausgewählt und mit einem Filmteam begleitet: Hebamme, Sexarbeiterin, Ärztin und Bestatterin. Der Film spiegelt zum einen die Intimität, den Respekt vor jeden Körper und auch das Vertrauen zu den jeweiligen Fachkräften wider.
Anatol wollte keine klassischen Interviews in dem Film aufnehmen und hat es geschafft, dass die Bilder zum Großteil für sich sprechen bzw. die Sprache nur ergänzend diente. Es wurden mit Totalen und Close Ups gearbeitet. Hier lag der Fokus auf Authentizität und es wurde nicht das Ziel verfolgt, skandalöse Bilder zu erzeugen. Ihm war es besonders wichtig, die vier Berufe gleichwertig darzustellen. Den Profesionalist*innen auf Augenhöhe zu begegnen und ein realgetreues, authentisches und entstigmatisierendes Bild zu produzieren. Dies ist ihm auch sehr gut gelungen. Man erkennt von allen vier Berufen die Liebe zur Tätigkeit, die Leidenschaft an der Arbeit mit dem menschlichen Körper und die Routine.
In der Vorlaufzeit von vier Jahren wurden unter anderem passende Personen für die Begleitung gesucht, sowie finanzielles und rechtliches abgeklärt. Vor allem die Suche nach der Person bei der Geburt dauerte lange und war schlussendlich eine sehr spontane Aufnahme.
Bis jetzt ist uns keine authentischere Dokumentation über diese Berufsgruppen untergekommen. Welche gleichzeitig so gut produziert ist und mit den Berufsgruppen auf eine so wertschätzende Art und Weise interagiert. Ein Film, der großes Publikum verdient hat. Beim kommenden Crossing Europe gibt es die Chance den Film auf einer Leinwand zu sehen.
Resümee
So gehts für uns das Festival zu Ende und wir mussten uns leider schon vor der Preisverleihung nach Linz vertschüssen.
Die Diagonale 2024 war für uns wieder ein sehr spannendes Erlebnis mit vielen filmischen Eindrücken. Vor allem die Themen: Care und Queer waren für uns sehr präsent. Die Stimmung in Graz bei der Diagonale ist immer etwas ganz besonders. Man trifft die ein oder andere altbekannte Person bei der Schlange, beim Eiskauf oder bei der Aftershow-Party. Da tauscht man sich rege aus und debattiert über den einen oder anderen Film. Wir ziehen den Hut vor der neuen Leitung, welche aus unserer Sicht einen hervorragenden Job gemacht hat. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in Linz beim Crossing Europe.