Warum ich 25-mal in einer Woche ins Kino gehe
Dieser Artikel wird ein sehr persönlicher. Einer, in dem ich versuche zu erklären, warum man sich als Normal-Sterblicher jemals dazu entscheiden sollte, innerhalb einer Woche ein Viertel Hundert Filme anzuschauen. Eine Woche voller Kino mit emotionalem Overdrive.
Gleich als Disclaimer zu Beginn: Dieser Artikel soll weder eine Anleitung noch überhaupt eine Empfehlung werden. Er soll lediglich dazu dienen, eine Gedankenweise zu belichten, die ein so exzessiver Filmfan wie ich pflegt und woher die Überzeugung dazu überhaupt erst kommt. Dass das keineswegs nachvollziehbar sein muss, ist mir völlig klar. Es soll auch keine Rechtfertigung sein, weil es wie gesagt nicht nachvollziehbar werden muss. Wenn sich jemand auf die folgenden Zeilen einlässt und sich sogar in Teilen selbst darin findet, freue ich mich natürlich, nicht der einzige zu sein. Falls man sich nicht damit identifizieren kann, ist das auch völlig in Ordnung (und vielleicht auch sogar besser so).
Obsession
„Wie sind sie zum Film gekommen?“, ist wohl die eine Frage, die allen Filme machenden Personen in ihrem Leben mehrfach gestellt wird. Eine Frage, die nie gänzlich gleich beantwortet werden wird, aber immer im gleichen Resultat endet: der Liebe zum Film. Eine Liebe zum Film, die dabei gerne eine gewisse Bedingungslosigkeit mit sich bringt.
Meistens beginnt es mit einem Film, der einen zum Hinterfragen bringt. Zum Hinterfragen der Bedeutung des Films, der (Entstehungs-)Geschichte des Films und der gesamtheitlichen Kunst des Films. Das skaliert sich dann von einem Film zum nächsten, von Blockbusterkino bis hin zu vielleicht sogar Arthouse. Je mehr Filme man dabei konsumiert, desto stärker wird die Kenntnis von Klischees und Berechenbarkeit, was die Suche nach neuen Konzepten, Denkweisen und Umsetzungsmöglichkeiten antreibt. So beginnt man auf die Kamera zu achten, auf den Schnitt, auf die Musik und auf das Produktionsdesign. Jeden interessiert dabei etwas anderes und jeder entdeckt und deutet dabei anderes. Ganz sicher ist jedoch, dass jedes Element in einem Film eine eigene Geschichte erzählt. Alles in einem Film ist aus einem bestimmten Grund da. Vielleicht möchte der perfektionistische Regisseur genau da eine Kaugummipackung im unteren Rand des Bildes haben, vielleicht hat sie aber auch einfach ein Statist dort liegen lassen – das Wie und warum zeichnet den Reiz aus. Zwei Fragen, deren Entfaltung dann in Interpretation, Verständnis und Inspiration münden.
Inspiration ist dabei das schlagende Stichwort. In meiner Definition nimmt man sich nämlich aus dem näheren Verständnis am meisten für seine eigene Zukunft und Persönlichkeit mit, sofern man dafür offen ist. Natürlich ist es Fluch und Segen zugleich: Klassische Entertainment-Filme nach dem immer gleichen Schema verlieren an Wert und man muss nach immer neuen „Kicks“ suchen. Aber wenn man dann einen Film findet, der einen berührt und inspiriert, macht das gleich ein Vielfaches der eigentlichen Wirkung aus. Ob für sich selbst, zwischenmenschlich oder einfach Empathie gegenüber Fremden – das ist die Inspiration, die ich in der Obsession finde: Inspiration fürs Leben.
Die Magie des Kinos
Furchtbar kitschig. Ich weiß. Ich nehme mir also Inspiration als Grund für meine Obsession. Warum wähle ich aber gerade den Film als Grundlage dafür? Es gibt doch sicher spannendere Dinge, als soviel Zeit in einem dunklen Saal zu verbringen, völlig abgeschottet von der Außenwelt. Sobald jemand diese Meinung vertritt, kann ich auch schon gar nichts mehr dagegen argumentieren. Die Menschen sind ja gerade in ihrer Unterschiedlichkeit so außergewöhnlich. Gerade diese Außergewöhnlichkeit und die Menschlichkeit ist es, die für mich kein anderes Medium abseits des Kinos so gut einfangen kann.
Es gibt nichts anderes, dass einen so weit weg und dann wieder ganz nah bringen kann. Bücher sind beispielsweise wesentlich imaginativer und daher viel losgelöster, ein Film bringt eine größere Eindeutigkeit mit sich. Die Diskussionen untereinander werden so viel direkter und treffen meiner Meinung nach viel eher einen zwischenmenschlichen Nerv. Das heißt natürlich nicht, dass Filme gleicher wahrgenommen als Bücher, keineswegs. Jeder Mensch sieht durch ein völlig anderes Auge, physisch wie metaphorisch.
Darin liegt dann für mich die Magie des Kinos, die Magie in diesem für zwei Stunden abgeschotteten Raum. Jeder erlebt das Gleiche auf eine ganz andere Art und Weise. Im geschlossenen Raum nicht orts- oder zeitunabhängig, sondern rein emotional unabhängig. Und das allerschönste ist dann, wenn es der:die Filmemacher:in schafft, jemanden in seiner oder ihrer Emotionalität auf die eine oder andere Art zu berühren. Eine Art, die dabei nicht einmal intendiert sein muss, sondern in der sich dann Ort, Zeit und Mensch gemeinsam zu Inspiration formen.
Emotionales Übersteuern
Das ist also bisher die Erklärung, warum ich das Kino so sehr zu schätzen weiß. Warum aber sollte man sich nun 25 Filme innerhalb einer Woche in dem angesprochenen geschlossenen Raum mit wildfremden oder/und geliebten Menschen ansehen, so wie ich es auf einem Filmfestival wie dem Crossing Europe mache? Es geht dabei vereinfacht gesagt um genau den Zusammenhang aus Emotion und Inspiration, der dabei entsteht. Während einen ein einzelner Film wie ein umklammertes Werk kurz aus jeglicher Umgebung heraus isoliert, steigert sich das ständige Wiederholen dieses Akts hin zu einem Zustand, der nur schwer in Worte zu fassen ist.
Es ist eine Art Trance. Ein Gefühl aus einer solch großen Ansammlung an Gefühlen, die auf der Oberfläche eine Gleichgültigkeit und unterbewusst ein völliges Übersteuern verursacht. Dabei ist mir völlig egal, ob es Gefühle der Trauer oder der Euphorie sind. Ich feiere das Kino für seine Emotionen, nicht, ob es mich zum Lachen oder Weinen bringt. Es geht mir schlicht um das Vorhandensein der Emotion, nicht um die Art der Emotion.
Wo liegt also jetzt die Linie zwischen Gleichgültigkeit und Ekstase? Letzten Endes geben einem 25 Filme eine ganz besondere Gefühlswelt. Denn wenn man sich selbst gar keine Zeit lässt, den gerade gesehenen Stoff aufzuarbeiten, sondern sich direkt wieder neue Reize holt, verzögert man alle emotionalen Ausbrüche so lange als möglich, bis es am Ende alles auf einen hereinbricht. Ist das komisch? Ist das ein Fetisch? In gewisser Weise wahrscheinlich schon. Ich finde es aber gleichzeitig auch zutiefst menschlich, denn nirgendwo sonst fühle ich so tief, so pur, so uneingeschränkt.
Das Kino ist ein Ort der Freiheit für mich, ein öffentlicher Ort und gleichzeitig ein zweites Wohnzimmer. Und genauso wie jeder andere Mensch bin auch ich einfach auf der Suche nach etwas, dass mich menschlich fühlen lässt. Das mich fühlen lässt. Und nirgendwo sonst fühle ich mich so tief menschlich, als wenn ich 25-mal in der Woche ins Kino gehe.
filmfestival linz
30 april – 05 mai 2024
www.crossingeurope.at
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