Eröffnung Nova Gorica 2025
Foto: a_kep

GO! 2025: Kultur­hauptstadt Nov­a Gorica an der unsichtbaren Grenze

Nova Gorica (Slowenien) ist 2025 Kulturhauptstadt Europas – gemeinsam mit Gorizia (Italien). Zwei Städte, zwei Länder, ein gemeinsamer Platz: Wo einst der Eiserne Vorhang verlief, steht heute ein Brunnen der Begegnung. Ein Ort zwischen Vergangenheit und Vision.

Die Kulturhauptstadt Europas ist kein Ort, sondern ein Konzept. Und in kaum einer Region Europas wird dieses so sichtbar wie in Nova Gorica und Gorizia. Einst durch eine Grenzmauer getrennt, teilen sich die beiden Städte 2025 diesen prestigeträchtigen Titel. Eine slowenisch-italienische Doppelstadt – was auf den ersten Blick nach Verwaltungschaos klingt, ist in Wahrheit ein europäisches Labor für Koexistenz.

„Go! Borderless“ heißt das Motto. Es klingt nach Werbung für EU-Subventionen, steht aber für ein ehrliches Anliegen: die Grenzen im Kopf zu überwinden. Denn geografisch sind sie längst gefallen. Der zentrale Platz – die Trg Evrope / Piazza Transalpina – war früher Niemandsland. Heute wird er Bühne. Für Konzerte, Tanz, Street-Art und Erinnerungsarbeit.

Nova Gorica wurde 1947 als sozialistisches Gegenprojekt zum „bürgerlichen“ Gorizia erbaut, war lange das Stiefkind. Jetzt ist sie die Gastgeberin. Und zeigt, wie aus einer geplanten Stadt eine gewachsene wird – mit Kulturzentren in alten Bahnhöfen, mit partizipativen Kunstprojekten und dem Mut zur Unschärfe. Denn klar ist hier nichts. Und das ist gut so.

Was ist eine Kulturhauptstadt Europas?

Seit 1985 vergibt die EU jährlich den Titel „Kulturhauptstadt Europas“. Ursprünglich gedacht, um das kulturelle Verständnis zwischen den Nationen zu fördern, hat sich das Konzept kontinuierlich weiterentwickelt. Neben einzelnen Städten stehen jetzt auch länderübergreifende Kooperationen wie Gorizia–Nova Gorica oder ganze Regionen wie das Salzkammergut 2024 im Fokus. Der Titel bringt internationale Sichtbarkeit, Impulse für Stadtentwicklung und oft auch nachhaltige Infrastrukturprojekte. Eine europäische Idee mit lokalem Herzschlag.

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Altösterreich im Schatten Jugoslawiens

Görz war über Jahrhunderte Teil der Habsburgermonarchie – seit 1500 gehörte es zum habsburgischen Kronland Görz und Gradisca, später zum österreichischen Küstenland. Eine jener vielsprachigen, vielkulturellen Grenzregionen, die das alte Mitteleuropa auszeichneten. Maria Theresia plante hier einen Besuch, Charles X. von Frankreich starb 1836 in der Stadt. Im Kaffeehaus sprach man Slowenisch, Friulanisch, Deutsch, Italienisch und Jiddisch – und verstand sich.

Dann kamen Nationalismus, Faschismus, Kommunismus. Mit der Nachkriegsgrenze wurde die Stadt zerschnitten – Gorizia fiel an Italien, Nova Gorica wurde aus dem Nichts direkt daneben, auf der anderen Seite der Grenze geplant. Ein rationalistisches Stadtmodell auf slowenischem Boden, ein Ort mit Plattenbauten, breiten Straßen und neuen Geschichten.

Und doch merkt man es noch heute, wenn man zu Fuß von Nova Gorica nach Gorizia spaziert: Auf italienischer Seite sitzt immer noch ein Grenzbeamter im Häuschen, rein symbolisch. Und die Architektur wechselt abrupt: vom betont Funktionalen der jugoslawischen Moderne zu den kleinen Palazzi, teils aus der k.u.k.-Zeit, teils im italienischen Historismus oder Rationalismus erbaut. Man durchquert ganz Europa in einem Spaziergang.

Viadukte, Verbindungen, Versprechen

Nicht nur symbolisch, sondern ganz konkret werden die Städte 2025 wieder stärker verbunden: Die bestehenden Bahngleise zwischen den Bahnhöfen Gorizia Centrale und Nova Gorica wurden nach Jahrzehnten der Trennung wieder aktiviert. Früher führte die landschaftlich spektakuläre, aber langsame Wocheinerbahn über das Soča-Tal und Jesenice Richtung Villach. Die schnellere Verbindung via Udine orientierte sich lange nur nach Westen. Jetzt soll Europa auch hier wieder zusammenwachsen – auf Schienen.

Spektakulär ist dabei auch das Solkan-Viadukt nördlich der Stadt: Mit 220 Metern Länge und einer Bogenspannweite von 85 Metern gilt es als längste Stein-Eisenbahnbrücke der Welt – und als zweitlängste ihrer Art überhaupt. 1905 in nur 18 Tagen erbaut, steht es heute wie ein Denkmal für technische Visionen in politisch aufgeladenem Gelände.

Ein Jahrhundert später wird die Brücke wieder zur Verbindung – nicht nur über den Fluss, sondern zwischen Systemen, Zeiten, Identitäten. Genau hier setzt auch die Kunst an. Der international bekannte Pianist Alexander Gadjiev kehrt in seine Heimat zurück und spielt im Sommer 2025 ein Kammerkonzert in spektakulärer Atmosphäre direkt unter der Brücke.

Europa kann das. Vielleicht.

Nova Gorica 2025 ist mehr als ein Etikett. Es ist ein Experiment, das zeigen soll, wie aus Trennung neue Gemeinsamkeit entstehen kann. In einer Zeit, in der Grenzen vielerorts wieder schärfer gezogen werden, steht diese Doppelstadt exemplarisch für Offenheit, Wandel und kulturellen Austausch. Hier wird in Zukunft europäische Integration hoffentlich nicht bloß verhandelt, sondern gelebt – auf Plätzen, Bühnen und Bahngleisen. Zwischen Historie und Aufbruch kann ein Raum entstehen, in dem Identität kein Entweder-oder ist, sondern ein Sowohl-als-auch. Ein Ort, der erinnert, woher wir kommen – und was möglich ist, wenn wir einander zuhören. Begegnung, ohne Zwang. Erinnerung, ohne Kitsch. Fortschritt, ohne Verdrängung.

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Go! 2025
Nova Gorica
Gorizia

European Capital of Culture 2025
Programm von 08/02 bis 05/12/2025

go2025.eu


Ein Buch, das durch Straßen und Zeiten führt

Passend zum heurigen Jahr ist im Styria-Verlag ein neues Buch von Irene Hanappi erschienen. Aber Gorizia – Nova Gorica ist kein klassischer Reiseführer. Es ist ein literarisches Porträt zweier Städte, erzählt mit Gespür für Details und historische Tiefe. Mit der Autorin und der Fotografin Gai Jeger wandert man von der Burg zum Eiskaffee, vom jüdischen Friedhof in Nova Gorica bis zur Via Rastello in Gorizia, wo Carlo Michelstaedter – der „philosophische Künstler“ – als Bronzestatue steht. Lässig, mit Strohhut.

Das Buch erzählt von Grenzverläufen, aber auch von menschlichen Begegnungen. Es porträtiert jüdisches Leben, vergessene Villen, verschollene Koffer und verdrängte Geschichten. Eine literarische Figur – Žana – wird zur Reiseführerin durch die Gegenwart, die Historie wird greifbar über alte Ansichtskarten, eine Espressomaschine und stille Plätze. Besonders eindrücklich: die Kapitel zum jüdischen Erbe, zur Synagoge und zu den Stolpersteinen, die Geschichte nicht museal, sondern alltäglich machen.

Buchcover Irene Hanappi, Gai Jeger Gorizia – Nova Gorica

Gorizia – Nova Gorica

Faszination Grenzregion: Friaul-Julisch Venetien & Slowenien, Collio & Goriška Brda, Vipava-Tal & Karst

von Irene HanappiGai Jeger

Styria Verlag
192 Seiten, Deutsch, Broschur

€ 29 – jetzt bestellen


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