Crossing Europe 2021: Aliaksei Paluyan im Interview über seinen neuen Film „Courage“
Die Dokumentation „Courage“ des Regisseurs Aliaksei Paluyan, geboren 1989 in Belarus und derzeit lebend in Deutschland, wurde am Crossing Europe ausgestrahlt. Der Film handelt von den Zuständen in Belarus unter der Machterhaltung Lukaschenkos, von den Demonstrationen und der Auflehnung des Volkes sowie der gewaltsamen Repression, dem es sich gegenübergestellt sieht.
Aliaksei begann mit den Recherchen 2018, circa zwei Jahre vor den Wahlen und den großen Protestbewegungen. Er arbeitete mit SchauspielerInnen einer Theatergruppe in Minsk zusammen und hält die Transformation fest, die sie durchleben, als sie vom Underground auf die Straße kommen. Am Festival hat sich der Regisseur für ein Interview mit uns Zeit genommen, im Anschluss kann man eine gekürzte Version lesen.
subtext.at: Eine Frage, die sich ganz am Anfang anbietet, ist folgende: hat es für Sie irgendeinen Grund gegeben, dieses Thema aufzuarbeiten und was war Ihnen dabei wichtig, dem Publikum zu übermitteln?
Aliaksei: Jaja, das Thema ist sehr wichtig für mich, denn ich frage mich immer als, sag ich mal, junger Künstler über die Rolle von Kunst in solchen Ländern, solche autoritären Systeme. Die Fragestellung war damals im Jahr 2018, als ich angefangen habe, diesen Film erstmal zu recherchieren, was überhaupt die Rolle des Künstlers ist und die Frage, ob es möglich ist, unabhängiger Künstler zu sein. Oder ist es nur eine Illusion, die man macht und erwünscht und Erwartungen hat und am Ende nicht erfüllt. Mit dem Protesten hat es noch einen gewissen Nerv bekommen, also ein ganz existentielles Thema, weil dann ist auch eine eigentliche Transformation passiert im Land. Weil dieses Theater bearbeitet eigentlich Probleme, die sich nicht jeder traut auszusprechen. Und was letztes Jahr passiert ist, als eigentlich dieser verbotene Underground auf die Straße kam.
subtext.at: Haben Sie das schon geahnt, dass diese Umbrüche passieren werden?
Aliaksei: Es wäre eine Lüge, wenn ich sagen würde, ja klar – natürlich nicht. Ich hab’ gespürt, dass diese Gesellschaft…in der Luft war es…wie sagt man das in Deutsch…kurz vor dem Gewitter, kurz vor dem Blitz.
subtext.at: Aufgeladen…
Aliaksei: Ja, es war eine sehr aufgeladene Gesellschaft. Und jedes Regime baut eine liberale Schicht und verkauft das nach Westen, um zu zeigen: uns gehts gut. Eine moderne Stadt, eine moderne Gesellschaft. Unsere Leute haben alles, alles super, sauber, alles steril. Aber natürlich, wenn du da tief reinkommst, siehst du die Schicksale von diesen Menschen. Und dieses Schaufenster…in den ersten Tag von den Wahlen wurde es direkt umgerissen. Und ich hab gespürt, dass die Gesellschaft kurz davor ist. Ich habe mir nicht gedacht, dass es im Jahr 2020 ist, ich hab mir gedacht es ist ein bisschen später, ich hab noch mehr Zeit. Letztes Jahr hat sich das viel viel früher alles intensiviert. Die Pandemie war auch ein wichtiger Punkt, weil der Mensch, der sich als Präsident jetzt nennt, hat so eine Erniedrigung für sein Volk gemacht: „Coronavirus? Ich sehe keinen Coronavirus.“
subtext.at: Ja, das haben sehr viele politische Machthaber benutzt. Auch wenn man nach Brasilien sieht, oder nach Amerika, oder auch nach Russland, da ist genau das selbe passiert.
Aliaksei: Ganz genau, und Weißrussland war nicht mal in Quarantäne. Die Menschen haben sich allein gelassen gefühlt. Die Menschen haben solidarisch begonnen Geld zu sammeln für Masken. Man hat dann gesehen: Die Gesellschaft kann auch alleine.
subtext.at: Wann haben Sie direkt angefangen mit dem Filmen?
Aliaksei: Also, Wahlen waren am 9. August, am 2. August war ich dort, jeden Tag haben wir gedreht, jeden Tag.
subtext.at: Für wie lange?
Aliaksei: Einen ganzen Monat, bis Anfang September. Anfang September waren schon so viele Signale, dass ich schnell alle in Sicherheit bringen muss. Da habe ich die Entscheidung getroffen, nach Deutschland zu fliegen, das Material zu kopieren. Auch mit dem Gedanken, vielleicht zurückzukommen.
subtext.at: Im Film wird von einer Blacklist gesprochen und mittlerweile gibt es keine Akkreditierungen mehr für Journalisten. Die Pressefreiheit, die eingeschränkt wird, betrifft Sie vermutlich als Filmenden und Filmmachenden auch. Können hier Probleme für Sie aufkommen? Haben Sie Angst dass Ihnen etwas passieren könnte, auch den Protagonisten?
Aliaksei: Ja, das ist ein Dilemma, das hatte ich, als noch alle Protagonisten im Land waren.
subtext.at: Jetzt sind alle geflohen?
Aliaksei: Ja,ja. Im Februar hab ich schon recht stark diese Gefahr gespürt und habe mit Protagonisten abgesprochen, getreu dem Motto „Ich weiß ihr habt mir schon längst gesagt, dass ihr einverstanden seid und dass ihr euch auch wünscht bei dem Film mitzumachen“. „Ja, wovon sprichst du, natürlich“. Und dann wurden Sie festgenommen während einem Konzert. Und ich wusste, je lauter man spricht, desto mehr Probleme und Gefahr kommt zu den Protagonisten. Dann sind sie raus aus dem Gefängnis und wir haben telefoniert und sie haben gesagt: Aliaksei, ich glaub ich fahr nach Kiev. Und jetzt sind sie in Kiev und das war schon eine Erleichterung für mich.
subtext.at: Haben die Menschen schon aufgehört mit den Protesten oder gehen die noch weiter?
Aliaksei: Manche gehen noch weiter, aber nicht mehr so wie früher, es ist schon sehr im Untergrund. Dieser Okkupationszustand macht Menschen kaputt. Und Menschen trauen sich auch nicht zu weinen. Eine Frau hat immer zur Seite geguckt und wenn sie festgestellt hat, dass keiner guckt, hat sie angefangen zu weinen. Was für ein Zustand. Den Preis, den die Menschen zahlen, wenn sie protestieren, ist so hoch…zu 99% wenn man auf die Straße geht, wird man festgenommen.
subtext.at: Zu 99%?
Aliaksei: Jaja, weil wenn man mit der weiß-rot-weißen Fahne geht, dann ist das schon Extremismus.
subtext.at: Was haben Sie mit ihrem Film versucht rüberzubringen? Wollten Sie das eher emotional machen, subjektiv oder objektiv? Wollten Sie berichten was passiert?
Aliaksei: Nein, berichten auf keinen Fall. Das musste keine Information sein. Informationen kriegt man schnell heutzutage. Das Ziel war, Menschen erstmals zu sensibilisieren, damit sie sich selber fragen: Was würdest du in dieser Situation machen?
subtext.at: Haben Sie alle Aufnahmen selbst gemacht oder haben Sie da auch Videos von Demonstranten gesammelt?
Aliaksei: Nein, das sind alles unsere Aufnahmen.
subtext.at: Es waren ja auch Close-Up shots von Polizisten dabei. Wie gefährlich war das?
Aliaksei: Ja klar, das war gefährlich. Aber wir mussten das drehen. Das war Ziel das Ziel, in diese Augen reinzugucken und verstehen, welche natürliche Gründe kann es geben, dass Menschen so etwas machen oder immer noch in diesen Reihen sind. Augen lügen nicht. Da kann man auch Masken aufhaben, aber in Augen sieht man diesen Prozess.
subtext.at: Nach welchem Konzept haben Sie die Montage aufgebaut? War das alles chronologisch oder wollten Sie, dass eine emotionale Steigerung festgehalten wird?
Aliaksei: Ja, gute Frage. Also wir haben gesagt: der Film muss so emotional werden und die Stimmung transportieren, wie jeder Mensch der dort war, die gespürt hat. Euphorie, Angst, von Angst zu Freude, von Freude zu Niederschlag und Depression und so weiter. Diese Welle. Das zweite war: Wie verbindet man Theater und Protest? Da habe ich mir gedacht, dass man mit diesen Stücken und der Thematik dieser Stücke und Protagonisten immer arbeitet. Und was noch sehr wichtig war für mich: Prolog. Diese ersten drei Minuten, die Archivbilder, die waren nicht von mir, und auch am Ende.
subtext.at: Ja, an die kann ich mich erinnern, wieso genau am Anfang und am Ende?
Aliaksei: Am Anfang wollte ich einen Schlag an die Zuschauer geben: seid bereit, der Film wird nicht einfach. Aber das Wichtigste, ich wollte damit sagen: die Proteste von letztem Jahr, das ist nichts Neues. Diese Menschen machen diesen Widerstand seit den 90ern. Die Aufnahmen vom Anfang sind vom Jahr 96/97. Die Menschen haben schon da, zwei Jahre nachdem er an die Macht kam, verstanden, mit wem sie es zu tun haben.
subtext.at: Das war vor 24/25 Jahren.
Aliaksei: Jaja und die gleichen Schilder, die gleichen Helme, die gleichen Methoden. Und wie es gesagt wird im Film: nichts hat sich seit 96 geändert. Und das wollte ich sagen.
subtext.at: Vielleicht noch zum Schluss: Ein Appell an die ZuseherInnen Ihres Films ist einfach, die Nachricht nach außen zu tragen, mit vielen Menschen darüber zu reden, darüber nachzudenken?
Aliaksei: Mhm. Einfach zu sagen: sprich über uns, denk über uns. Denn das betrifft nicht nur Belarus. Wie einfach kann sich sogar in Westeuropa die Lage ändern, wenn Menschen an die Macht kommen, die das ausnützen? Und ich glaube, Sie verstehen mich auch. Das kann auch in Österreich passieren. Kann derselbe Prozess sein wie in Polen, Ungarn, die auch schon ein bisschen nicht ganz demokratisch sind. Und Künstler sind die Menschen, die diese Glocke klingen lassen, die sagen, mensch, mensch, mensch, wach auf. Eigentlich, das ist der Appell: lass uns gemeinsam unterstützen. Einer für alle, alle für einen. Und jetzt, wir brauchen diese Unterstützung. Sprich über uns, denk über uns.
subtext.at: Ja, das waren eh schöne Abschlussworte. Vielen Dank.
Aliaksei: Danke Ihnen!
Competition Documentary 2021
Russisch / Belarusisch
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