Filmstill aus Milk
Foto: crossingeurope.at

Milk: Leise Gefühle

Robin und Jonas erleben mit der Totgeburt ihres Kindes einen großen Rückschlag. Als Robins Körper dennoch Milch produziert, beginnt ein langer Weg des Loslassens und die Suche nach einer Möglichkeit, das ganze Erlebnis noch irgendwie zum Guten zu wenden.

Langsam pumpt Robin die erste Babymilch aus ihrer Brust. Ihr Kind ist tot zur Welt gekommen, ihr Körper hat sich dennoch richtig vorbereitet, weshalb er natürlich beginnt, Milch zu produzieren. Kein leichtes, wenn man dadurch ständig an den Verlust des eigenen Kindes erinnert wird. Sie schafft es daher auch nicht, sich selbst zu überwinden und die abgepumpte Milch in den Abfluss zu verabschieden. Gemeinsam mit ihrem Partner möchte sie diese daher spenden, was sich aber als schwieriger als gedacht herausstellt. So füllt sich das Gefrierfach langsam aber sicher immer weiter mit konservierter Muttermilch, ständig verbunden mit der Hoffnung, eine Abnehmerin zu finden.

Reden ist Silber

Gleich von Beginn an macht sich ein flaues Gefühl im Magen breit. Traumatisierte Blicke und plötzliche Gefühlsausbrüche schaffen es sofort, einem das Herz zu brechen. Mit diesem gebrochenen Herz sitzt man dann da und hofft, dass es in den nächsten eineinhalb Stunden wieder zusammengefügt wird. Stress macht sich der Film dabei auf alle Fälle keinen. Das würde auch überhaupt nicht passen, denn kaum jemand kann Trauer innerhalb weniger Tage ablegen. Nein, mit langsamen, grau-blauen und oft statischen Bildern bringt die Regisseurin Stefanie Kolk eine Reise mit all ihren Höhen und Tiefen auf die große Leinwand. Bilder, die ganz langsam und unscheinbar wieder wärmer werden, wo aus Wolken später Sonne wird, wo Wunden durch Zeit tatsächlich zu heilen scheinen. Bilder, die keine Worte brauchen, sondern für sich stehen. Wo vor allem auch die Hauptdarstellerin Frieda Barnhard oft ohne Worte eine so realistische Verletzlichkeit darstellt, dass man nicht anders kann, als Mitgefühl zu empfinden.

Filmstill aus Milk
Foto: crossingeurope.at

Totenstille

In ihrer Einsamkeit und Langeweile möchte Robin wieder zu arbeiten beginnen. Da sie aber bereits von ihrer Arbeit freigestellt ist, bleibt sie das auch. So meldet sie sich zu einer Wandergruppe an, bei der der Flyer mit der Headline „Mourning in silence“ wirbt. Ob man es nun glaubt oder nicht, selbst das Zusehen beim Wandern von gänzlich stillen Menschen ist wie ein Pflaster für die Seele. Wenn kommuniziert wird, dann höchstens über Papier. Die einzelnen Laster der Personen werden dabei nie thematisiert, nicht mal ihre Namen tauschen sie anfangs untereinander aus.

So sieht man erneut mit langsamen Pacing dabei zu, wie sich still und heimlich Beziehungen untereinander bilden und die tiefe, unaussprechliche Trauer verarbeitet wird. Unweigerlich wird man dabei immer wieder zum Schmunzeln gebracht, zum Weinen angestoßen oder auch einfach gemeinsam in Stille sitzen gelassen. Alles, während Robin stetig versucht, jemanden zu finden, der ihre Milch abnimmt, da sie offizielle Institutionen aufgrund von zu strengen Aufnahmeverfahren nicht annehmen können.

Menschen können so gut sein

Das gebrochene Herz vom Anfang wird dabei tatsächlich wieder zu einem Ganzen geformt. Es ist ein oft wortwörtlicher Wanderweg, der filmisch leider doch immer wieder zu langwierig wird und nicht immer die Kurve kratzt, rechtzeitig seine Geschichte voranzutreiben. Das ist vor allem schade, weil das Thema um Tod- & Fehlgeburten heutzutage noch immer ein viel zu großes Tabu in unserer Gesellschaft ist und daher viel zu selten angesprochen wird.

Regisseurin Kolk stellt sich dem entgegen und verfällt dabei glücklicherweise in keine erwartbaren Szenarien. Beziehungen gehen nicht zu Bruch, sondern Leid wird vor allem gemeinsam aufgearbeitet. Selten hat man eine so gesund empathische Partnerschaft im Kino gesehen wie hier. Das ist einfach schön. Denn was macht uns denn sonst als Menschen aus, wenn wir es nicht schaffen, auch in den schwersten Zeiten zueinander zu helfen? Es braucht keine zurechtgeschnittene Filmdramaturgie, sondern einfach eine Regisseurin mit ganz viel Liebe für ihre Figuren, und das spürt man hier in jeder Szene.

Fazit

„Milk“ hat leider seine Längen, ja. Dennoch ist der Film so therapeutisch herzlich, dass es am Ende keineswegs Zeitverschwendung ist. Vor allem dann, wenn man seinen Horizont zu dieser unterrepräsentierten Thematik erweitern möchte.


Melk / Milk

Melk / Milk

Regie: Stefanie Kolk

Niederlande 2023
96 Minuten
Niederländisch, OmeU

Mit Frieda Barnhard, Aleksej Ovsiannikov


Crossing Europe 2024

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filmfestival linz
30 april – 05 mai 2024
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Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.