État limite - On The Edge
Foto: Crossing Europe

What is the difference?

Die Kluft im Gesundheitssystem in Europa sind verheerend. Die beiden Filme Rehab (from Rehab) und État limite könnten keine unterschiedlicheren Seiten des europäischen Gesundheitssystems widerspiegeln. Die Heilung von Menschen hat, wie alles, seinen Preis.

Gesundheit ist Geldsache. Was beim hippokratischen Eid begonnen hat und bei der Nächstenliebe verschiedener Gemeinschaften aufhört, ist nun ein Business. Spätestens seit Corona ist uns bewusst, wie fragil auch in Österreich das Gesundheitssystem ist. Der Pflegekräftemangel, der Brain-Drain in andere nördliche EU-Länder und stagnierende Budgets zeigen sich klar in der gesundheitlichen Versorgung.

Trotz des Rechts auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung herrscht in den meisten Ländern Europas ein Missstand. Die Filme Rehab (from Rehab) und État limite zeigen hier die Bandbreite, von welchen Unterschieden wir reden. Unterschiede zwischen zwei Nachbarländer bzw. Orte, die knapp 500 Kilometer voneinander entfernt sind.

„Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“

WHO – World Health Organisation

Wenn man die Krankenhäuser und Reha-Zentren in Österreich näher betrachtet, bekommt man schnell ein einheitliches Bild. Beige Gänge, sterile Räumlichkeiten, viele leere weiße Flächen, Neonlicht und sandfarbene Linoleumböden. Das Ziel dieser baulichen Begebenheiten ist ein einfaches Facility-Management, um den Qualitätsstandard bei der Reinigung aufrechtzuerhalten.
Was aber ist, wenn man folgende Hypothese weiter verfolgt: Die räumlichen Begebenheiten haben einen direkten Einfluss auf den Genesungsprozess. Das würde auch heißen, wenn man ein ganzheitliches Voranbringen von Genesung erreichen möchte, dass der Raum mitgedacht werden muss.

Rehab
Foto: Crossing Europe

Rehab (from Rehab)

Bêka & Lemoine nehmen diesen Gedanken auf und verarbeiten sie ihn ihrem Dokumentarfilm. Bereits vor 20 Jahren haben die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron in Basel ein Rehazentrum gebaut. Neben der Modernität greift es auch den Gedanken der ganzheitlichen Heilung auf. Die Räumlichkeiten des Rehazentrum REHAB sind freundlich, offen und lassen soziale Begegnungen zu. Die Kamera nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise quer durch das Gelände. Begonnen von dem dressierten Schwein, welches gemeinsam mit den Patienten die motorischen Fähigkeiten übt, bis hin zur Lautstärkenmessung war alles vertreten. Sehr detailreiche Bilder bringen einem das Bauwerk sehr nahe. Die Filmemacherin Louise Lemoine arbeitet in der Dokumentation unter anderem auch ihrer traumatischen Erinnerungen auf. Ihre Kindheit verbrachte sie an der Seite ihres schwer behinderten Vaters in mehreren Rehabilitationszentren.

Der Film selbst gibt einen sehr übersichtlichen Eindruck von dem Angebot im Zentrum REHAB. Teilweise erinnert der Film jedoch an ein Imagevideo bzw. Werbevideo für diese Einrichtung. Das Angebot wird anhand der Geschichten der Patent*innen erzählt. Durch Interaktionen mit den Patient*innen verliert die Dokumentation seine rein beobachtende Eigenschaft. Teilweise wurde der schmale Grat der Diskretion auch überschritten, wie bei einer jungen, stark gläubigen Patient*in.

Aber unabhängig von der Machart des Films ist das Thema höchst spannend. Die Einrichtung REHAB vermittelt zumindest im Film ein sehr stimmiges Bild, wo auch alle Mitarbeiter*innen diese individuelle Philosophie leben. Alle Komponenten der Heilung von Patient*innen zu bearbeiten ist ein schöner Ansatz, welcher in dem Gesundheitswesen in Österreich auch einen Impact haben könnte. Spannend wäre es herauszufinden, welchen Anteil die Räumlichkeit neben ausreichenden Personal, Qualität der Pflege und medizinischen Fortschritt tatsächlich einnimmt.

État limite
Foto: Crossing Europe

État limite

500 Kilometer weiter westlich hat man nicht den Luxus, sich Gedanken über die Unterstützung der Heilung mittels räumlicher Gestaltung zu machen. Hier kämpft Dr. Jamal als einziger Psychiater im Hôpital Beaujon in Clichy um das Wohl seiner Patient*innen. Als eine Folge von Einsparungen ist er nun alleine für sämtliche psychiatrische Fälle verantwortlich. Nicolas Peduzzi begleitet den Psychiater in seinem hektischen Alltag. Wie Jamal von einem Patienten zum nächsten eilt und trotzdem versucht, für jede Person Zeit zu finden. Die Ansätze von Jamal sind modern, neben der medikamentösen Therapie initiiert er auch Theatergruppen im Krankenhaus oder nimmt sich Zeit für therapeutische Gespräche. Aber auch in Frankreich hat ein Tag nur 24 Stunden und trotz des unermüdlichen Einsatzes von Jamal kann nicht alles abgedeckt und nicht jeder Mensch gerettet werden.

Nicolas Peduzzi übermittelt mit seinem Film ein authentisches Bild, wie sich die Einsparungen zum einen auf die Belegschaft und aber auch in weiteren Sinn auf die Qualität der Behandlungen auswirken. Der Druck, den die Mitarbeiter*innen täglich spüren, kommt auch bei den Zuseher*innen an. Der innerliche Stress, keine qualitative Pflege anbieten zu können, kommt klar in den Vordergrund. Der Filmemacher zeigt überfüllte Betten, fixierte Personen, verzweifelte Pfleger*innen und mitten im Chaos ringt Dr. Jamal sprichwörtlich um das Leben seiner Patient*innen.

Stilistisch ist der Film eher einfacher gehalten und vermittelt so seine Authentizität. Mit verwackelter Handkamera wird Dr. Jamal quer durchs Krankenhaus verfolgt. Dort, wo nicht gefilmt wurde, erzählen schwarzweiße Fotos die Geschichte weiter. Die Kamera ist ein rein beobachtender Teil im Film, der den Alltag aufnimmt. Es werden keine Fragen gestellt, es gibt keine Momente, wo jemand innehält und die Lage erklärt oder seine Postion. Diese Infos bekommt der*die Zuschauer*in durch die abgebildete Routine.

Fazit: Heilung hat seinen Preis

Die beiden Filme könnten keine unterschiedlicheren Welten abbilden. Auf der einen Seite der Luxus der Rehaeinrichtung REHAB und auf der anderen Seite der verzweifelte Kampf, die Patient*innen so weit zu versorgen, damit sie überleben. In der Reflexion kommt man schnell zu dem Punkt, wo man sich klar wird, die Gesundheit eines Menschen hat ein Preisschild. Wenn du den Preis bezahlen kannst, wirst du gut versorgt, wenn nicht, musst du hoffen, dass du zu engagierten Ärzt*innen wie Dr. Jamal kommst.

Es stellt sich für mich auch die Frage, ob so eine Versorgung, wie sie aktuell im Hôpital Beaujon stattfindet, auch im Sinne der Begründer*innen der Menschenrechte ist. Es kann auch klar davon ausgegangen werden, dass es nicht das einzige Spital ist, in dem solche Zustände herrschen. Für mich stellt sich auch die Frage, wie weit ein Staat auch dafür verantwortlich ist, dass das medizinische Fachpersonal seinen hippokratischen Eid auch einhalten kann bzw. wo dieser seine Grenzen hat. Eine Frage, die ich mit auf den Weg geben möchte: Wie gut kann ein*e Ärzt*in helfen, wenn die Einsparungsmaßnahmen ihn*sie dazu drängen, täglich die eigenen Grenzen zu überschreiten und über dem persönlichen Limit zu arbeiten?


Rehab (from Rehab)

Regie: Ila Bêka & Louise Lemoine

86 Minuten
Französisch / Italienisch / Englisch / Schweizerdeutsch, OmeU


État Limite / On The Edge

Regie: Nicolas Peduzzi

102 Minuten
Französisch / OmeU


Crossing Europe 2024

Crossing Europe Logo

filmfestival linz
30 april – 05 mai 2024
www.crossingeurope.at

Alle Artikel unter subtext.at/crossing-europe

Konzerte - Filme - Bücher - Musik - Kunst // Sozialarbeiterin - Veranstalterin - Redakteurin - Fotografin