Open Air Kino in Freistadt
Foto: Oskar Fleischanderl

Aus der Heimat aus­brechen

Anhand zweier Filme beim Heimatfilmfestival Freistadt wird gezeigt, wie Personen aus ihrem Umfeld fliehen, um Freiheit zu finden. Historische und aktuelle Beispiele aus Oberösterreich und Japan beleuchten dabei, wie Verzweiflung und gesellschaftliche Zwänge Menschen zum Ausbruch treiben.

Heimat verbindet man oft mit wohligen Gefühlen und schönen Momenten mit den Liebsten. Wenn ich an meine für mich bestimmte Heimat denke, so streifen gewisse Gerüche, Bilder von Orten oder charakteristische Geräusche in meinem Kopf herum. Die meisten dieser Dinge verbindet man mit Herzlichkeit und Lebhaftigkeit bzw. etwas, an das man eben gerne denkt. Im Norden / in Dänemark gibt es für dieses Gefühl auch ein eigenes Wort: hygge – sich heimelig fühlen. Unter Heimat wird übrigens jener Ort, Gebiet oder System verstanden, wo man als Mensch hineingeboren wurde.

Aber was ist, wenn es zuhause nicht mehr heimelig ist, sondern nicht mehr auszuhalten? Es hat nicht jeder Mensch das Privileg, sich in der Heimat tatsächlich wohl zu fühlen. Die Folge ist die Flucht aus dem Ort. Die Geschichte des Menschen ist von Beginn an eng mit der Suche nach der Heimat bzw. einer passenden Heimat verbunden. Grundlegende Motive in der Steinzeit für die Suche nach neuen Heimaten waren oft von Schutz und Nahrung geprägt. Diese Motive ähneln jenen der Gegenwart. Aktuell sind 120 Millionen Menschen auf der Flucht und auf der Suche nach einer sicheren Heimat.

Heimat durch Film finden

Filmisch werden solche Themen wie Flucht und die Suche nach neuen Heimaten gerne aufgegriffen und in Dokumentationen wie auch Spielfilmen verarbeitet. Beim heurigen Heimatfilmfestival in Freistadt waren zwei Filme im Programm, welche sich vor allem mit dem Thema der Flucht eines einzelnen Individuums beschäftigen. Genre, Machart, Ort, Protagonisten und Stil könnten nicht unterschiedlicher sein. Trotzdem verbindet die beiden Filme ein zentrales Thema: der Ausbruch einer einzelnen Person aus dem bestehenden System.

Des Teufels Bad – Ausstieg durch Mord

Foto: filmfestivalfreistadt.at

Im neuen Film von Veronika Franz und Severin Fiala begleiten wir eine junge oberösterreichische Frau Agnes im Jahr 1750. Der Film zeigt schon zu Beginn die Schwere des Themas. Eine verzweifelte Frau bringt ein Baby um und sucht dann in der Beichte die Erlösung bzw. in der darauffolgenden Hinrichtung. Agnes (gespielt von Anna Plaschg) ist frisch verheiratet und bemüht, die Pflichten einer guten Ehefrau zu erfüllen. Ihr oberstes Ziel ist es, Mutter zu werden. Als ihr Mann den Beischlaf verweigert, zieht sie sich immer weiter in ihrem Glauben zurück. Der stetige Rückzug in die Religion hat auch zur Folge, dass sie in der neuen Welt ihres Mannes keinen Platz findet. Es kommt der Moment, wo Agnes so in ihrer eigenen Welt lebt, dass der Glaube mehr zum Wahn wird und Behandlungen von Außen keine Verbesserung mehr bewirken. Sie selbst sieht auch keinen Ausweg mehr aus ihrem depressiven Gefängnis und es scheint für sie nur einen Weg aus dem Dilemma zu geben.

Als stark religiöse Frau ist es für sie wichtig, nach den Regeln der Kirche zu leben, die unter anderem Selbstmord nicht billigen. Historische Protokolle sind die Grundlage für diesen Film. Die weisen darauf hin, dass vor allem Frauen durch einen (Kinds-)Mord und die darauffolgende Todesstrafe zum gewünschten Ziel kamen – ihren Frieden im Tod zu finden.

Für viele Frauen war es der einzige Weg, aus der Gesellschaft auszusteigen. Die Ehe bzw. die Familie zu verlassen war zu dieser Zeit unmöglich bzw. mit sehr vielen Gefahren verbunden. Die Chance auf ein besseres Leben durch die Flucht war nicht oder nur kaum gegeben. So dramatisch dies auch klingen mag, haben die Frauen zumindest so ihr Ziel erreicht, dem Grauen in ihrem Leben zu entkommen.

Johatsu – In Luft auflösen

Mein Kollege Oskar Fleischanderl hat die hauptsächlichen Charakterzüge des Films bereits in einem eigenen Artikel beleuchtet → Johatsu bedeutet verdunsten. Auch dieser Film beschäftigt sich mit dem Ausstieg aus der Gesellschaft. Jene Personen, welche wegwollen, organisieren sich eine Firma, welche bei dem Ausstieg behilflich ist. Von Wohnungsräumungen, Transporten und Wohnraumbeschaffung ist das Profil jener Firmen vielfältig. Diese Unternehmen agieren in einer rechtlichen Grauzone und, so wie es im Film dargestellt wird, werden die Gesetze nicht immer zu 100 Prozent befolgt.

Die Personen bekommen mit der Hilfe eine neue Identität und einen neuen Lebensraum. Ziel ist es, die Fehler, die als altes Ich begangen wurden, hinter einem zu lassen, egal ob diese Fehler, finanzieller, gesundheitlicher oder zwischenmenschlicher Natur sind.

Wo sind die Gemeinsamkeiten?

Filmstill: Johatsu
Foto: filmfestivalfreistadt.at

Wo liegt der Zusammenhang zwischen einem Drama, das die Situation um 1750 in Oberösterreich widerspiegelt, und einer Dokumentation, welche sich mit der Lage 2020 in Japan beschäftigt? Als Publikum würde man die Verzweiflung der jeweiligen Protagonisten als gemeinsamen Nenner ansehen. Eine Verzweiflung, die einsetzt, weil das Leben nicht nach den innerlichen Vorstellungen verläuft und ein geregelter Ausweg nicht erkennbar ist. Der Pfad dieser Personen ist so eingetreten, dass aus ihrer Sicht Hilfe von Außen nicht mehr möglich ist. Gründe für diese Verzweiflung werden in den beiden Filmen viele genannt. Von der beschriebenen gescheiterten Familienplanung bis hin zu Schulden, psychischen Krankheiten oder Scham sind viele vertreten.

Fazit

Sich mit dieser Thematik in der Kunstform Film zu beschäftigen ist meiner Meinung nach wichtig. Zum einen, um sich mit dem aus meiner Sicht sehr wichtigen Teil der Geschichte des Menschen zu beschäftigen. Und zum anderen auch aufzuzeigen, dass Überforderungen, Abweichungen des Lebensplans und Verzweiflung auch Raum in der Gesellschaft einnehmen darf und auch gesehen werden soll. Wichtig ist hier zu zeigen, dass auch Hilfe von Außen existiert und es oft einen Blick auf das Ganze und auf die Personen im System braucht, um die Situation realistisch einschätzen zu können. Das wurde in beiden Filmen auch immer wieder kurz angeschnitten. Was das Thema für mich auch hochpolitisch macht, ist die Tatsache, dass sich durch feministische Bewegungen die Welt doch auch für Menschen wie Agnes verbessert hat und eine Abhängigkeit nicht mehr in dem Ausmaß vorhanden ist. Wobei ich hier erwähnen möchte, dass für eine Gleichstellung aller Geschlechter noch einiges zu tun ist. Auch bei Johatsu hat die Politik ihre Finger mit im Spiel. Auch hier lässt sich wahrscheinlich mit einem guten sozialen Auffangnetz so einiges abfedern und Ausstiege verhindern.


Des Teufels Bad

Des Teufels Bad

Regie: Veronika Franz, Severin Fiala

AT/DE 2024, 121 min, OdF
Mit: Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter, Agnes Lampl, Lukas Walcher, Camilla Schielin, Lorenz Tröbinger


Festival Der neue Heimatfilm

21. – 25. August 2024

www.filmfestivalfreistadt.at

Alle Artikel zum Festival hier auf subtext.at

Festival der Heimatfilm 2024

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