Filmstill aus Wald
Foto: Austrian Films

Wald – Ein Buch und seine Interpretation

Doris Knecht (Roman) und Elisabeth Scharang (Film) erzählen in den beiden Werken eine Geschichte von und über eine starke Frau und zeigen wie es sein kann, wenn plötzlich nichts mehr so ist wie es einmal war.

Trotz des gleichen Titels und des Fakts, dass der Film auf dem Buch basiert, könnten die Geschichten der Hauptfigur Marian kaum unterschiedlicher sein. Die Figuren tragen zwar dieselben oder ähnliche Namen, haben aber sonst meist nur wenig miteinander gemeinsam. Selbst die Motivationen der Protagonistinnen sind unterschiedlich und spiegeln bis zu einem gewissen Grad die eigenen Erlebnisse der Autorinnen wider. Trotz oder vielleicht sogar deswegen, sind beide Werke in sich besonders und authentisch.

Wald – Elisabeth Scharang, 2023

Der Film, welcher im Herbst 2023 Premiere feiert, spielt von Marian. Marian ist eine Journalistin aus Wien, ist in einer (glücklichen) Beziehung, und braucht eine Auszeit. Das Publikum trifft sie auf ihrem Weg in ein kleines Dorf, in welchem sie aufgewachsen ist. Sie muss weg aus der Stadt, flieht aus ihrem bestehenden Leben. Ihr Ziel ist ein zugiges Haus ohne Strom, mit alten Möbeln und einem Holzofen. Durch vereinzelte Telefonate ergeben sich die ersten Stücke der Geschichte. Nur für ein paar Tage will sie abschalten können – das versichert sie zumindest ihrem Partner. Schnell stellt sich heraus, dass es doch länger als das sein sollte. Langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Vieles erklärt sich durch Rückblenden, welche nach und nach konkreter werden. Manche Fragen werden in Gesprächen mit alten Bekannten beantwortet, wenig erklärt sich in direkten Erzählungen. Genau in dieser Erzählweise besteht eine der Stärken des Filmes.

Elisabeth Scharang hat es geschafft, mit so wenig Worten wie möglich ein ganzes Leben zu erzählen. Im Zusammenspiel von allen Aspekten des Films – Drehbuch, Kamera, Schauspiel, Musik und Set-Design – ist hier ein Film entstanden, der zeigt, dass Schweigen sich manchmal am besten auszudrücken weiß.

Wald – Doris Knecht, 2015

Der Roman beschäftigt sich mit der Geschichte einer Frau, welche sich in ein Leben geflohen hat, in dem Geld nur bedingt eine Rolle spielt. Marian, die erzählende Figur der Geschichte, zeigt den Leser*innen im Laufe eines Tages ihren Alltag, an welchen sie sich nach all der Zeit inzwischen gewohnt hat. Es ist ein Einblick in ihr Leben, wie sie sich die Zeit vertreibt und wie sie zum Nötigsten kommt, um zu überleben. Ein Gedanke jagt den nächsten, und Aktuelles mischt sich mit Vergangenem. Nach und nach setzt sich aus den einzelnen Fetzen eine Geschichte zusammen.

Doris Knecht schreibt, als würde sie selbst in dem alten Haus stehen und ihren Gedanken freien Lauf lassen. Eine authentische und angenehme Art in die Welt einer Frau einzutauchen, die kaum etwas hat, woran sie sich festhalten kann.

Die Wälder vergleichen

**Dieser Teil enthält Spoiler**

Wie bereits kurz erwähnt, sind es die Punkte, in welchen sie sich unterscheiden, die es individuell spannend machen – vor allem, wenn man eines der beiden Werke bereits kennt.

„Alle Bauern am Land heißen Franz, alle, außer denen, die Sepp heißen.“

Die Grundstruktur der Figuren ist in Buch und Film ähnlich, doch ist nicht einmal Marian (im Film Brigitte Hobmeier) der selbe Charakter. Während sie im Film Journalistin ist und nach einem Terroranschlag nun mit Angstzuständen zu kämpfen hat, ist sie im Buch eine Modedesignerin voller Hoffnung auf den großen Durchbruch, welcher jedoch von einer großen wirtschaftlichen und finanziellen Krise zu einem abrupten Halt gebracht wird. Im Film geht Marian zurück an den Ort ihrer Kindheit. Dort sind Menschen, die sie kennt und die sie kennen, und mit welchen sie eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Im Buch dagegen ist sie allein und zieht in das Haus, welches ihre Tante ihrer Tochter vererbt hat. Was einen weiteren Punkt darstellt: Im Buch ist sie Mutter, geschieden und hat mehr als eine schwierige Beziehung seitdem hinter sich.

Ein weiterer wichtiger Charakter in beiden Werken ist Franz (im Film Johannes Krisch). Franz hat den Respekt der Leute im Dorf, und irgendwie das Sagen. Er hat einen (erwachsenen) Sohn. Der große Unterschied zwischen Franz in Worten und Franz in Bildern ist die Beziehung zu Marian. Im Film ist er lediglich ein Freund, eine alte Jugendliebe und entwickelt sich zu einer wichtigen Stütze. Im Buch ist er der, der Marian mit dem Wichtigsten ausstattet: Lebensmittel, Hygieneartikel und vor allem Brennholz für die kalte Jahreszeit. Dafür bezahlt sie nicht mit ohnehin fehlendem Geld, sondern wird zu seiner Liebhaberin, zu seiner Affäre.

Die, die im Film den Namen Gerti (im Film Gerti Drassl) trägt, wird im Buch nur Penederin genannt. Sie ist Marians Freundin. Im Film zeigt sich das konkreter als im Buch, denn dort ist Gerti Marians ehemalige beste Freundin. Man erkennt sofort, dass es alte Wunden gibt, die nie so recht verheilt sind. Doch auch das wird nicht ausgesprochen. Im Gegensatz zu Marian konnte sie dem Leben am Land nie entfliehen und muss sich jetzt um ihre alten Eltern sorgen. Die Penederin im Buch ist bereits selbst eine ältere Bäuerin und die Beziehung zwischen ihr und Marian eine Freundschaft zu nennen wäre etwas übertrieben. Es ist eher ein nicht-so-sehr-hassen-als-alle-anderen. Sie hat Marian ein paar Dinge beigebracht, die sie zur Selbstversorgung gut gebrauchen kann.

„Es gibt dafür einen Ort und eine Zeit“

Da Buch und Film so grundverschieden sind, ist ein Vergleich besonders spannend zu erarbeiten, jedoch nur bedingt aussagekräftig. Betrachtet man manche Aspekte einzeln, lässt sich der Film wie die Vorgeschichte des Buches betrachten. Marian im Film ist gerade am Beginn, stoßt als die Neue in ein altbewährtes Ökosystem. Marian im Buch hat sich bereits ihren Platz erkämpft und ist inzwischen kurz vor ihrem zweiten Winter in diesem alten und kalten Haus. Die wenigen Gemeinsamkeiten – Marians Name, ihr aus-dem-Leben-gerissen-sein oder die Umgebung, in welcher die Geschichte spielt – lassen den Film zu einer losen und gelungenen Interpretation des Buches werden. 

Fazit

Film und Buch zu vergleichen, ist immer eine gewisse Herausforderung. In diesem Fall sind die Figuren und Persönlichkeiten so unterschiedlich, dass man sie kaum vergleichen kann. Trotzdem ist beides wert, gelesen/gesehen zu werden.

Der Film brilliert durch die authentischen Dialoge (wenn auch nicht durch die Dialekte), dem herausragenden Schauspiel und den wunderschönen Aufnahmen des niederösterreichischen Waldviertels. Alles umrahmt von den wundervollen Kompositionen von Hania Rani.

Auch wenn es ganz anders ist als der Film, ist das Buch wert, gelesen zu werden. Durch die Schreibweise der Autorin, lose Gedanken scheinbar willkürlich aneinanderzureihen, kann man sich leicht in diesen und den eigenen Interpretationen dazu verlieren. Eine leicht gelesen Lektüre, die es in sich hat, wenn man sich darauf einlässt.


Wald

von Doris Knecht

Rowohlt
271 Seiten, Deutsch, Taschenbuch

€ 12,40 – jetzt bestellen

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Wald

Regie: Elisabeth Scharang
Kamera: Jörg Widmer
Österreich 2023, 95 Minuten


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Kreativ offenes Köpfchen, kaum ohne Kamera und Notizbuch vorzufinden.