Crossing Europe 2021: Kala Azar

Kala Azar – ein sehr spannender und anregender Film vor allem im Hinblick auf die stilistischen und gefilmten Elemente.

Kurz zur Erklärung: die Erzählung dreht sich um ein Protagonistenpaar, welches tote Tiere auf Wunsch der Besitzer bestattet. Auch Kadaver, die sie auf Straßen und anderswo finden, nehmen sie mit. Die Beweggründe bleiben dabei eher im Unklaren, wahrscheinlich aus einer emotionalen Verbindung zu den Tieren. Auch eine logische Weiterentwicklung der Story, eine Auflösung oder Erklärungsversuche bleiben im Laufe des Filmes abwesend. Für jemanden, der auch auf inhaltlicher Ebene nach einem roten Faden oder Appell sucht, ist das etwas zerrend, aber auch zweitrangig.

Denn wie der Film dabei quasi auf der Meta-Ebene narrativ vorgeht, ist eine viel spannendere Frage: es passiert eine Gegenüberstellung zweier Welten. Der Zusammenschnitt aus Tier und Mensch spiegelt sich nicht etwa in der Dualität, sondern wird zu Einem und erzeugt beim Zusehen eine Mischung aus Abscheu und neugierigem, voyeuristischem Interesse: Handlungen werden zu intimen Einblicken in das menschliche (Er)leben.


Irgendwie sehr natürlich, vielleicht ein bisschen Hippie, nur ohne dediziert diesem Stereotyp nachzugehen – es gibt viel weniger Scham und eine tolerierbare, aber deutliche Abkehr von (gesellschaftlichen) Konventionen. Der Film hat seine eigene Konvention erschaffen, die sich mehr dem Ursprünglichen anlehnt, anstatt affektiert zu sein.

Durch die Aufnahmen führt das zu zwei starken Emotionen: zum einen zum Ekel, dem Animalischen und Fleischlichen: Motive, die sich in Tieraufnahmen, der Grobschlächtigkeit der Handlungen und dem Habitus der Menschen ausdrücken. Die Szenen sind teils etwas rustikal, wollen aber nicht taktlos oder absichtlich provokant sein. Es ist nicht eine Erzählung von einer selbstverständlichen Derbheit, sondern vor allem einer, der intuitiven Menschlichkeit. So kommt es zumindest bei mir an.

Es sind oft Vorgänge, die nicht auffällig seltsam sind, sie werden aber mit solcher Prägnanz gefilmt, das sie es sind, die nach dem Film hängenbleiben: die Protagonisten haben Verletzungen und wischen das Blut weg und drücken gallertartiges Aloe Vera-Gel auf die Verletzungen. Sie entfernen sich Essensreste zwischen den Zähnen.

Oft sind es auch gar keine direkten Schnitte, aber so intensiv, dass sie sich später aneinanderreihen: aus den Händen, die mal ins Hundefutter greifen, Fell waschen und Wunden berühren wird später gegessen. Tote Tiere werden berührt und getragen, die Asche mit Fingern und Löffeln zwischen Schatullen aufgeteilt, zusammengeschüttet, vermischt. Es ist wahnsinnig, wieviel mit den Händen gemacht wird und als ZuseherIn wartet man immer ein bisschen darauf, wann sie wieder gewaschen werden.

All dem wird die anmutende Grazie, Bedachtheit und Eleganz der Bewegungen im Bestattungsritual sowie Reinheit und Schönheit entgegengesetzt. Der tote Vogel liegt dann im aufwendig bestickten Tuch, die Aschen befinden sich in zart verzierten Keramikgläsern. Die Protagonistin ist eigentlich auch immer recht schön, trägt dabei ordentliches Makeup und etwas Glitzer.

Die Ästhetik der Momentaufnahmen geht unter die Haut und lässt natürlich auch hinterfragen, ob diese Handhabungen oder die Art der Kommunikation nicht vielleicht viel mehr unserem eigentlichen Wesen entsprechen. Von mir gibts 3.5/5 Sterne, interessanter Film!

Crossing Europe 2021
Competition Fiction 2021: Kala Azar
Janis Rafa
Niederlande / Griechenland 2020
color
85 Minuten
Griechisch
OmeU
www.crossingeurope.at